Eine bemerkenswerte Allianz hat sich da gebildet, um sich der Diesel-Krise anzunehmen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) riefen vor wenigen Wochen eine Initiative ins Leben gerufen, um die Schadstoffbelastung in den Städten zu senken. Bei dem Thema hatten sich die beiden in der Vergangenheit eher bekämpft. Doch angesichts der Tragweite der Probleme rauften sie sich zusammen und gründeten ein „Nationales Forum Diesel“. Und sie gaben als Marschrichtung für die erste Sitzung des Forums am 2. August in Berlin vor, eine Lösung zur Reduzierung der Diesel-Abgase zu finden.
Ein heikles Thema neun Wochen vor der Bundestagswahl. Zumal es inzwischen auch nicht mehr nur um manipulierte Abgaswerte, Feinstaub-Alarm und drohende Fahrverbote für Diesel-Autos geht. Nachdem gleich gegen fünf Automobilhersteller neue Manipulations- und Kartellvorwürfe laut geworden sind, „müssen Millionen Autokäufer davon ausgehen, dass sie mit gefälschten Abgaswerten hinter die Fichte geführt wurden“, schreibt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in einem Beitrag für das Handelsblatt.
Dass Maas sich in die Debatte einschaltet, kommt nicht von ungefähr. Denn er ist innerhalb der Bundesregierung auch für das Thema Verbraucherschutz zuständig. Den Autokonzernen hält er vor, „noch immer nicht voll erfasst zu haben, was hier für sie und für unser Land auf dem Spiel steht: nämlich das weltweite Vertrauen in die gesamte deutsche Automobilindustrie – und damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen“. Wenn hier nicht bald entschlossen gegengesteuert werde, seien die Leidtragenden „nicht nur die Käufer der Autos mit fragwürdigen Abgaswerten, sondern auch zahllose Beschäftigte, deren Arbeitsplätze wegen falscher Unternehmensentscheidungen und verfehlten Krisenmanagements in Gefahr geraten“.
Die Ansagen von Maas haben es in sich und könnten so gedeutet werden, als ob er dann auch den geplanten Diesel-Gipfel womöglich dazu nutzt, den Autochefs noch einmal persönlich ins Gewissen zu reden. Doch dazu wird es nicht kommen. Denn der Minister ist nicht eingeladen. Auf der Teilnehmerliste des Bundesverkehrsministeriums stehen die Ministerpräsidenten der „Autoländer“ Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - außerdem Berlin und Hamburg als stark von hohen Stickoxid-Werten (NOx) betroffene Stadtstaaten.
Zudem sollen die Chefs von VW, Audi, Porsche, BMW, Daimler, Ford Deutschland und Opel, der Verband der Automobilindustrie (VDA) sowie der Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) teilnehmen. Auch der Deutsche Städtetag, die IG Metall und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sollen dem Vernehmen nach dabei sein. Aber eben nicht Maas als Verbraucherschutzminister und auch keine Verbraucherverbände.
Entsprechend groß ist der Unmut über den von Dobrindt ausgewählten Teilnehmerkreis. Dass am „Nationalen Forum Diesel“ weder Verbraucherschützer noch Umweltverbände beteiligt werden sollen, sei „skandalös angesichts der enormen Gesundheits- und Umweltauswirkungen des Abgasskandals“, sagte BUND-Chef Hubert Weiger dem Handelsblatt.
Kritik kam auch von Greenpeace. „Obwohl jährlich mehr als 10.000 Menschen in Deutschland aufgrund von Stickoxiden vorzeitig sterben und potentiell mehrere Millionen von Autofahrern durch Fahrverbote betroffen sind, wurde niemand der die Geschädigten vertritt, eingeladen“, sagte der Verkehrsexperte der Umweltorganisation, Benjamin Stephan, dem Handelsblatt.
Das Verbraucherschutzministerium erklärte auf Anfrage des Handelsblatts, dass es in der Zuständigkeit des Verkehrsministeriums liege, wer zum Diesel-Gipfel eingeladen werde. Eine Sprecherin von Maas sagte aber auch, man habe „immer betont, dass bei der Aufarbeitung gerade auch die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher im Vordergrund stehen müssen“. Vom Verkehrsministerium war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Verbände rechnen mit Klagewelle wegen möglichem Auto-Kartell
Kritik äußerte auch der Vizepräsident des ADAC, Ulrich Klaus Becker. „Die Bundesregierung verliert die Interessen der Verbraucher aus den Augen, indem sie es versäumt, diese aktiv einzubeziehen“, sagte Becker. Anders seien fehlende Einladungen an das Verbraucherschutzministerium und Verbraucherverbände wie den ADAC nicht zu erklären.
