Die Zukunft des Liberalismus

Sechs Thesen zum Tod der FDP - und zur Rettung des Liberalismus 

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Missachtung der Menschenrechte

Sein nicht geringster Vorzug besteht darin, dass er die politische Universalvokabel der "Gerechtigkeit" ausklammert, um sich die Wachsamkeit dafür zu erhalten, was ungerecht ist: Repression, Verfolgung, Hunger, Ausbeutung, die Missachtung elementarer Menschenrechte.

Zweitens ist ein solcher Liberalismus darum bemüht, alle Formen von Macht als Bedrohung der Freiheit zu identifizieren, also nicht nur staatliche Macht, sondern zum Beispiel auch Macht, die Wirtschaftsunternehmen auf sich vereinen: Sein Blick fällt nicht nur mit Wohlgefallen auf die "wirtschaftliche Freiheit" in Singapur, sondern auch auf die politische Unfreiheit dort. 

Er hat seinen Ausgangspunkt nicht (nur) in den Handelsräumen der Wall Street, sondern auch in den Fabriken von Bangladesch. Sein Maßstab ist nicht nur die Freiheit des Arbeitgebers, seine Angestellten zu behandeln, wie es ihm dünkt, sondern auch die Freiheit des Angestellten, vor Drohungen und schlecht bezahlter Rumschubserei sicher zu sein. Und natürlich verteidigt ein solcher Liberalismus auch das elementare Bürgerrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegen die algorithmische Ausbeutung von Informationen durch digitale Großkonzerne.

Alles in allem ist es ein Liberalismus, der die "Gewissheiten" des Liberalismus der FDP-Liberalen in den vergangenen 20 Jahren auf den Kopf stellt: Frei ist, wer nicht erniedrigt, verletzt und gedemütigt werden kann. 

6. Die Liberalen als Tugendwächter

In diesem Sinne müssten sich die Liberalen heute vor allem als Tugendwächter auftreten: als entschlossene Kämpfer gegen jede Form von elementarer Unfreiheit - und als ehrliche Makler einer qualitativ bestimmten Freiheit, die sich über die Moden der Zeit erhebt. Liberale sorgen sich nicht (nur) um die Geschäfts- und Gemütslage Russlands, sondern (vor allem) um die Informations- und Meinungsfreiheit der russischen Bürger.

Sie fördern nicht durch ordnungspolitische Passivität einen staatlich lizenzierten Bankensektor, der seine Risiken systematisch auslagert und alle Haftung beim Steuerzahler ablädt, sondern sie unterstützen ein Wirtschafts- und Währungssystem, das auf Sparsamkeit, Solidität und den breiten Aufbau von Eigentum setzt.

Liberale stellen den sozialdemokratischen Umverteilungswillen ebenso in Frage wie die Steuersenkungssubventionen der Angebotsfanatiker. Ihnen ist eine die Denunziation von Reichtum genauso zuwider wie ein Reichtum, der sich faulen Quellen verdankt. Über den Faulpelz, der auf Alimentation vom Staat hofft, kann er sich genauso echauffieren wie über den Steuerflüchtling, der den Staat prellt.

Kurzum: Nimmt der politisch organisierte Liberalismus Freiheit und Unfreiheit endlich beim Wort, stehen ihm in Deutschland alle Türen offen. Verengt er Freiheit und Unfreiheit weiter auf das, was Libertäre, Wirtschafts-, National- und Sozialliberale sich jeweils darunter vorstellen, kann man ihm, um den stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki zu zitieren, nur weiterhin eine "gute Reise" wünschen.

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