Deutschlands Defizite Wir heben unsere Datenschätze nicht – und verspielen neuen Wohlstand

Quelle: imago images

Daten und Digitalisierung gehören zu den komplexesten und vielversprechendsten ökonomischen Werttreibern unserer Zeit. Leider lässt Deutschland diese Märkte selbst verschuldet liegen. Das muss sich schleunigst ändern, fordert Roland Koch, Vorsitzender der Ludwig Erhard Stiftung, in einem Gastbeitrag.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Mitten auf dem Weg in eine Rezession muss es die Anstrengung aller, besonders aber auch der Politik, sein, wirtschaftliches Wachstum zu beschleunigen, wo immer wir Chancen dazu haben. Datengetriebene Unternehmen haben einer Studie der Beratungsgesellschaft CapGemini zufolge 22 Prozent mehr Gewinn und pro Mitarbeiter 70 Prozent mehr Umsatz als ihre Wettbewerber. Der „Datenmarkt“ ist einer der am schnellsten wachsenden Märkte der Welt.

Wenn man schaut, was sich in den vergangenen 20 Jahren im Silicon Valley getan hat, und wenn man sich vor Augen führt, dass in Taiwan rund zwei Drittel der modernsten Hochleistungschips produziert werden, muss diese Ausgangslage besorgt machen. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Positiv dürfen wir vermerken: Die Vernetzung von Mensch und Maschine ist in Deutschland sehr weit vorangekommen. Den Wettbewerb um die Autos der Zukunft haben wir noch nicht verloren, und auch wenn Taiwan der größte Hersteller von Halbleitern ist – ohne die Innovationen von Trumpf, Zeiss und dem Fraunhofer-Institut gäbe es gar keine Hochleistungshalbleiter. Theoretisch ist es also möglich, den Umgang mit Daten zu einem Wachstumsmotor in Deutschland zu machen. Wir tun allerdings aktuell das glatte Gegenteil.

  • Das Bundeswirtschaftsministerium legt dem Deutschen Bundestag ein „Energieeffizienzgesetz“ vor, welches vorschreibt, dass schon 2024 die Hälfte und ab 2025 der ganze benötigte Strom aus regenerativen Quellen kommen soll. Die rund 47.000 Rechenzentren in Deutschland verbrauchen eineinhalbmal so viel Strom wie die Millionenstadt Hamburg. Von daher stellt sich die Frage, wie man die Ziele des Energieeffizienzgesetzes verwirklichen soll. Welches Risiko muten wir mit einer solch ideologisch gefärbten Vorgabe einem unserer wichtigsten Wachstumstreiber zu, und wer glaubt ernsthaft, dass neue Zentren dann noch in der gleichen Geschwindigkeit gebaut werden? Natürlich wird auch die Stromversorgung dieser Industrie grün werden – aber gerade dieser Industrie schwer erfüllbare Vorgaben zu machen schadet dem Land.
  • Zu den großen Hindernissen internationaler Geschäftsaktivitäten in Deutschland und Europa gehört das faktische Verbot, europäische Daten auch in den USA verarbeiten zu lassen. Unsere hyper-eifrigen Datenschutzbeauftragten haben ja lieber unsere Kinder in der Pandemie ohne schulische Betreuung belassen, als dass Zoom oder Microsoft Teams hätten eingesetzt werden durften. Nun hat der US-Präsident mit einer Sonderverfügung Daten aus dem Ausland in den USA einem deutlich höheren Schutz unterstellt. In ganz Europa keimt die leise Hoffnung, dass der EU-Datenprotektionismus vielleicht ein Ende hat und dass der Europäische Gerichtshof seine weltweite Sonderrolle in dieser Frage aufgibt.