Das Unverständnis bei den Verbänden ist auch deshalb groß, weil das Thema durch das mutmaßliche Auto-Kartell noch brisanter geworden ist. BUND und Greenpeace rechnen schon mit zahlreichen Klagen. „Die neuen Erkenntnisse zum Hersteller-Kartell lassen vermuten, dass vorsätzlich und gemeinschaftlich Gesetze gebrochen wurden, selbst bei den Pkw mit der besten Reinigungstechnik“, sagte BUND-Chef Weiger. „Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, hätten Diesel-Kunden eine gute Grundlage, Anzeige gegen die Hersteller ihrer Fahrzeuge zu erstatten, sofern diese am Diesel-Kartell beteiligt waren.“ Denn der Betrugsvorgang sei „anscheinend gut dokumentiert und wird durch die Selbstanzeigen von VW und Daimler erhärtet“.
Der Greenpeace-Experte Stephan, gab zu bedenken, dass sich schon mehrere zehntausend VW-Besitzer anwaltlich vertreten ließen und den Konzern wegen manipulierter Dieselautos mit Schadensersatzklagen überzögen. „Sollten die Kartellbehörden, die Bildung eines Dieselkartells bestätigen, ist davon auszugehen, dass es auch gegen die anderen Hersteller ähnliche Verbraucherklagen geben wird“, sagte Stephan.
Fragen & Antworten: Jedes zweite Kartellverfahren wird durch Kronzeugen aufgedeckt
Der Verdacht gegen große deutsche Autobauer, ein Kartell gebildet zu haben, wiegt schwer. Sollte es zutreffen, dass sich - wie der „Spiegel“ am 21. Juli 2017 berichtet - Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Jahre untereinander unter anderem über Technik und Kosten absprachen, wäre dies ein neuer, aufsehenerregender Fall. Der Kampf der Wettbewerbshüter für mehr Markttransparenz ist im 60. Jahr des deutschen Kartellrechts aktueller denn je. Zentrales Thema des Bundeskartellamts mit seinem Chef Andreas Mundt ist der Schutz der Verbraucher. Neben der Wettbewerbsaufsicht zählen auch noch die Fusionskontrolle sowie die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen zu den Aufgaben der Behörde.
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Definiert ist es als Zusammenschluss von Unternehmen, die rechtlich und wirtschaftlich weitgehend selbstständig bleiben, aber etwa durch Preisabsprachen den Wettbewerb ausschalten. Tatsächlich ist es das erklärte Ziel des Bundeskartellamts, den Wettbewerb gegen jede Beschränkung zu schützen. Dabei kann es um rechtswidrige Absprachen über Preise zwischen einzelnen Unternehmen oder in ganzen Branchen gehen. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Kartelle den Wettbewerb aushebeln und damit den „Motor der Marktwirtschaft“ zum Schaden von Kunden und Verbrauchern zum Stottern bringen. Dies kann etwa durch künstlich hoch gehaltene Preise oder beschränkte Mengen geschehen.
Kartellstrategien werden in der Regel im Geheimen besprochen, sie sind daher nur schwer aufzudecken und nachzuweisen. Bei seinen Ermittlungen ist das Bundeskartellamt daher weitgehend auf Hinweise von Eingeweihten angewiesen. Auf ihrer Internet-Seite fordert die Behörde offensiv: „Melden Sie sich bei uns, wenn Sie Hinweise auf illegale Absprachen haben!“ Dabei werden auch anonyme Hinweise telefonisch oder schriftlich entgegengenommen. Eine Rückverfolgung derartiger Hinweise ist dabei technisch ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu kommen eigene Ermittlungen etwa auf der Grundlage anderer Verfahren, wenn die Verhältnisse in einem Markt verdächtig scheinen.
An einem Kartell Beteiligte haben so die Chance, im günstigsten Fall durch die sogenannte Kronzeugenregelung straffrei zu bleiben. Etwa jedes zweite Verfahren wird so ins Rollen gebracht. Derartige Anträge können jedoch nicht anonym gestellt werden. Es gilt dabei eine abgestufte Bonusregelung: Nur wer sich offenbart, bevor auch nur der leiseste Anfangsverdacht besteht, kann auf die vollen 100 Prozent hoffen. Eine spätere Kooperation wird nur noch mit abgestuften Abschlägen an einem späteren Bußgeld honoriert.
Das Bundeskartellamt verhängt Bußgelder, es vertritt aber nicht die möglichen Schadenersatz-Forderungen von Betroffenen. Kartell-Geschädigte müssen ihre Ansprüche daher in separaten Verfahren notfalls vor Gericht durchsetzen. Dabei steigen die Chancen jedoch deutlich, wenn die Wettbewerbsbehörde zuvor ein offizielles Kartellverfahren eingeleitet und vielleicht schon abgeschlossen hat.
Das Bundeskartellamt ermittelt in den unterschiedlichsten Branchen. In der jüngsten Zeit hatten unter anderem Verfahren gegen Zuckerhersteller und Bierbrauer für Schlagzeilen gesorgt. Aber auch Autozulieferer sind ins Visier der Bonner Kartellwächter geraten.
Klagen wegen etwaiger illegaler Absprachen zwischen Autoherstellern sind von Pkw-Käufern zwar möglich, aber ihre Rechtsdurchsetzung schwierig. Betroffene Verbraucher müssten argumentieren, „dass ihnen ein Auto verkauft wurde, was auf einem technischen Stand ist, der nicht dem entspricht, was möglich gewesen wäre“, sagte der Düsseldorfer Kartellrecht-Professor Christian Kersting kürzlich im Deutschlandfunk. Hier sei „viel Nachweisarbeit zu leisten“.
