Deutsche Wirtschaftsgeschichte Was vom Wunder übrig blieb

Feier zur Produktion des millionsten Käfers. Quelle: dpa

Deutschland hat in den vergangenen 95 Jahren ökonomisch und politisch viele Höhen und Tiefen erlebt. Sind wir an wichtigen Wendepunkten richtig abgebogen? In einem Gastbeitrag wagt der Ökonom Jürgen Matthes einen Streifzug durch die jüngere Wirtschaftsgeschichte.

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Jürgen Matthes leitet seit 2012  das Kompetenzfeld Internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW Köln). Matthes erlangte seinen Hochschulabschluss als Diplom-Volkswirt an der Universität Dortmund und in Dublin und stieg direkt nach dem Studium 1995 am IW Köln ein. Dort war er zunächst fünf Jahre lang als persönlicher Referent des Direktors tätig und danach im Wissenschaftsbereich verantwortlich für das Themenfeld Internationale Wirtschaftspolitik. Heute zählen vor allem wirtschaftspolitische Aspekte rund um Globalisierung, Europäische Integration, China und das deutsches Exportmodell zu seinen Forschungsschwerpunkten.

Vor 95 Jahren, als die erste Ausgabe der WirtschaftsWoche erschien, ging es für die Volkswirtschaften genauso wie heute um Wohlstandssicherung, eine Steigerung des Lebensstandards und eine geringe Arbeitslosigkeit – all das umfasst Wettbewerbsfähigkeit im weiteren Sinn. Wichtig dafür waren und sind vor allem eine verlässliche Privateigentums- und Wettbewerbsordnung, ein stabiles politisches System, unternehmensfreundliche Regulierungen und attraktive Investitionsbedingungen – eingebettet in einen Sozialstaat, der absichert, fordert und fördert.

Was sich jedoch im Zeitablauf geändert hat, ist die Relevanz der Standortbedingungen für die Prosperität. Denn Kapital und vor allem Unternehmen sind durch Transportkostensenkungen sowie immense Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnik global deutlich mobiler geworden. Wenn Länder keine günstigen Standortbedingungen bieten, droht eine Abwanderung von Kapital und Unternehmen. Umgekehrt haben Länder mit einer guten Standortpolitik viel größere Chancen, von ausländischen Investitionen und Unternehmen zu profitieren. Die heimische Wirtschaftspolitik ist also immer wichtiger geworden und anhaltende politische Fehler werden eher bestraft als früher.

Gleichzeitig sind aber auch die internationalen Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Erfolg auf nationaler Ebene immer wichtiger geworden. Wer dauerhaft wachsen und prosperieren will, darf keine Strafzölle erheben, sondern muss Waren und Kapital frei fließen lassen, denn es gibt kaum wettbewerbsfähige Staaten, die anhaltend protektionistisch vorgehen. Es gilt aber auch: Wer Freihandel zulässt, sollte wettbewerbsfähig sein.

Für die Weltwirtschaft und damit auch Deutschland markiert das Jahr 1926 eine problematische Abbiegung auf einem damals ohnehin krummen Weg. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Welt schon einmal handelsmäßig stark integriert. Zwischen den beiden Weltkriegen kam es jedoch zu höheren Handelsbarrieren und die handelsbezogene Globalisierung nahm deutlich ab. 1926 hatte Deutschland zwar die Hyperinflation bereits hinter sich, aber litt immer noch unter hohen Reparationszahlungen, starker Verschuldung und damit verbundenen Restriktionen des internationalen Kapitalverkehrs, die auch die Handelsmöglichkeiten einschränkten.

Doch der eigentliche Schlag gegen die Handelsoffenheit stand noch bevor. Denn im Zuge der Weltwirtschaftskrise kam es zu einem massiven protektionistischen Rückschlag und einem damit verbundenen Währungskrieg, ausgehend von den USA mit der Einführung des Smoot-Hawley-Zollgesetzes im Juni 1930. Das protektionistische Gesetz sah hohe US-Zölle für über 20.000 Produkte vor, um die Wirtschaft der Vereinigten Staaten vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Andere Staaten schotteten sich ebenfalls ab und die Protektionsspirale nahm ihren Lauf. Darunter litten letztlich aber alle beteiligten Staaten und die Krise wurde nur weiter verschärft.

Die Lehren aus dieser Episode zogen die westlichen Siegermächte allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie schufen internationale Organisationen wie das GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen), den Internationalen Währungsfonds und im Rahmen des Bretton Woods Systems eine verlässliche internationale Währungsordnung mit grundsätzlich festen Wechselkursen für das folgende Vierteljahrhundert.

Die 50-Jahre: Deutschland blüht auf 

Ludwig Erhard war überzeugt von den großen Vorteilen der internationalen Offenheit. Er sah die Offenheit auch als Instrument der Wettbewerbspolitik nach innen, weil mehr Importe die damals noch schwache Wettbewerbsintensität in Deutschland erhöhen sollten. Dabei galt ihm in der Sozialen Marktwirtschaft die Wettbewerbsintensität zurecht als wichtige Triebkraft für eine hohe Wettbewerbsfähigkeit, weil sie die Unternehmen antreibt, produktiver und innovativer zu werden.

Erhard führte die deutsche Wirtschaft in den 1950er Jahren sehr schnell wieder auf den Weltmarkt zurück. Das gelang vor allem durch den Beitritt zum GATT und die damit verbundenen Zollsenkungen sowie durch die zügige Einführung der Konvertibilität der D-Mark bei Handelsgeschäften. Parallel erlebte Deutschland sein Wirtschaftswunder und zeigte damit eine Wettbewerbsfähigkeit von überraschender Kraft und Dynamik – wie sie später nie wieder einen längeren Zeitraum erreicht werden sollte.

Das Wirtschaftswunder wurde auch durch gute Exportleistungen begünstigt. Deutschland verstand es, die Weltmarktintegration zu seinen Gunsten zu nutzen. Deutsche Unternehmen wussten ihre Stärken bei der nicht-preislichen Wettbewerbsfähigkeit auszuspielen – also hohe Qualität, Innovation und Liefertreue. Doch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im engeren Sinne – also jene Wettbewerbsfähigkeit, die vereinfacht gesagt über einen hohen Exporterfolg vermessen werden kann –  war in dieser Zeit dadurch künstlich verbessert, dass die D-Mark im Bretton-Woods-System deutlich unterbewertet war. Das machte deutsche Exporte auf dem Weltmarkt künstlich billig und befeuerte die jahrelang dauernde kontroverse Aufwertungsdebatte der 1960er Jahre.

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