Deutschland Die Zeit des Politik-Managements läuft ab

Die Politik wird von Manager-Typen dominiert. Doch deren Alternativlosigkeit ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn Ordnungen zerfallen, müssen Alternativen diskutiert werden. Die Folgen des Mangels an politischer Debatte erleben wir gerade deutlich.

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Politker oder Manager: Die Grenzen sind fließend. Quelle: imago images

„Alternativlos“ gehört zu den Worten der Bundeskanzlerin, die im Gedächtnis bleiben werden. Seit es 2010 zum „Unwort des Jahres“ erklärt wurde, verwendet Angela Merkel den Ausspruch nicht mehr. Doch stellt sie das, was sie tut, noch immer als alternativlos dar. Sie umschreibt es nur mit anderen Worten, wie: „Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird“.

Merkel ist nicht die Erfinderin des Anspruchs auf Alternativlosigkeit. Der Sache nach schon gar nicht, aber auch nicht dem Begriff nach. Es war Margaret Thatcher, die in der Frühphase ihrer Regierungszeit „there is no alternative“  zum Slogan ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik machte. TINA wurde daraufhin ihr Spitzname.

Linke Soziologen – sie sind auf Thatcher allein deswegen nicht gut zu sprechen, weil sie einmal sagte, dass es so etwas wie eine Gesellschaft nicht gebe – erklären diesen Anspruch auf Alternativlosigkeit als undemokratische Methode, „neoliberale“ Verhältnisse durchzusetzen. Der heutige Kapitalismus werde als „Zwang“ erlebt und von seinen Profiteuren sogar so dargestellt.

Die Alternativlosen sind stets an der Macht

Doch dieser Vorwurf von links verschweigt, dass zu den vorgeblichen Alternativlosigkeiten der Politik in der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit mindestens ebenso viele linke wie neoliberale Projekte gehören. Darüber beschweren sich linke Vordenker nicht. Eine andere Eigenschaft weisen die Alternativlosen allerdings immer auf: Sie sind stets an der Macht – oder stehen kurz davor, sie zu übernehmen, weil sie die Köpfe der Menschen schon beherrschen.

In der Mitte der Sechzigerjahre musste ein Leser des "Spiegel" oder der "Zeit" glauben, dass es keine vernünftige Alternative zu einer von John Maynard Keynes inspirierten Konjunkturpolitik gebe.

Nicht nur Merkel, sondern das gesamte politische Establishment handelt nach einem Verständnis von Politik, das sich in bedenklichem Maße vom eigentlich „Politischen“ entleert hat. Es ist ein un- oder besser sogar anti-politisches Verständnis ihres Berufes. 

Berlin und die Landeshauptstädte werden von einem Typus von Politikern bevölkert, die ihre Rolle mit der von Managern verwechseln – nicht erst wenn sie, wie Gerhard Schröder, Roland Koch oder Ronald Pofalla tatsächlich zu Unternehmensmanagern werden. In der krisenhaften Gegenwart gerät dieser Typus an seine Grenzen, denn politische Krisen verlangen nicht nach Management, sondern nach politischen Antworten.

Steinbrück heuert bei der ING-DiBa an
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Der Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr ist ab November Generalbevollmächtigter bei Allianz Private Krankenversicherung (APKV). Quelle: dapd
parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium Ursula Heinen-Esser (l) Quelle: dpa
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Bundestagsabgeordnete und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Jan Mücke Quelle: dpa

Manager müssen nicht über Ziele diskutieren

Für einen Manager steht der Zweck seiner Arbeit fest. In der freien Wirtschaft ist das in erster Linie: Profit. Die Wertschöpfung sollte ein ehrbarer Manager selbstverständlich in ethisch verantwortungsvoller Weise erstreben. Aber am Zweck ändert das nichts. Kein Manager muss seine Stakeholder fragen, was sein Ziel ist. Und er hat auch kein Recht, das Ziel der Organisation selbst zur Disposition zu stellen. Den richtigen Weg zum Profit zu finden und zu gehen, ist sein Job. Ein anderes, ein „höheres“ Ziel hat der Vorstandschef nicht zu haben. Er führt das Unternehmen, um die materiellen Interessen der Stakeholder zu bedienen. Die Kriterien für Erfolg oder Misserfolg sind vor allem in der Bilanz abzulesen.

