




Selbst Wolfgang Schäuble schien sich nicht so recht für den Kern seiner Arbeit zu interessieren. Immer wieder blätterte er in seinen Unterlagen, versicherte sich bei seinem Staatsekretär, sobald er eine Zahl nannte. Erst ganz zum Schluss brachte er zumindest das Pathos auf, das zu seiner gesamten Präsentation gepasst hätte. Es gehe hier um das „Schicksalsbuch der Nation“, so Schäuble.
Er sprach vom Bundeshaushalt 2016, den er da präsentierte. Zum zweiten Mal wird der ausgeglichen sein, vor allem aber: Es ist der erste, für den die Schuldenbremse gilt. Vor lauter Griechenland-Krise und vielleicht auch aufgrund des hartnäckigen Hustens, der den Finanzminister derzeit plagt, schien dieser historische Moment sogar an seinem offensichtlichen Gewinner vorbeizugehen.
Während sich das alles überstrahlende Drama Griechenland zur Hängepartie zurückentwickelt, könnte dieses unterbelichtete Ereignis nachträglich noch seine schicksalhafte Bedeutung erweisen. Denn die Schuldenbremse wird die Politik in diesem Land tatsächlich verändern – und zwar nicht zum Guten.
Eckdaten des Bundeshaushalts 2014 bis 2018
Geplant sind Ausgaben von 296,5 Milliarden. Die Steuereinnahmen werden mit 268,2 Milliarden Euro veranschlagt. Zur Deckung der Lücke zwischen den gesamten Einnahmen und Ausgaben werden 6,5 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Rechnet man Konjunktureffekte heraus, weist das Budget einen "strukturellen" Überschuss von 0,05 Prozent der Wirtschaftskraft aus.
Geplant sind Ausgaben von 299,5 Milliarden. Die Steuereinnahmen werden mit 278,5 Milliarden Euro veranschlagt. Erstmals seit 1969 muss der Bund keine neuen Schulden aufnehmen.
Auch in den kommenden Jahren will die Koalition ohne neue Kredite auskommen. Die Ausgaben steigen bis 2018 auf 329,3 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen dürften dann bei 311,8 Milliarden Euro liegen.
Die Investitionsquote sinkt in der mittelfristigen Finanzplanung weiter. Dieses Jahr sind 25,5 Milliarden Euro geplant. Gegen Ende des Finanzplans stagnieren sie zwischen 27 und 28 Milliarden Euro. Gemessen am wachsenden Ausgabenrahmen sinkt damit der Anteil der Investitionen im Haushalt.
Für Rentenkassen, Gesundheitssystem und Familienleistungen ist 2015 ein Anstieg auf gut 153 Milliarden Euro geplant, bis 2018 sollen es fast 172,3 Milliarden sein. Für Bildung, Wissenschaft und Forschung stehen 2015 insgesamt fast 21,3 Milliarden Euro bereit, 2018 sollen es fast 24 Milliarden Euro sein.
Überschüsse sind in der aktuellen Finanzplanung nicht vorgesehen. Die in den vergangenen Jahrzehnten aufgelaufenen Bundesschulden von rund 1300 Milliarden Euro werden sozusagen eingefroren. Weil zugleich das Bruttoinlandsprodukt steigt, geht die Schuldenquote gemessen an der Wirtschaftskraft aber zurück – von 76 Prozent 2014 auf unter 70 Prozent bis Ende 2017. Für Zinsen auf die Altschulden sind 2014 und 2015 rund 27 Milliarden Euro fällig. Das ist der zweitgrößte Etatposten. Am meisten Geld fließt ins Sozialsystem, vor allem in die Rente.
Der Bund will Länder und Gemeinden etwa bei der Bildung und der Kinderbetreuung um sechs Milliarden Euro entlasten. So übernimmt er ab 2015 alleine die Finanzierung der Ausbildungsförderung für Schüler und Studenten (Bafög). Zudem sollen in dieser Legislaturperiode zusätzlich fünf Milliarden Euro in die öffentliche Verkehrsinfrastruktur fließen und somit Straßen, Brücken und Schienen saniert werden.
Die Schuldenbremse legt fest: Ab 2016 muss der Bund ohne neue Schulden auskommen, ab 2020 gilt das dann auch für die Länder. Ausnahmen gibt es nur bei Naturkatastrophen oder schweren Rezessionen. Kredite, die jeder Unternehmer ganz selbstverständlich als Teil seiner Geschäftstätigkeit aufnimmt, werden damit für den Staat zum Tabu. Schulden sind nur noch in Form von Konjunkturprogrammen möglich, die den Selbstzweck erfüllen, die Konjunktur wieder in Fahrt zu bringen. Der innere Nutzen der geförderten Projekte steht an zweiter Stelle.
Schuldenbremse schränkt Entscheidungsfreiheit ein
Das macht die Schuldenbremse zur Staatsblockade. Finanziert wird, was rein passt. Damit aber wird der Kern dessen auf den Kopf gestellt, was Politik ausmacht: Entscheidung und Verantwortung. Damit ein Politiker für eine Entscheidung verantwortlich gemacht werden kann, muss er überhaupt eine Wahl gehabt haben. Diese Freiheit aber wird durch die Schuldenbremse massiv eingeschränkt, weil sie jede Ausgabe ohne Gegenfinanzierung unmöglich macht: Hier kürze ich, ich kann nicht anders.





Aus politischer Sicht mag das rational sein. Die Regierung entmachtet sich ein Stück weit selbst, muss sich im Gegenzug aber nicht länger sorgen, für ihre Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Gesellschaftlich ist diese Selbstentmachtung gefährlich. Wo es nichts mehr zu entscheiden gibt, da gibt es aus Sicht des Wählers auch keinen Grund mehr, sich um die Besetzung politischer Posten zu kümmern. Die machen doch ohnehin alle das Gleiche. Am Ende interessieren sich nur noch Radikale für Wahlen.
Die Schuldenbremse liest sich zudem wie das Eingeständnis der Unfähigkeit zur Selbstkontrolle. Denn die Regelung sagt aus: Wir würden ja gerne sparen, aber wir wissen, dass wir es am Ende nicht durchhalten. Hier ist der Schlüssel zu meiner Hausbar, bitte versteck ihn vor mir.
Welchen Schaden die Schuldenbremse anrichtet, zeigt sich schon in der jetzt vorgestellten Finanzplanung bis 2019. Es ist unbestritten, dass wir Investitionen in Infrastruktur brauchen. Ebenso unbestritten ist, dass der Bund derzeit so günstig Kredite aufnehmen kann wie selten zuvor. Im Haushalt aber ist kein Wachstum der Investitionen vorgesehen. Das sollen Private übernehmen. Der einzige Grund dafür ist der Fetisch der Schuldenfreiheit.
So ist die Spirale der Schuldzuweisungen schon absehbar, falls mal etwas schief geht. Der Betreiber hat es verbockt. Aber wir können jetzt leider nichts mehr daran machen, Vertrag ist Vertrag, pacta sund servanda. Politik? Eine Kette von ärgerlichen Unvermeidbarkeiten.