Die ökologische Ursünde der Union Wie die CDU die Grünen groß macht(e)

Der ehemalige CDU-Abgeordnete Herbert Gruhl bei der 3. Bundesversammlung der Grünen 1980 Quelle: imago images

Statt sich den Grünen anzubiedern, sollte man sich in der CDU nach den selbst verschuldeten Gründen für deren Stärke fragen. Ein Blick zurück in die eigene Geschichte täte not.

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Über 20 Prozent für die Grünen! In den meisten Großstädten und bei jungen Wählern sind sie stärkste Partei. Während Ska Keller und Co ihren Erfolg vermutlich noch gar nicht richtig fassen können, hat die CDU-Parteizentrale schon reagiert. Und zwar so, wie man es von einer Partei nicht anders erwarten kann, die längst jeden politischen Willen jenseits des Erhaltens der schieren Machtposition verloren hat. In einem Papier, das noch in der Wahlnacht an Mitglieder des Bundesvorstands versandt wurde, klagt die CDU-Bundesgeschäftsstelle laut „Welt“ über die „Serie der Unentschlossenheit im Umgang mit Phänomenen wie ‚Fridays for Future“ und plötzlich politisch aktivierten YouTubern…“. Mit letzterem meint man natürlich das millionenfach verbreitete Video von „Rezo“, in dem dieser der CDU vor allem vorwirft, nichts gegen den Klimawandel zu unternehmen. Letztlich ist diese Analyse, deren Autoren vermutlich nicht erst nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses zu ihren Einsichten kamen, ein Aufruf, die CDU programmatisch (noch) weiter an den Grünen auszurichten.

Tatsächlich war ganz offensichtlich das entscheidende Motiv für die große Wählerwanderung von den einstigen Volksparteien CDU/CSU und SPD zu den Grünen ökologischer Art. In Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern (von einer gemeinsamen europäischen Öffentlichkeit kann nach wie vor überhaupt keine Rede sein!) war dies eine „Klimawahl“, wie Bernd Ulrich, Politikchef der „Zeit“ und ehemaliger Mitarbeiter der Grünen, zutreffend feststellt. Wobei die Schwerpunktsetzung der Berichterstattung in vielen Medien daran wohl durchaus Anteil hatte: Das Phänomen Greta und Fridays for Future hat in der deutschen Presse einen entscheidenden Verstärker gefunden. Die Grünen, unbelastet von Regierungsverantwortung (an die Jahre 1998 bis 2005 können sich Millennials nicht erinnern), erschienen so als Partei, die die Jugend vor der bevorstehenden Klima-Apokalypse retten kann.  

Blickt man jedoch in die Geschichte der CDU zurück, so kann man zu einem differenzierteren Urteil kommen: Die CDU erntete am Sonntag zum wiederholten Male die bitteren Früchte ihrer jahrzehntelangen politischen Ignoranz, intellektuellen Trägheit und kurzsichtigen Machtversessenheit. Die Bewahrung der Natur ist das denkbar konservativste politische Thema. In einer entscheidenden Phase der Nachkriegsgeschichte hat die damalige CDU, die noch konservativ zu sein glaubte, es leichtfertig aus den Händen gegeben. Das rächt sich seither. Leidtragend ist nicht nur die CDU als Partei. Unter die Räder kommt auch die praktische Vernunft der ökologisch-ökonomischen Politik.

Blicken wir kurz zurück in jene entscheidende Phase der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Damals veränderte sich so einiges. Nicht zuletzt erwachte in der Öffentlichkeit (nicht nur, aber vor allem der deutschen) die Erkenntnis, dass die ökologischen Nebenfolgen der industriellen Wirtschaftsweise ein nicht länger zu ignorierendes Ausmaß erreicht hatten. Man kann im Nachhinein mit dem Historiker Joachim Radkau von einer „ökologischen Wende“ sprechen – wobei der Begriff einerseits ein seit damals verändertes Bewusstsein, andererseits eine seit damals geforderte andere Politik bezeichnet.

Der erste Höhepunkt jenes Bewusstseinswandels war 1972 die Veröffentlichung der Studie des Club of Rome: „Die Grenzen des Wachstums“. Sie erregte enormes Aufsehen. Für einen kurzen historischen Moment schien sich nicht nur in der damals noch analogen medialen Öffentlichkeit, sondern auch in weiten Teil der damals noch von Union, FDP und SPD allein dominierten politischen Elite die Einsicht etabliert zu haben, dass die Industriegesellschaften vor einem grundlegenden Paradigmenwechsel stünden: dem Ende des bedingungslosen Strebens der Politik nach Steigerung der ökonomischen Produktion. Heute weitgehend vergessen: Sogar der damalige Präsident der Europäischen Kommission, Sicco Mansholt, forderte damals in einem Memorandum, dass sich die europäischen Volkswirtschaften auf ein Ende der Expansion einstellen müssten.  

Die ersten praktizierenden Ökologen waren Konservative

Die Partei der Grünen gab es damals noch lange nicht. Viele von denen, die später ihre führenden Köpfe wurden, zum Beispiel Jürgen Trittin, laborierten damals in sogenannten K-Gruppen an der großen Revolution, aber nicht an der ökologischen. Die Jahre der ökologischen Wende waren auch die Jahre der 68er-Revolte. Aber das waren bis mindestens Mitte der 70er Jahre zwei personell und ideologisch getrennte Bewegungen. Für Rudi Dutschkes SDS und andere APO-Aktivisten spielte Ökologie überhaupt keine Rolle. Man interessierte sich (noch) nicht für „umgekippte“ Gewässer und auch (noch) nicht für Atomkraftwerke, sondern für Vietnam und Mao.