Das Ziel politischen Handelns scheint für viele Politiker ebenso indiskutabel vorgegeben und die Kriterien des Erfolges ebenso eindeutig wie die in der freien Wirtschaft. Im Zweifelsfall geht es darum, für Wettbewerbsfähigkeit und für Wachstum zu sorgen – wie in einem Konzern. Das Kriterium des Erfolges ist das Abschneiden auf dem „Wählermarkt“.

Die Politik hat sich von den großen Träumen verabschiedet

Die Tendenz zum derartigen Politmanagement gibt es schon lange. Der Glaube an die Alternativlosigkeit der etablierten Regierungspraxis ist ein Ergebnis der schmerzhaften Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nach den Kulturbrüchen der Weltkriege, den wirtschaftlichen Krisen und ideologischen Kämpfen, vor allem aber den Verbrechen der Nationalsozialisten und anderer Totalitarismen in der ersten Jahrhunderthälfte, erschien der Abschied von großen Träumen angeraten.

Als letzter Zweck blieb die Steigerung des Wohlstandes. Ein nach 1945 unbestreitbar sinnvoller Zweck. Ihn zu erfüllen versprachen vor allem ökonomische Praktiker. Sie setzten um, was eine rationale Wirtschaftswissenschaft vorgab. Erfolgskriterium war in den vergangenen Jahrzehnten, für möglichst hohes Wirtschaftswachstum zu sorgen. Im Windschatten dieses lange Zeit unbestrittenen Ziels der Wohlstandsmehrung konnte sich die politische Klasse das Nachdenken über andere Ziele abgewöhnen.

Was Politik von Management unterscheiden sollte

Oberflächlich betrachtet haben Politiker und Manager vieles gemeinsam. Sie treffen Entscheidungen für Menschengruppen, sie organisieren ihre Machtbereiche und streben nach deren Ausweitung.

Doch es ist wichtig, den fundamentalen Unterschied zwischen beiden Berufen deutlich zu machen: Er liegt nicht im unterschiedlichen Verantwortungsbereich – Unternehmen und staatliche Gemeinwesen –, sondern, was fatalerweise oft unterschlagen wird: den Zweck des Handelns.

Politisches Handeln unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom Management: Es braucht, wenn es den Bürger nicht entmündigen und sich selbst zu einer Maske der Macht herabwürdigen will, die Diskussion der Ziele und die Frage nach dem Sinn. Politische Herrschaft muss also ihre Ziele und damit sich selbst rechtfertigen, wenn sie legitim sein will.

Von Merkel - und nicht nur von ihr - sind die Angebote an die Bürger in dieser Hinsicht höchst bescheiden. Im Dauerkrisenmodus der letzten zehn Jahre haben die große Koalition und der Rest des im Bundestag vertretenen Parteienspektrums, den man kaum noch Opposition nennen mag, die Diskussion der Ziele ihrer geschäftigen Tätigkeit in Berlin-Mitte gemieden. Wenn die oberste Durchwurstelmanagerin Merkel bei seltenen Gelegenheiten einen Einblick in ihre politischen Ziele gibt (oder zumindest so tut), ist man sprachlos ob der Leere, die sich auftut. Der zentrale, programmatische Satz ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag von 2015 war dieser: "Deutschland soll in 25 Jahren ein Land sei, das offen, neugierig, tolerant und spannend ist – mit einer starken eigenen Identität."

Ein Land kann nicht neugierig oder spannend sein

Natürlich ist es blanker, ja geradezu lächerlicher Unsinn, den Bürgern ein „spannendes“ und „neugieriges“ Land in Aussicht zu stellen. Der zentrale Satz Merkels ist ebenso sinnlos wie – nur ein Beispiel – diese Forderung im gültigen Grundsatzprogramm der CDU: „Die Gesellschaft muss gemeinsam Verantwortung dafür tragen, dass jeder in ihr seinen Platz finden kann.“ Eine Gesellschaft kann genauso wenig Verantwortung tragen, wie ein Land neugierig oder spannend sein kann.

Was Merkel und die große Koalition wirklich für Deutschland wollen, oder ob sie überhaupt etwas wollen, bleibt nebulös: zum Beispiel jenes „das“, das „wir“ ihrer Ansicht nach „schaffen“ werden.

Und so spekulieren die politischen Analysten weiter, wie der Masterplan hinter dem „freundlichen Gesicht“, das Merkel und ihre Anhänger in allen etablierten Parteien seit September 2015 präsentieren, aussehe.

