Die verschwiegenen Baustellen der Rentenpolitik Kommt nun die Rente mit 72?

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Selbstständige sollen auch in die Rentenkasse einzahlen


Wahlkampfthema waren auch die rund drei Millionen Selbständigen ohne eigene Beschäftigte, die oft wegen ihrer kleinen Einkommens nicht für das Alter vorsorgen und daher später von Armut bedroht sind. Hier hält der Sozialbeiratsvorsitzende – ähnlich wie der Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung – die Einführung einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für den besten Weg. Auf diesem Weg wäre es am leichtesten, auch das Erwerbsminderungsrisiko der Selbstständigen abzudecken. Bei einer allgemeinen Versicherungspflicht, wie sie in Teilen der Union propagiert wird, müssten die Selbstständigen dafür hohe zusätzliche Beiträge an eine private Lebensversicherung zahlen.

Zudem würden die Beiträge der Selbstständigen die Rentenversicherung in den Zeiten erreichen , in denen die Baby-Boomer in Rente gehen und die Rentenausgaben stark steigen. Rente würden die neuen Pflichtversicherten aber erst zwanzig Jahre später beziehen, wenn viele Baby-Boomer schon gestorben sein werden und die Rentenkasse nicht mehr belasten. Eine solche Rentenversicherungspflicht wird allerdings mit der FDP kaum zu machen sein. Sie dürfte allenfalls einer Regelung zustimmen, nach der Selbstständige in Zukunft nachweisen müssen, dass sie irgendeine Vorsorge für das Alter treffen.

Auch bei Mini-Jobbern sieht Wagner Handlungsbedarf. Sie müssen derzeit überhaupt keine Rentenbeiträge zahlen, erwerben also auch keine Ansprüche  Wagner würde das gerne ändern, um so eine weitere Quelle künftiger Altersarmut zu schließen. 2016 hatten 5,14 Millionen Arbeitnehmer einen Minijob als einzige Erwerbstätigkeit. Nicht bekannt ist, wie viele von ihnen über Partner, andere Angehörige oder anderes Vermögen für das Alter abgesichert sind.

Kapitalabfindungen der Rentenversicherungen mit 12 Jahren Laufzeit

Auch bei der Riester-Rente wird eine Jamaika-Koalition nach Wagners Einschätzung um Nachbesserungen nicht herum kommen. „Für äußerst diskussionswürdig halte ich in diesem Zusammenhang den Vorschlag der hessischen Landesregierung, in Zukunft im Rahmen eines staatlich organisierten Rentenfonds standardisierte private Vorsorge anzubieten.“ Das unter dem Namen „Deutschlandfonds“ bekannt gewordene Modell sieht vor, dass Riester-Sparer in Zukunft wählen können zwischen einer klassisch gestalteten Riester-Rente mit Garantie der eingezahlten Beiträge und einer neuen bisher nicht zulässigen Riester-Variante ohne solche Garantien. Sie sollen einen höheren Aktienanteil haben und entsprechend  höhere Renditen erziehen.  

Arbeitgeber sollen nach dem Konzept verpflichtet werden, ihren Arbeitnehmern Einzahlungen in den als unabhängiges Treuhandvermögen gestalteten Staatsfonds einzuzahlen. Die Einzahlung erfolgt in dem Modell automatisch, wenn die Arbeitnehmer nicht widersprechen (Opt-Out-Regelung). Von den bisherigen Riester-Verträgen sollen sich die staatlichen Standardprodukte vor allem durch niedrigere Abschlusskosten und Gebühren unterscheiden.

In der Versicherungswirtschaft, die bisher den größten Teil des Geschäfts mit Riester-Verträgen unter sich aufteilt, stößt der Vorschlag naturgemäß auf heftigen Widerstand. Aus Sicht Wagners ist aber klar, dass die neue Bundesregierung im aktuellen Niedrigzinsumfeld auf jeden Fall nach Wegen suchen muss, wie man zu attraktiveren Produkten für die ergänzende private Altersvorsorge kommt. Das seien viele Baustellen, räumt Wagner ein. „Aber alle diese Herausforderungen sind im Rahmen des bestehenden Systems der Alterssicherung überwindbar – um auf diese Weise dem Vierten Gebot der Bibel zu entsprechen: Du sollst deinen Vater und  deine Mutter ehren.“

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