Konservative Grüne wurden verdrängt

Die ersten praktizierenden Ökologen gehörten vielmehr zu denen, gegen die die 68er aufbegehrten: Es waren Diener des verhassten Staates und konservative Politiker. Der Begriff „Umweltschutz“ stammt von einem leitenden Beamten des damals von Hans-Dietrich Genscher (FDP) geführten Bundesinnenministeriums. Wichtiger aber noch: Der lautstärkste und prominenteste Politiker im Zeichen der ökologischen Wende war ein Abgeordneter der CDU: Herbert Gruhl (1921-93).

Gruhl war und blieb immer ein bekennender Konservativer, ein deutscher Patriot, der die Wiedervereinigung ersehnte, und nicht zuletzt ein Anhänger der Marktwirtschaft und Bewunderer von Ludwig Erhard. Der CDU warf er in einem bemerkenswerten Gastbeitrag für den Spiegel den Verrat an Erhard vor. Und er war mit diesen ökokonservativen Positionen keinesfalls allein in den 1970er Jahren. Sein Buch Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik war 1975 ein Bestseller.

Im Laufe der 1970er Jahre vollzog sich dann ein Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel in der deutschen Politik und Gesellschaft, das in seiner fundamentalen Bedeutung noch viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Die Unionsparteien, angeführt von Franz-Josef Strauß und Helmut Kohl, marginalisierten Gruhl. Er trat 1978 aus CDU und Bundestagsfraktion aus – und gründete die „Grüne Aktion Zukunft“, eine Keimzelle der späteren Grünen. Kohl sprach später von einem großen Fehler – sehr zurecht.

Profitiert von dieser ökologischen Ignoranz der Kohl-CDU haben dagegen andere, denen die Ökologie endlich ein zugkräftiges Thema bot, um aus der linken Subkultur auszubrechen. In einem Prozess, der noch erstaunlich wenig erforscht ist, haben sich in jenen späten 1970er Jahren viele frühere 68er und K-Gruppen-Aktivisten ökologische Themen – nicht zuletzt die Kritik an der Atomenergie – zu eigen gemacht und Anschluss an konservative ökologische Bewegungen wie Gruhls GAZ gesucht. Die Gründungsphase der Grünen war ein Verdrängungskampf der linken gegen die konservative Ökobewegung. Er dauerte bis zum Parteiaustritt Gruhls 1981. So wurden die Grünen, deren prominentester Mitgründer ein entschiedener Konservativer war, eine linke Partei.

Die verpasste Chance der CDU

Die CDU hat mit der Ausgrenzung Gruhls die historische Chance verpasst, den Schutz der Natur als zentrale Aufgabe eines zeitgemäßen Konservatismus anzunehmen. Sie ließ es zu, dass aus dem ursprünglich konservativen Thema des Schutzes und der Bewahrung der Natur mit dem Zugriff der Post-68-er ein progressives, teilweise durchaus utopisches Ansinnen wurde. Der Klimawandel ist vielleicht auch deswegen zu dem großen Thema der heutigen Grünen geworden, weil es ein übernationales, globales Problem ist. Klimaschutz ist ein entgrenztes Projekt wie die Weltrevolution, von der viele 68er träumten.

Seit der verheerenden Vertreibung Gruhls verfügt die CDU nicht mehr über die intellektuelle Kapazität, diesen Fehler zu korrigieren. Völlig Orientierungslos läuft sie seit nunmehr vierzig Jahren auf diesem Feld den Grünen hinterher – und wundert sich, dass ihr die idealistische Jugend abhandenkommt. Dabei gäbe es wahrlich genug Ansatzpunkte, um eine eigene, an konservativen, christlichen und marktwirtschaftlichen (statt wachstums- und staatswirtschaftlichen) Grundlagen ausgerichtete Öko-Politik zu betreiben.

Vor allem gälte es, die fatalen Schwachstellen des linken (Um-)Welt-Utopismus offen zu legen. Denn dieser hat die ökologische Katastrophe – bezeichnenderweise ist fast nur noch vom Klima die Rede, als ob andere Naturschäden nicht mindestens ebenso relevant wären – zu einer säkular-religiösen Frage erklärt. Die ökologische Katastrophe ist aber keine universelle Apokalypse, die man mit quasi-religiösen Prozessionen im Gefolge einer neuen Jungfrau und Buße-Predigten entkommen kann. Sie findet konkret allerorten, vor unser aller Augen statt.

Um sie zu erfassen braucht eigentlich niemand klimawissenschaftliche Studien, es genügt ein Blick aus dem Fenster. Die Erwärmung ist vielleicht nicht einmal die dramatischste Folge des seit rund 200 Jahren andauernden Überstrapazierens der natürlichen Lebensgrundlagen. Am absurdesten aber ist: Die bisherigen, praktisch-politischen Maßnahmen, die Erwärmung aufzuhalten, also die „Energiewende“, verstärken noch das Zerstörungswerk an der konkreten Natur. Wenn der Ausbau der Wind- und Solarenergie so wie zu erwarten voranschreitet, wird man in Deutschland bald fast keine windrad- oder solarpanelfreie Landschaft mehr erblicken können.

Was Not täte, wäre eine im besten Sinne konservative, also bewahrende, an einem Ausgleich von Ökologie und Ökonomie orientierte Politik. Mit Ludwig Erhard und Herbert Gruhl hatte die CDU zwei Politiker in ihren Reihen, die beides im Sinn hatten und an die es wieder anzuknüpfen gälte. Aber die Christdemokraten scheinen sich lieber an den Zukunftsträumen der Grünen orientieren zu wollen als an ihren eigenen Wurzeln.    

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