Deutschland Die Zeit des Politik-Managements läuft ab

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Es gibt keinen Masterplan

Wer die Kanzlerin und die gesamte politische Klasse in den letzten Jahren und Jahrzehnten beobachtet hat, kann eher zu einem für Politologen und Verschwörungstheoretiker enttäuschenden, langweiligen Schluss kommen: Es gibt vermutlich keinen Masterplan. Zumindest keinen, der über den Machterhalt durch die Vorbereitung einer schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene hinausgeht.

Was ist von einer Parteivorsitzenden und einer Partei auch anderes zu erwarten, die ihr Grundsatzprogramm 2007 ausgerechnet von Ronald Pofalla schreiben ließ? Ein Mann, damals CDU-Generalsekretär, dann Kanzleramtsminister und seit Januar 2015 Spitzenmanager bei der Deutschen Bahn, der nie durch einen programmatischen Gedanken auffiel. Der frühere "Handelsblatt"-Chefredakteur Bernd Ziesemer charakterisierte Pofalla einmal so: „Wenn er in seiner Freizeit nicht auf der Niers paddelt, rudert der Vielredner gern im Meer der nichts sagenden Phrasen herum.“

Altmaier ist Fleisch gewordenes Regierungsmanagement

Pofallas Nachfolger im Kanzleramt, Peter Altmaier, ist ebenso Merkel-treu, vielredend und frei von eigenen politischen Überzeugungen. Seine Auftritte in diversen Fernseh-Talkshows sind berühmt für das Fehlen jeglicher auch nur angedeuteter Abweichung von seiner Herrin.

Altmaier ist nicht zufällig derjenige, den Merkel zum Koordinator – man könnte auch sagen „Manager“ – der Flüchtlingspolitik gemacht hat. Er ist das Fleisch gewordene Regierungsmanagement im Dienst einer Sache, die nicht mehr grundsätzlich hinterfragt wird. Er managt die deutsche Regierung im Dienste seiner Chefin wie ein Vorstandschef einen Konzern im Dienste der Aktionäre.

von Gregor Peter Schmitz, Max Haerder, Christian Ramthun, Christian Schlesiger, Cordula Tutt

Eine offene Diskussion und ein demokratischer Wettstreit über grundlegende Ziele und Alternativen in den beiden wichtigsten Krisen der Gegenwart – Währungsunion und Einwanderung – findet bei allen im Bundestag vertretenen Parteien nicht statt. Die Bundesregierung erklärte beide Krisen zu Aufgaben für Polit-Manager und Technokraten – erleichtert durch das Ausbleiben oder allenfalls die Simulation von Kritik durch die Nicht-Regierungsparteien.

Wenn Ordnungen zerfallen, müssen Alternativen diskutiert werden

Es kann eigentlich niemanden überraschen, dass ein solches von politischen Grundsatzfragen entkerntes Verständnis des Regierens in einer historischen Phase, die durch den Umbruch oder gar Zerfall überkommener Ordnungen in Deutschland, Europa und der Welt gekennzeichnet ist, an seine Grenze stößt. Denn Ordnung zu bewahren oder neu zu schaffen, ist die politische Aufgabe schlechthin. Da ist Politik gefragt, also der Wettstreit um grundlegende Entscheidungen des Zusammenlebens im Gemeinwesens, nicht Management zur Optimierung der Produktivität.

Die Folgen der Enttäuschung über den Mangel an Politik erleben wir gerade deutlich. Es ist kein Zufall, dass die neue Partei, die von dem Unmut über jenes Staatsmanagement profitiert, sich „Alternative für Deutschland“ nennt.

Vermutlich tut ihr Aufkommen der Vitalität des demokratischen Systems gut. Den Anstieg der Beteiligung an den jüngsten Landtagswahlen kann man als Indiz dafür betrachten. Die etablierten Parteien wären gut beraten, die Herausforderung anzunehmen, also den Diskurs über Alternativen nicht unterbinden, sondern sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu besinnen: den Wettstreit der Zwecke führen.

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