Wolfgang Kubicki zum Beispiel. Der Anwalt aus Schleswig-Holstein ist das, was man im Angelsächsischen eine „loose cannon“ nennen würde: eine unbefestigt übers schwankende Deck rollende Kanone, die ihr Kugeln unberechenbar durch die Gegend feuert. Mal trifft sie den Gegner schwer, mal demoliert sie den eigenen Rumpf.
Der FPD-Bundestagsvize hat sich in der anschwellenden Debatte um eine allgemeine Impfpflicht früh für die Kontraposition entschieden. Zu einer Zeit wohlgemerkt, als der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sich bereits klar für die Plicht positionierte und auch Kubickis Parteichef Christian Lindner vorsichtig andeutete, eher nicht in Team Kubicki spielen zu wollen.
Wenn man von der Pandemie eines gelernt hat, dann dass man mit kategorischen Festlegungen überaus vorsichtig sein sollte. Dennoch: Es spricht derzeit vieles dafür, dass Kubicki mit seiner Impfpflichtskepsis am Ende richtig gelegen haben könnte. Sofern der Bundestag überhaupt noch darüber entscheidet, im März etwa, könnte die Omikronwelle das Land schon de facto immunisiert haben. Weil es dann kaum mehr jemanden gäbe, der nicht geimpft oder genesen wäre.
Die immunologischen und virologischen Fragen an das Vorhaben werden gerade jedenfalls eher größer als kleiner: Bedeutete die Pflicht, sich im Falle neuer Mutationen auch ein viertes, fünftes oder wer weiß wievieltes Mal impfen lassen zu müssen? Wäre sie zu rechtfertigen bei einem endemischen Virus, das sich gar nicht ausrotten lässt? Wäre ein minderschwerer Weg der Verpflichtung für Gesundheitsberufe, kritische Infrastrukturen oder Ältere (so wie in Italien) nicht womöglich viel zielführender?
Es ist jedenfalls erkenn- und spürbar, dass sich die Stimmung dreht. Eine Impfpflicht whatever it takes – dieser Gedanke lässt bei vielen politischen Entscheidungsträgern mittlerweile Zweifel wachsen.
Kubicki und damit auch (Teilen) der FDP wächst damit die Ehre zu, hier früh eine Position zu formuliert und vertreten zu haben, die konsequent für Impfungen und ihren eindeutigen Nutzen eintrat – ohne aber zu Notstandsinstrumenten greifen zu wollen. Eine Pflicht wäre schließlich immer auch eine Kapitulation der Vernunft, letztlich eine Niederlage der wissenschaftlich-medizinischen Aufklärung. Und bist Du nicht willig, so brauch‘ ich ein Gesetz.
Man könnte es bei diesem Lob der Liberalen belassen, sie werden es bei ihrem traditionellen Dreikönigstreffen heute sicher auch noch genügende Male wiederholen. Man würde nur noch einmal dem neuen Justizminister Marco Buschmann auf die Schulter klopfen für seine wohlwollende Selbstrezension, „dass wir mit milderen Mitteln in der Lage waren, die vierte Welle zu brechen“ als mit flächendeckenden Lockdowns. „Auch ein Mangel an Freiheit“, noch mal Buschmann, „macht krank.“
Erstens stimmt das. Und zweitens ist es wohlformuliert. Allein: Alles fließt. Noch in der Opposition fand die FDP, fand vor allem Christian Lindner immer wieder den richtigen Ton zwischen staatspolitischer (Mit-)Verantwortung und sachlich-freiheitlicher Opposition, ohne je im sumpfigen Morast zu fischen. Und doch ist Reden eben etwas ganz anderes als Regieren, wenn man den Eid abgelegt hat, Schaden vom deutschen Volke abzuwehren. Der Wind der Verantwortung kann eisig sein. (Nur nebenbei: Der Oppositionsführer Christian Lindner hätte dem Finanzminister gleichen Namens seine ersten Etatoperation sicher nicht durchgehen lassen.)
Die FDP wandelt auf schmalem Grat. Natürlich, es kann selbstverständlich so kommen, dass die Omikron-Wand in diesem Land viel weniger steil und weit weniger hoch sein wird als in unseren Nachbarländern. Es wäre ja nur zu hoffen. Doch was, wenn nicht? Was, wenn eine Situation eintritt, in der es nicht mehr darum gehen kann, so freiheitlich wie möglich mit der jüngsten Mutante zu leben? Würden diesmal Schulen Kitas und Schulen wirklich aufbleiben, und zuerst alle nicht systemkritischen Betriebe dichtmachen? Und wie lange können Krankenhäuser von (Nicht-)Entscheidungen der Politik an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gedrückt werden, bevor auch dieser Zustand zu viele andere Nicht-Coronapatienten krank macht (und im schlimmsten Fall mehr als das).
Kurzum, der anti-maximalinvasive Kurs der FDP ist verdienstvoll. Bis hierhin. Möge er nicht noch zum Verhängnis werden.
Mehr zum Thema: Der FDP-Parteivize stemmt sich im Bundestag gegen die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Sein Einspruch ist wichtig.