    Lesen Sie auch: Deutschlands analoge Amtsstuben sind der Endgegner

    Aber schon sind die deutschen Datenschützer wieder da. Der besonders eifrige baden-württembergische Datenschutzbeauftragte erklärt trotz der Sonderverfügung des US-Präsidenten: „Um Europa langfristig nicht als wichtigen Handels- und Unternehmenspartner zu verlieren, müssen sich die USA auf die Europäische Kommission und die europäischen Datenschutzgrundsätze zubewegen.“ Wie sagt der Verband der deutschen Datenwirtschaft Bitkom zu Recht: „Die Be- oder gar Verhinderung von Datentransfers ist für die Unternehmen mindestens genauso gravierend wie die Unterbrechung der Lieferketten.“
  • Die deutsche Verwaltung ist bei dieser Problematik selbst das abschreckende Beispiel der Unfähigkeit. Das mutige und richtige Onlinezugangsgesetz aus dem Jahr 2017 schreibt vor, dass bis Ende 2022 die Behörden 575 Verwaltungsleistungen hätten anbieten müssen. Stand August 2022 konnten 49 (!) Leistungen vollständig abgebildet werden. Wer aus dem Ausland kommt, kann nur über den papiergetriebenen deutschen Amtsschimmel lachen. Dabei gilt auch: Wir könnten es! Jens Spahn beschreibt in seinem sehr lesenswerten Buch über die Coronakrise, wie er vor einigen Jahren fasziniert im Lagezentrum des Gesundheitsministeriums in Abuja/ Nigeria die elektronischen Lagekarten mit Echtzeitdarstellung von Infektionsfällen oder der Bereitschaft medizinischer Dienste sah. Alles deutsche Produkte, die mit Steuergeldern und vom Helmholtz-Zentrum entwickelt wurden. Um so absurder, dass eine solche präzise Leistungsfähigkeit in Deutschland schon vom Datenschutz ausgehebelt wird. Der Rest an Technik heißt bei uns „Sormas“ und müsste seit Jahren flächendeckend in der deutschen Gesundheitsverwaltung eingeführt sein. Müsste – eben.

Kaffee und Kram Lässt sich Tchibos Niedergang aufhalten?

75 Jahre nach der Gründung bröckelt die Geschäftsbasis von Tchibo. Konzernpatron Michael Herz stemmt sich gegen den Niedergang des Kaffeehändlers.

Eskalation der Geopolitik China bereitet sich auf künftige Sanktionen des Westens vor

China bereitet sich auf eine Eskalation der geopolitischen Konflikte vor – mit massiven Goldkäufen, neuen Handelsrouten und einer verstärkten Abkehr vom Dollar.

Ab ins Umland Die Stadtflucht erreicht eine neue Stufe

Familien und Ältere verlassen schon länger die Städte, um im Umland eine Immobilie zu erwerben. Doch jetzt greift die Stadtflucht auch auf andere Gruppen über.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Keine dieser Blockaden ergibt Sinn. Jede wäre mit einem Machtwort oder einer Richtlinienentscheidung zu beseitigen. Aber diese Themen haben keinen Anwalt. Ein nationales Digitalministerium löst bestimmt nicht alle Probleme. Aber damit jemanden zu haben, der oder die es als Job ansehen müsste, die absurden Zustände zu beenden oder sich dafür verantworten zu müssen, wenn das nicht gelingt. Datenwirtschaft ist eine der komplexesten ökonomischen Werttreiber dieser Jahrzehnte. Die Alternativen für einen schnellen Ausgleich der wirtschaftlichen Schäden dieser Tage sind begrenzt. Eine Regierung, die die Datenwirtschaft auf Platz eins setzt, die eine Gesetzgebung aller Maßnahmen zur Beseitigung von Hindernissen zur Aufgabe aller Ministerien macht und die eine wirksame Abwehr von Angriffen im Cyberraum aufbaut, hätte beim dann folgenden Wirtschaftswachstum ihre helle Freude.

Lesen Sie auch: Das sind die gefährlichsten Hacking-Trends 2023

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%