Deutschland setzt Umweltschutz nicht durch Der Diesel-Skandal war erst der Anfang

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Green-Washing ist weit verbreitet

3. Immobilien
Auch im Großen wird betrogen. Beim Verkauf einer Immobilie müssen die Besitzer Kaufwilligen offenlegen, wie hoch der Energieverbrauch eines Gebäudes ist. Doch die tatsächlich nötigen Mengen an Fernwärme, Gas oder Öl sind oft um einiges üppiger als ausgewiesen. Also wird das Heizen teurer als erwartet. „Da wird am Computer vieles grün gerechnet“, beklagt der Sachverständige Klaus Knoll, der in Leipzig ein großes Ingenieurbüro betreibt.

Knoll kennt alle Tricks. Bei Fernwärme könne man bei ein und demselben Gebäude auf Werte im grünen oder im roten Bereich der Verbrauchsskala kommen, bei Öl- oder Gasheizungen lasse sich der Ausweis immerhin vom roten in den gelben oder vom gelben in den grünen Bereich verschieben. Je nachdem, welche mehr oder weniger realistischen Annahmen man bei der Berechnung zugrunde legt. Das ist legal, aber alles andere als hilfreich. „Niemand tut etwas dagegen“, sagt Knoll, dessen Firma auf die technische Ausrüstung von Gebäuden spezialisiert ist. Die Einzigen, die Interesse an verständlichen Angaben hätten, sind Mieter oder Käufer – und die sind meist ahnungslos.

4. Bioabfälle
Nicht nur teuer, sondern unappetitlich wird die Trickserei beim Müll, vor allem bei dem, was Gartenbesitzer auf den Kompost kippen oder bei gekochten oder verarbeiteten Essensreste. Die Deutschen müssen diese Reste aus dem Haushalt getrennt entsorgen – in der Biotonne. Allerdings haben bisher nur wenige Menschen diese Tonne, viele dürften sie nicht einmal kennen. Das ärgert Peter Kurth, den Chef des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE), gewaltig. Ohne Umsetzung der Politik könne die Branche nicht investieren. „Seit 2015 ist kaum etwas passiert“, ärgert sich Kurth. „Das Gesetz gilt jetzt auch schon drei Jahre.“ Kurth begann selbst mal als CDU-Politiker. Aber: „Wenn die Bundesregierung ihre Regeln nur beschließt und nicht umsetzt, kann sie es gleich bleiben lassen.“

In Berlin beispielsweise hat Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen nun verkündet, vom 1. April 2019 an in der ganzen Hauptstadt Biomüll einsammeln zu lassen – mehr als vier Jahre nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Hört man Kurth länger zu, könnte man meinen, der Industrievertreter wünsche sich einen durchsetzungsstarken Umweltminister wie Jürgen Trittin (Grüne) zurück. Der Verbandschef hält die schwarz-rote Koalition jedenfalls für unentschlossen bis hilflos.

5. Motorradlärm
Wunsch und Wirklichkeit auch hier: Motorräder sind oft deutlich lauter als offiziell angegeben. Die Bundesregierung sieht trotzdem keine Handhabe, gegen falsche Angaben und zum Schutz von Anwohnern vorzugehen. Für die Typgenehmigung bescheinigten die Hersteller sich selbst, dass sie die zulässigen Lärmgrenzen einhielten, heißt es in der Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag. Auch würden für diese Werte gerade einmal „im Geschwindigkeitsbereich zwischen 20 und 80 km/h“ gemessen. Mehr nicht.

Zur Kontrolle des tatsächlichen Lärmpegels der Krafträder auf der Straße fühlt sich die Bundesregierung nicht in der Lage – trotz Gesundheitsgefahren. „Die Überwachung und Ahndung von Verstößen gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften obliegt (…) den Ländern“, heißt es. Versuche von baden-württembergischen Behörden haben gezeigt, dass manche Motorräder doppelt laut sind wie angegeben, wenn Tester die Prüfbedingungen praxisnah gestalten. Der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer beklagt deshalb: „Wie auch beim Abgasskandal bleibt die Bundesregierung beim Motorradlärm untätig und verweist, wo es nur geht, auf die internationale Ebene.“ Das helfe aber Menschen an Raserstrecken oder in der Nähe von städtischen Kreuzungen nichts. Überhaupt sei das erst der Anfang: „Den eigentlichen Skandal, dass auch Motorradhersteller Abschalteinrichtungen verbauen und mit Zykluserkennungen bei den Lärmgrenzwerten tricksen, sitzt die Bundesregierung komplett aus.“

Da würden Gesetze produziert, deren Verstoß aber „ohne Konsequenzen in irgendeiner Weise“ bliebe, klagt Krischer. Das Prinzip sei stets: Der Bund mache das Gesetz, die Länder sollten es umsetzen und die Kommunen am Ende kontrollieren. „Das funktioniert überhaupt nicht, jede Ebene drückt sich.“ Deshalb, so Krischer, müsse in jedes Gesetz geschrieben werden, wer für die Umsetzung, die Kontrolle und die Ahndung von Verstößen zuständig sei. Hersteller von Fahrzeugen oder technischen Geräten müssten auch herangezogen werden, um eine korrekte Prüfung durch staatliche Stellen zu finanzieren. Da könne man für jedes verkaufte Produkt eine Gebühr verlangen, meint Krischer. In skandinavischen Ländern würde das so gehandhabt. Ohne Umsteuern gäbe es weiterhin den Dominoeffekt: „Alle machen beim Schummeln mit, sonst schneiden sie ja schlechter ab als andere.“

Günther Blessing, der Volkswagen-Kläger, fürchtet, dass er mit seinem dreckigen Passat bald nicht einmal mehr nach Stuttgart zur Verwandtschaft fahren könne. Dann, wenn Dieselfahrverbote auch dort in Kraft treten würden. Blessing hält sein Auto inzwischen für kaum mehr verkäuflich, schon gar nicht ohne Wertverlust. Und Softwareupdates? „Eine Unverschämtheit“, sagt er. Seine Frau bekommt statt des Diesels jetzt einen Benziner. Allerdings auch von Volkswagen, obwohl die Wolfsburger ihn so betrogen haben. Blessings sonst so klare Konsequenz – hier fällt sie einmal aus. „Sie liebt halt den Polo.“

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