Noch schwieriger sei es, wenn der Verbraucher argumentiere, dass er eine Innovation verpasst habe, die er anderswo zu einem günstigen Preis hätte kaufen können, nun aber zum selben Preis ein weniger innovatives Auto bekommen habe als versprochen. Hier „wird man sich vor Nachweishürden sehen, die man nur sehr schwer überwinden kann“, sagte der Rechtsprofessor.
{Maas kritisiert Unions-Blockade bei neuen Verbraucher-Klagerechten
Maas fordert deshalb schon länger neue Klagerechte für Fälle mit vielen betroffenen Verbrauchern wie dem Abgasskandal. Mit der von seinem Haus erdachten Musterfeststellungsklage könnten bereits zentrale Streitfragen „zügig und einheitlich“ entschieden und zahlreiche Parallelprozesse vermieden werden, erklärte er in seinem Beitrag für das Handelsblatt. Doch CDU/CSU hätten in der laufenden Wahlperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf blockiert. Maas mahnte daher, Autokäufer und Arbeitnehmer jetzt nicht gegeneinander auszuspielen nach der Devise: Zu viele Rechte für die Käufer der Diesel-Autos gefährdeten Arbeitsplätze. „Wer so argumentiert, zieht die falschen Lehren aus der Krise“, betonte der Minister. „Nicht zu viel Verbraucherrechte sind die Gefahr für Deutschlands Autobauer, sondern ihr dubioses Gebaren bei den Abgaswerten.“
Weiger beklagte in diesem Zusammenhang, dass die Verbraucher jetzt schon das Nachsehen hätten, weil sie Fahrverbote befürchten und mit einem massiven Wertverlust ihrer Fahrzeuge beim Wiederverkauf rechnen müssten. „Private Diesel-Besitzer müssen heute schon hohe Rabatte beim Wiederverkauf gewähren, haben längere Standzeiten“, so Weiger. Durch das Bekanntwerden des Diesel-Kartells werde sich die Situation noch verschärfen.
Der BUND-Chef glaubt, dass die Autobanken mit ihren Leasingverträgen für Firmenwagen Probleme bekommen könnten. „Denn die meisten neuen Dieselautos wurden hierzulande als Firmenwagen gekauft und gehen dann nach drei Jahren zurück zum vereinbarten Preis an die Leasingfirmen“, sagte Weiger. „Die finanzierenden Banken wird das nicht unerheblich treffen.“
Überlegungen seitens der Autoindustrie, Euro-6 und Euro-5-Dieselmotoren per Software nachzurüsten lehnt Weiger ab. Fahrzeuge, die die Grenzwerte überschreiten, müssten vielmehr etwa durch SCR-Katalysatoren auf Kosten der Hersteller nachgerüstet werden. „Wo die Nachrüstung nicht funktioniert, müssen Rücknahme und Tausch gegen gesetzeskonforme Modelle auf Kosten der Hersteller erfolgen.“
Gelinge diese nicht, kämen auch Schadensersatzklagen in Frage. „Argumentativ gibt es hierfür bessere Voraussetzungen für die Kunden als vor Bekanntwerden des Absprache-Kartells“, sagte Weiger. „Denn offenbar wurden, um etwa 80 Euro pro Fahrzeug zu sparen oder für den Komfort langer Wartungsintervalle bei Fahrzeugen mit SCR-Kat, zu kleine Ad-Blue-Tanks eingebaut und Abschalteinrichtungen genutzt.“
Greenpeace fordert ein Fahrverbot in Städten für Autos, die gesetzliche Abgasgrenzwerte nicht einhalten. Betroffene Autofahrer dürften allerdings nicht mit daraus entstehenden Einschränkungen oder Kosten alleine gelassen werden, betonte Experte Stephan. „Die Bundesregierung muss die Autohersteller zur Verantwortung ziehen und dafür sorgen, dass Autobesitzer für die ihnen entstehende Kosten entschädigt werden.“
Ähnlich äußerte sich der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Klaus Müller. Eine „rasche Umrüstung“ manipulierter Fahrzeuge sei „wünschenswert“, denn Fahrverbote würden erneut zu Lasten der Kunden gehen. „Es waren aber nicht die Kunden, die getrickst haben“, sagte Müller dem Handelsblatt. Verkehrsminister Dobrindt müsse daher die Hersteller endlich die Verantwortung nehmen.
Die Nachrüstungen müssten zu einem „signifikanten Rückgang“ der Schadstoffemission führen, betonte der VZBV-Chef. Und: „Die Hersteller müssen Garantien für mögliche Folgeschäden der Umrüstung aussprechen, Halter manipulierter Fahrzeuge müssen entschädigt werden.“ Die Politik müsse überdies Lehren aus dem Abgasskandal ziehen und sich etwa für unabhängige Prüfungen stark machen.