„Deutschlandtag“ der Jungen Union Der gute Wille der Angela Merkel

Einen Tag vor dem Krisentreffen mit der CSU verteidigt Merkel erstmals auf einer Parteiveranstaltung das schlechte Wahlergebnis und ihre Politik. Die Kanzlerin kämpft und überzeugt – und geht gestärkt vom Rednerpult.

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Die Kanzlerin sprach über eine Reihe von Themen und ließ erkennen, wohin die Reise der CDU in der Zukunft geht. Quelle: dpa

Berlin Paul Ziemiak hatte die Sorge, dass tausende Pegida-Demonstranten vor dem Kongresszentrum am Ufer der Elbe in Dresden stehen könnten. Doch es ist niemand gekommen an diesem Samstag, um Angela Merkel niederzuschreien. Nur ein Fahrradfahrer ruft: „Frau Merkel, Sie sind eine Schande für Deutschland, treten Sie zurück!“, als die Parteivorsitzende aus ihrem Dienstwagen steigt und sich auf den Weg zum Deutschlandtag der Jungen Union (JU) macht. Das Spalier bilden andere: JU-Chef Paul Ziemiak, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, CDU-Generalsekretär Peter Tauber und viele andere, die ihr den Rücken stärken.

Merkel besucht erstmals seit der Bundestagswahl eine Parteiveranstaltung, um sich zu rechtfertigen, das schwache Ergebnis bei der Bundestagswahl zu erklären und auch zu beschreiben, was nun aus CDU und CSU wird und wie eine neue Koalition im Bund mit FDP und Grünen aussehen kann. Sie nimmt sich heute mehr Zeit als geplant. Das alles will sie auch noch in Dresden diskutieren, der Geburtsstadt der Pegida-Bewegung, durch die die AfD noch größer wurde und das politische Gefüge grundlegend verändert hat. Rechts neben der Union sitzt künftig eine Partei im Bundestag.

Es ist wichtig, dass sie Rückenwind von der Basis erhält. Protest hat Merkel an diesem Tag allenfalls noch in der Halle zu erwarten. „Inhaltlicher und personeller Neuanfang. Jetzt!“ steht weiß auf schwarz auf einigen Plakaten, die Delegierte in die Luft halten, als Merkel den Saal betritt. „Ergebnis aufarbeiten! Konsequenzen ziehen!“, steht auf einem anderen. Initiator ist Diego Faßnacht, Unionist aus dem Bergischen in Nordrhein-Westfalen – Wahlkreis von Wolfgang Bosbach.

In der Euro- und Flüchtlingskrise stand Bosbach für den konservativen Teil der Partei auf – und geriet unter Merkel ins Abseits. Er zog sich zurück. „Ich bin der Auffassung, dass wir neue Parteivorsitzende brauchen“, sagt Faßnacht. Merkel sowie CSU-Chef Horst Seehofer trügen die Verantwortung für das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1949. Es gehe jetzt darum, „einzugestehen, dass wir die Wahl verloren haben.

Aber Faßnacht bleibt fast allein. Die Mehrzahl der 315 Delegierten klatsch frenetisch, als Merkel in den Saal einmarschiert – nur die aus Bayern nicht. Sie halten ebenfalls Plakate hoch: „Zuwanderung begrenzen“, steht da und: „Alle Ziele erreicht?!“ Als Faßnacht später in der Diskussion fragt, ob Merkel nicht den Weg frei machen wolle für einen Neuanfang, wird er ausgebuht. Der Bosbach der Jungen Union findet keine Mehrheit. Und Merkel sagt: „Ich fühle mich demokratisch legitimiert.“

Doch sie stellt sich auch der Diskussion, unter anderem über den Stimmenverlust von 8,6 Prozent. „Das ist und bleibt enttäuschend“, sagt Merkel. Dennoch sei es auch nicht selbstverständlich, nach zwölf Regierungsjahren erneut den Auftrag zu erhalten, eine Regierung zu bilden. Ihre Analyse: Im Wahlkampf habe die Flüchtlingsfrage verbunden mit ihrer Person polarisiert. Das Thema habe „CDU und CSU wie kein anderes Thema, an das ich mich erinnern kann, erschüttert“.

Hätten sich beide nicht Anfang des Jahres darauf verständigt, mit dem Dissens zu leben, „dann könnten wir uns heute über viele Dinge Gedanken machen, aber sicher nicht um die Frage, wie wir eine neue Bundesregierung bilden“. Jetzt gelte es gemeinsam einen Wählerauftrag umzusetzen. Und die CSU diskutiert wieder den Dissens, weil sie selbst fürchtet, in einem Jahr die absolute Mehrheit in Bayern zu verlieren.

