Deutsche Wirtschaftsgeschichte Was vom Wunder übrig blieb

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Kostenschock der Ölkrise bremst Deutschland ein

Nach dem Verfall des Bretton Woods Systems Anfang der 1970er Jahre wertete die D-Mark daher stark auf. Auch das trug mit dazu bei, dass diese Zeit für Deutschland wirtschaftlich keine gute war. Die Wettbewerbsfähigkeit litt aber auch darunter, dass es im Zuge der beiden Ölkrisen und einer Nachfrageorientierung der Wirtschaftspolitik zu einem Kostenschock kam und die Inflation in die Höhe schnellte, wenngleich sie weniger stark stieg als in einigen anderen wichtigen Handelspartnern. Höhere Produktionskosten für die Unternehmen und eine damit verbundene Verschlechterung des Exporterfolgs resultierten auch daraus, dass die sozialliberale Koalition in dieser Zeit den Wohlfahrtsstaat enorm ausbaute und damit die Sozialkosten stark erhöhte. Das belastete auch die Investitionsbedingungen in Deutschland und trug über die starke Verteuerung des Faktors Arbeit mit dazu bei, dass sich Wirtschaftsleistung und Wettbewerbsfähigkeit verschlechterten. Im Zuge schwachen Wachstums und hoher Inflation kam es vorübergehend sogar zur Stagflation. Und die strukturelle Arbeitslosigkeit nahm in den Folgejahren im Trend immer weiter zu.

Nach dem Regierungswechsel 1982 schwenkte die neue christlich-liberale Bundesregierung auf eine Angebotspolitik um, die über bessere Investitions- und Produktionsbedingungen für die Wirtschaft eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit anstrebte. Diese Dekade war allerdings erneut von starken Wechselkursschwankungen der D-Mark gegenüber dem US-Dollar geprägt. Dahinter stand in den USA vor allem die Hochzinspolitik zur Inflationsbekämpfung sowie hohe Staatsausgaben für den Rüstungswettlauf mit der damaligen Sowjetunion.

Europas kranker Mann mit roter Wachstumslaterne

Durch die moderate Angebotspolitik hatte Deutschland eine recht gute wirtschaftliche Ausgangsposition, als es 1990 zur Wiedervereinigung kam. Trotzdem hinterließ dieser enorme ökonomische Kraftakt in den 90er Jahren tiefe Spuren in der deutschen Wettbewerbsfähigkeit. Erstmalig wurde aus dem Exportüberschuss zeitweise ein Exportdefizit. Das hatte vor allem zwei Gründe. Zum einen kam es zunächst im Zuge des Wiedervereinigungsbooms zu einem Importsog für Waren und Kapital. Zum anderen verschlechterte sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von der Kostenseite her auf längere Sicht, weil es zu deutlich höheren Sozialkosten und in der ersten Hälfte des Jahrzehnts zu D-Mark-Aufwertungen in Europa und gegenüber den USA kam.

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Deshalb und auch wegen ausgebliebener Reformen der christlich-liberalen Koalition der Kohl-Ära stieg die Arbeitslosigkeit in der Folgezeit noch weiter. Deutschland wurde spätestens Anfang der 2000er Jahre zum kranken Mann Europas mit der roten Wachstumslaterne. Wegen dieser tiefen strukturellen Probleme, die auch die Wettbewerbsfähigkeit belasteten, legte die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder im Jahr 2003 ein umfangreiches Reformpaket auf: die Agenda 2010. Damit wurden viele Dimensionen der Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und ein wichtiger Beitrag dazu geleistet, dass die Arbeitslosigkeit in der Folgezeit endlich wieder sank – und das erstaunlich anhaltend und weit.

Mit Hypothek ins kommende Jahrzehnt

Im globalen Boom der Jahre 2006 bis 2008 spielte die deutsche Wirtschaft ihre Stärken wieder kräftig aus und wurde mit ihrer Spezialisierung auf Investitionsgüter zum industriellen Ausrüster der Schwellenländer. Mit den Reformen der Agenda 2010 in seiner Wettbewerbsfähigkeit gestärkt konnte Deutschland die globale Finanzkrise, die Euro-Schuldenkrise und letztlich auch die Corona-Krise einigermaßen meistern. In der Merkel-Ära wurden Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität politikseits zwar nicht deutlich verschlechtert, aber auch keine wesentlichen Verbesserungen vorgenommen.

So wurden zum Beispiel die Unternehmenssteuern zwar nicht angehoben, aber andere Staaten haben diese in derselben Zeit tendenziell gesenkt. Relativ gesehen steht Deutschland damit im internationalen Wettbewerb wieder schlechter da. Und auch die Energiewende wurde auf eine Art und Weise eingeleitet, die über sehr hohe Strompreise unsere Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert hat. Dies gilt gerade gegenüber Frankreich, das ja nach wie vor stark auf Atomkraft setzt. Auch bei der Infrastruktur gibt es inzwischen viel Nachholbedarf, sei es bei Verkehrswegen oder der digitalen Vernetzung.

Insgesamt ist Deutschland mit einer Hypothek in die 2020er Jahre gestartet, weil wir nicht ausreichend auf die großen Herausforderungen dieses Jahrzehnts – Demografie, Dekarbonisierung, De-Globalisierung und Digitalisierung – vorbereitet sind. Die neue Bundesregierung muss dies erkennen und eine umfassende Modernisierungsagenda auflegen. Andernfalls droht unsere Wettbewerbsfähigkeit nach und nach zu erodieren.

Mehr zum Thema: Lebte er heute noch, was würde der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Kanzler Ludwig Erhard wohl zu den wirtschaftspolitischen Problemen und Verwerfungen der heutigen Zeit zu sagen? Ein (fiktives) Interview mit dem Gründervater der Sozialen Marktwirtschaft – zitiert aus seinen Schriften und zum Teil wenig bekannten Reden.

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