Deutschlands Zukunftsfähigkeit Es ist Krieg – aber vergesst den Fortschritt nicht!

Klausurtagung der Bundesregierung im Gästehaus Schloss Meseberg Quelle: imago images

Die Ampel-Koalition versammelt sich auf Schloss Meseberg zur ersten Klausur. Dort muss sie sich fokussieren – sonst frisst die Zeitenwende alle politische Restenergie auf. Ein Kommentar.

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Wünschen Sie sich manchmal die Zeit zurück, als die größte Sorge eine Inzidenz von 100 war? Das dürfte der Ampel nicht viel anders gehen. Wenn man heute noch einmal die Präsentation des Koalitionsvertrages durch Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner Revue passieren lässt, kommen einem die Auftritte vor wie Clips aus einem anderen Jahrzehnt.

Scholz, der designierte Kanzler, wie er erst staatsmännisch ernst über 3G doziert (Corona, Sie erinnern sich?) und sich dann diebisch über die Vertraulichkeit der Koalitionäre erfreut. Habeck, der von einer „Zeit der Krise“ spricht – und noch gar nicht ahnt, welche da noch kommen sollte. Lindner, der nur mühsam seinen Stolz in Zaum halten kann, „Entfesselung“ verkündet und ein Versprechen abgibt: „Wir werden das Land nach vorne führen.“

Knapp fünf Monate ist das erst her. Und ein Krieg und eine Zeitenwende später lassen diese Worte wie aus der Zeit gefallen erscheinen. „Mehr Fortschritt wagen“ – auch das Motto der Koalition von damals klingt heute mit all seinem optimistischen Pathos irgendwie seltsam. Die Realität zermürbt sie bereits, der Druck gewaltiger Verantwortung lastet auf ihr; Krise ist ein inflationär gebrauchtes Wort, aber diese Regierung weiß wirklich, was es bedeutet.

Die erste Regierungsklausur der Ampel, die an diesem Dienstag auf Schloss Meseberg beginnt, kommt deshalb keinen Tag zu spät. SPD, Grüne und Liberale täten gut daran, diese Stunden des Innehaltens, Sammelns und Konzentrierens zu nutzen. Ansonsten laufen sie Gefahr, die Fehler zu wiederholen, die sie einst bei Angela Merkel wortreich kritisiert haben.

Die ehemalige Kanzlerin war eine Meisterin des Moments, eine Dirigentin der Gegenwart. Stets wog sie die Deutschen im guten Gefühl, geborgen zu sein, mochten sich da draußen die Wogen noch so hoch türmen. Merkel war eine Trutzburg gegen die Krisen und Konflikte dieser Welt: Fürchtet Euch nicht, Ihr habt ja mich. Allein: Es hatte seinen Preis. In 16 Jahren blieb vieles liegen. Die Kraft, die Merkel im Hier und Jetzt (ver)brauchte, fehlte für perspektivisches Regieren und Reformeifer.

Nun wäre es unfair, einer neuen Regierung nach kaum 16 Wochen Amtszeit den gleichen Vorwurf zu machen. Doch erstens muss sich die Ampel an ihrem eigenen Anspruch messen lassen, so vieles besser, schlauer, vorausschauender machen zu wollen als ihre Vorgänger. Und zweitens zeichnet sich in diesen Kriegstagen eben doch schon ab, dass der Fortschritt auszufallen droht.

Die Aktienrente beispielsweise, obwohl eindeutig für 2022 angekündigt, kommt nicht voran. Für alles sind Milliarden da, aber offenbar nicht dafür. Der einst als große soziale Frage erkannte Wohnungsmangel harrt ebenso einer belastbaren Lösung. Wie das Ziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr angesichts von Fachkräftemangel, fehlenden Grundstücken und explodierenden Baupreisen erreicht werden soll – vollkommen offen.

Was ist mit dem großen Digitalisierungsschub, dem konsequenten Bürokratieabbau? Lassen wir das. Und nicht zuletzt rückt auch die Konsolidierung des Bundeshaushalts in immer weitere Ferne (aus Gründen, schon klar) – ob der Finanzminister da nochmal Ressourcen und Macht für eine Steuerreform wird organisieren können? Wohlgemerkt für etwas, das den Namen Reform auch wirklich verdient? Genug.

Als der Kanzler am Dienstagmorgen in Meseberg zum Auftakt der Klausur kurz vor die Kameras trat, gab er sich von all dem unbeeindruckt zuversichtlich. Das Treffen werde dazu „beitragen, dass die Regierung ihren Kurs zur Modernisierung Deutschlands weiter fortsetzen kann, gerade auch in diesen schwierigen Zeiten“.

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Nun ja. Die üblichen schönen Bilder fürs Fernsehen wird es geben, so viel ist sicher. Den Rest wird Scholz den schwierigen Zeiten aber schon noch abringen müssen.

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