Am Sonntag wird Merkel mit der CSU in Berlin darüber diskutieren, wie eine Einigung aussehen kann. „Ich werde alles, was in meiner Macht steht, einsetzen, um in dieser Frage noch weiter voranzukommen und zwar so, dass sich keiner von uns verleugnen muss“, zeigt sich Merkel versöhnlich und optimistisch. Auch, wenn es der „Quadratur des Kreises“ anmute, wenn die CSU auf die Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr bestehe, die sie selbst mit dem Hinweis auf das Grundgesetz ablehne: „Mit etwas guten Willen sollte es gehen.“ Es sei wichtig, dass „es diese Union für Deutschland weiter gibt“. Einen inhaltlichen Kompromiss deutet sie auch schon an: Sie setze in Deutschland den Familiennachzug bei Flüchtlingen schon „abgestuft um“ angesichts der angespannten Wohnungssituation. Sie will preiswerten Wohnraum schaffen. „Das wird morgen ein Thema sein.“


Merkel lehnt Rechtsruck der Union ab

Einen Rechtsruck aber, wie ihn einige in der Union und auch die CSU fordern, lehnt die Kanzlerin aber weiter ab. Stattdessen sagt sie: „Ich stehe dazu, dass rechts von der Union keine Partei sein sollte.“ Im Applaus erklärt sie: „Das sollten wir schaffen, mit unseren Prinzipien: konservativ, christlich-sozial und liberal. Alle drei Wurzeln müssen repräsentiert werden.“

Mit dieser Richtschnur soll es auch in die Gespräche mit FDP und Grünen gehen – nach der Landtagswahl in Niedersachsen in einer Woche. Dort müht sich die Union trotz Wahlschlappe und Parteienstreit, die Regierung zu übernehmen. Nach anfänglich großem Vorsprung sieht es nicht mehr gut aus für Spitzenkandidat Bernd Althusmann. Merkel will ihm helfen und wird noch vier Mal auf großer Bühne im Land sprechen.

Direkt danach aber soll die erste Jamaika-Koalition in der Geschichte Gestalt annehmen. „Ich möchte, dass sie zustande kommt“, sagt Merkel. Dazu werde die Union für ihre Positionen kämpfen: mit mehr Investitionen, mehr Hilfen für Familien, die letztlich Heimat bedeute, aber auch mit mehr Sicherheit für alle. Dazu will sie etwa ein Rahmengesetz für die Polizei auf den Weg bringen, um „gleiche Standards“ in Deutschland zu schaffen. Zuständig sind jeweils die Länder.

Was immer auch bei den Verhandlungen herauskommen mag: Die Partei darf am Ende mitentscheiden. Das hat die JU in ihrer Dresdner Erklärung gefordert. So soll nicht mehr ein kleiner Kreis ausklüngeln, welchen politischen Kurs die Partei verfolgt. Merkel ist klug genug und unterstützt, „dass wir einen Koalitionsvertrag auf einem Parteitag diskutieren und dann verabschieden“, wie sie sagt. Lang anhaltender Applaus ist ihr sicher.

„Heben wir uns noch ein bisschen Applaus für den Sonderparteitag auf“, sagt sie zufrieden. Schließlich ist das besser als eine Mitgliederbefragung: Unionstrategen wissen, dass die Mehrheit der Mitglieder rechts von der politischen Merkel-Linie steht und eine derartige Abstimmung im Gegensatz zu den Beschlüssen auf einem Parteitag nicht zu kontrollieren und auch eine Abstimmung über sie wäre.

Zum Ende geht Merkel auch noch auf eine andere zentrale Forderung der Jungen ein: frisches Personal ins Kabinett zu berufen. Einer sagt: „Wir brauchen den Aufbruch, damit Sie nicht in vier Jahren mit ihrer Truppe abtreten und wir dann da stehen.“ Merkel sagt zu, dass sie „neue Köpfe berücksichtigen“ werde. Die Union habe immer auf „die Mischung geachtet“ und deshalb etwa Jens Spahn als Staatssekretär ins Kabinett geholt. Die neue Regierung werde „einen rasanten Wandel begleiten müssen“, sagt sie. Dazu seien die Jungen nötig, „die uns klar machen, in welcher Zeit wir leben.“

Am Ende geht sie mit einem Nußknacker als Geschenk nach Hause - den gleichen, den Jens Spahn am Vorabend auch bekommen hat. Vor allem aber trägt sie der Applaus und Jubel. So kann es weitergehen.

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