Diesel-Nachrüstungen auf Kosten der Steuerzahler FDP-Politiker wirft Kanzlerin Merkel „Kuschelkurs mit der Autoindustrie“ vor

Wegen der zu hohen Luftverschmutzung drohen großflächige Fahrverbote. Regierungsexperten raten nun zur Nachrüstung – auf Kosten der Steuerzahler.

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FDP-Politiker kritisiert Kanzlerin Merkel wegen Diesel-Nachrüstungen Quelle: dpa

Berlin Der Vorschlag einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertengruppe, die Hardware-Nachrüstung von Dieselfahrzeugen zur Verbesserung der Luftqualität in deutschen Städten auch durch Steuergelder zu finanzieren, stößt auf breite Empörung.

„Die Freien Demokraten sind strikt dagegen, dass der Steuerzahler für die rechtswidrigen Machenschaften der Autoindustrie über eine Abwrackprämie zur Kasse gebeten wird“, sagte Michael Theurer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP, dem Handelsblatt.

In einem vorläufigen Entwurf ihres Abschlussberichtes hatte die Expertengruppe vorgeschlagen, dass die Kosten für die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen „ganz oder zu einem höchstmöglichen Anteil“ durch eine „externe Förderung“ abgedeckt werden sollten.

Diese solle sich aus öffentlichen Mitteln und aus finanziellen Beiträgen der Autohersteller speisen. Mit der Maßnahme sollen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge vermieden werden. Zuerst hatten die Süddeutsche Zeitung und der Bayerische Rundfunk über die Expertenempfehlung berichtet. In Regierungskreisen wird allerdings betont, der Bericht sei noch nicht das Endergebnis und müsste noch Regierungsintern abgestimmt werden.

Die Grünen und die FDP lehnen eine Beteiligung der Steuerzahler an den Kosten vehement ab. „Das Verursacherprinzip muss auch hier gelten“, forderte Theurer. „Die Hardware-Nachrüstung muss vollständig vom Verursacher bezahlt werden - und das ist die Autoindustrie.“

Das Expertengremium ist eine von vier Gruppen, die nach dem Diesel-Gipfel der Bundesregierung im vorigen August eingesetzt worden waren. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, auf Basis dieser Expertenempfehlung noch 2018 über Nachrüstungen zu entscheiden.

Die Europäische Kommission bemängelt bereits seit langem die zu hohe Luftverschmutzung in rund 70 deutschen Städten. Die Autoindustrie hatte sich bisher stets gewehrt, für Hardware-Nachrüstungen von Dieselfahrzeugen mit manipulierten Abgasreinigungsanlagen aufzukommen.

„Das Verursacherprinzip wird auf den Kopf gestellt, wenn Steuergelder für technische Nachrüstungen fließen sollen“, kritisierte auch Oliver Krischer, Vize-Fraktionsvorsitzender der Grünen, die Empfehlungen der Expertengruppe. Die Hersteller hätten genug Geld, um den Einbau der Katalysatoren zu bezahlen, so Krischer. „Schließlich haben sie vorher billige Technik eingebaut, die nicht funktioniert.“

SPD-Faktionsvize Sören Bartol bekräftigte am Freitag die Notwendigkeit einer technischen Umrüstung von Dieselfahrzeugen, um allgemeine Fahrverbote zu vermeiden. Viele Besitzer älterer Autos hätten nicht das Geld für einen Neuwagen. „Wer glaubt, dass die Industrie sich bei der Übernahme der Kosten für die Umrüstung komplett in die Büsche schlagen kann, ist auf dem Holzweg“, sagte Bartol. „Die Finanzierung darf nicht allein beim Steuerzahler und Verbraucher hängen bleiben.“

In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD und Union vereinbart, solche Umrüstungen direkt an den Motoren – „soweit technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar“ – zu prüfen. Hintergrund sind Zweifel daran, dass von den Autobauern zugesagte neue Abgas-Software für zusätzliche 2,8 Millionen Diesel die Schadstoffbelastung genug reduzieren kann, um Grenzwerte einzuhalten.

Als völlig inakzeptabel kritisierte der Verkehrsclub VCD die Empfehlung der Expertengruppe. „Folgt die Bundesregierung der Empfehlung ihrer Berater, wäre dies ein fatales Signal für den Rechtsstaat“, warnte Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD. Nicht die Opfer, sondern die Verursacher der schlechten Luft müssten zur Verantwortung gezogen werden.

„Jetzt sollen wieder die #Steuerzahler für den #Abgasskandal herhalten“, twitterte Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei Die Linke. „Gewinne privatisieren, Verluste verstaatlichen. Aber für einen fahrscheinlosen #ÖPNV ist kein Geld da.“

FDP-Fraktionsvize Theurer warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen „Kuschelkurs mit der Autoindustrie“ vor und forderte sie auf, diesen zu beenden. „Ansonsten könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass ihre früheren Minister und engsten Vertrauten Wissmann und von Klaeden auch heute noch – aber jetzt als Autolobbyisten – im Kanzleramt den Ton angeben.“

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