Will die Regierung der deutschen Wirtschaft unbegrenzt billige Arbeitskräfte verschaffen, um den Standort Deutschland zu retten? Will sie der Weltgeschichte vorauseilen und aus Deutschland eine neue, „bunte“ Nation machen? Oder ist sie tatsächlich von einem ethischen Impuls getrieben und glaubt, Deutschland zur moralischen Weltmacht machen zu können, die den Rest Europas mitreißt? Aber was unterscheidet die Einreisewilligen im September in Budapest von denen im März in Idomeni?

Solche Fragen – politische Fragen – bleiben unbeantwortet.

Es gibt keinen Masterplan

Wer die Kanzlerin und die gesamte politische Klasse in den letzten Jahren und Jahrzehnten beobachtet hat, kann eher zu einem für Politologen und Verschwörungstheoretiker enttäuschenden, langweiligen Schluss kommen: Es gibt vermutlich keinen Masterplan. Zumindest keinen, der über den Machterhalt durch die Vorbereitung einer schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene hinausgeht.

Was ist von einer Parteivorsitzenden und einer Partei auch anderes zu erwarten, die ihr Grundsatzprogramm 2007 ausgerechnet von Ronald Pofalla schreiben ließ? Ein Mann, damals CDU-Generalsekretär, dann Kanzleramtsminister und seit Januar 2015 Spitzenmanager bei der Deutschen Bahn, der nie durch einen programmatischen Gedanken auffiel. Der frühere "Handelsblatt"-Chefredakteur Bernd Ziesemer charakterisierte Pofalla einmal so: „Wenn er in seiner Freizeit nicht auf der Niers paddelt, rudert der Vielredner gern im Meer der nichts sagenden Phrasen herum.“

Altmaier ist Fleisch gewordenes Regierungsmanagement

Pofallas Nachfolger im Kanzleramt, Peter Altmaier, ist ebenso Merkel-treu, vielredend und frei von eigenen politischen Überzeugungen. Seine Auftritte in diversen Fernseh-Talkshows sind berühmt für das Fehlen jeglicher auch nur angedeuteter Abweichung von seiner Herrin.

Altmaier ist nicht zufällig derjenige, den Merkel zum Koordinator – man könnte auch sagen „Manager“ – der Flüchtlingspolitik gemacht hat. Er ist das Fleisch gewordene Regierungsmanagement im Dienst einer Sache, die nicht mehr grundsätzlich hinterfragt wird. Er managt die deutsche Regierung im Dienste seiner Chefin wie ein Vorstandschef einen Konzern im Dienste der Aktionäre.

von Gregor Peter Schmitz, Max Haerder, Christian Ramthun, Christian Schlesiger, Cordula Tutt

Eine offene Diskussion und ein demokratischer Wettstreit über grundlegende Ziele und Alternativen in den beiden wichtigsten Krisen der Gegenwart – Währungsunion und Einwanderung – findet bei allen im Bundestag vertretenen Parteien nicht statt. Die Bundesregierung erklärte beide Krisen zu Aufgaben für Polit-Manager und Technokraten – erleichtert durch das Ausbleiben oder allenfalls die Simulation von Kritik durch die Nicht-Regierungsparteien.

Wenn Ordnungen zerfallen, müssen Alternativen diskutiert werden

Es kann eigentlich niemanden überraschen, dass ein solches von politischen Grundsatzfragen entkerntes Verständnis des Regierens in einer historischen Phase, die durch den Umbruch oder gar Zerfall überkommener Ordnungen in Deutschland, Europa und der Welt gekennzeichnet ist, an seine Grenze stößt. Denn Ordnung zu bewahren oder neu zu schaffen, ist die politische Aufgabe schlechthin. Da ist Politik gefragt, also der Wettstreit um grundlegende Entscheidungen des Zusammenlebens im Gemeinwesens, nicht Management zur Optimierung der Produktivität.

Die Folgen der Enttäuschung über den Mangel an Politik erleben wir gerade deutlich. Es ist kein Zufall, dass die neue Partei, die von dem Unmut über jenes Staatsmanagement profitiert, sich „Alternative für Deutschland“ nennt.

Vermutlich tut ihr Aufkommen der Vitalität des demokratischen Systems gut. Den Anstieg der Beteiligung an den jüngsten Landtagswahlen kann man als Indiz dafür betrachten. Die etablierten Parteien wären gut beraten, die Herausforderung anzunehmen, also den Diskurs über Alternativen nicht unterbinden, sondern sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu besinnen: den Wettstreit der Zwecke führen.

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