Digitale Überwachung „Auf Dauer kann das kein Rechtstaat aushalten“

Handy-Ortung mit verdeckten „stillen SMS“ oder Funkzellenabfragen - Sicherheitsbehörden greifen verstärkt zu digitaler Überwachungstechnologie. Datenschützer finden das eine „beunruhigende Entwicklung“.

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Ein Mobilfunkmast in Berlin-Kreuzberg: Funkzellenabfragen haben deutlich zugenommen. Dabei gibt der jeweilige Netzbetreiber den Behörden auf Anfrage die Nummern aller Handys heraus, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle eingebucht waren. Quelle: dpa

Berlin Datenschützer schlagen wegen der immer stärkeren Nutzung digitaler Überwachungstechnik durch deutsche Sicherheitsbehörden Alarm. Die jüngsten Zahlen der Bundesregierung „bestätigen eine beunruhigende Entwicklung zu einer immer umfassenderen digitalen Überwachung durch den Staat“, sagte der Hamburger Datenschutzbeauftragte, Johannes Caspar, dem Handelsblatt. Dabei seien gerade bei der sogenannten Funkzellenabfrage „massenhaft unbeteiligte Personen“ betroffen.

Hier wären aus Sicht Caspars „intelligente Konzepte für die Benachrichtigung Betroffener“ gefordert. „Stattdessen drängen die Sorgen um die innere Sicherheit kritische Fragen über die Kontrolle und den Schutzes der Rechte Betroffener in nahezu allen sicherheitsrelevanten Bereichen immer weiter in den Hintergrund“, kritisierte er. „Auf Dauer kann das kein Rechtstaat aushalten.“

Die Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Marit Hansen, warf die Frage nach der Zulässigkeit der Überwachungsmaßnahmen auf. „Allein anhand der Anzahl von Maßnahmen wie der stillen SMS oder der Funkzellenabfrage kann man nicht bewerten, ob der Einsatz zulässig und erforderlich ist“, sagte Hansen dem Handelsblatt. „Hierfür wäre eine Überprüfung der konkreten Fälle durch die zuständigen Datenschutzbehörden notwendig.“ Zumal „vielfach“ nicht nur Verdächtige in den Fokus gerieten, gegen die ermittelt werde, „sondern je nach Maßnahme können auch weitere Personen betroffen sein“. Deutlich werde dies bei der „nichtindividualisierten Funkzellenabfrage, von der praktisch jeder erfasst werden kann“.

Die stärkere Nutzung digitaler Fahndungsmethoden geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, über die das Handelsblatt kürzlich berichtet hatte. Die Sicherheitsbehörden nutzen demnach vermehrt Handydaten, um Verdächtige heimlich zu lokalisieren.

Der Verfassungsschutz habe im zweiten Halbjahr 2017 in solchen Fällen rund 180.000 sogenannte stille SMS an Mobiltelefone versandt. Im Vorjahreszeitraum seien es nur 144.000 gewesen. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) habe diese Fahndungsmethode stärker genutzt (22.000, plus 5000).

Zugenommen haben demnach auch Funkzellenabfragen, bei denen der jeweilige Netzbetreiber den Behörden auf Anfrage die Nummern aller Handys herausgibt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle eingebucht waren. Das BKA habe in der zweiten Jahreshälfte 2017 insgesamt 376-mal davon Gebrauch gemacht, ein Jahr zuvor nur einmal, hieß es.

Aus Sicht Hansens zeigt die Kleine Anfrage, dass auch im Nachhinein vielfach die Information über die Maßnahmen unterbleibe, „so dass man gar nicht weiß, ob und wie lange die eigenen Daten bei Ermittlungsbehörden gespeichert und ausgewertet werden“. Aufgrund einer Prüfung in ihrem Zuständigkeitsbereich Schleswig-Holstein, habe sie schließlich eine Erhöhung der Transparenz angeregt. Der Vorschlag sei aber leider noch nicht weiter verfolgt worden, sagte die Datenschützerin.

Gleichwohl sieht auch den Bund in der Pflicht: „Ein Mehr an Transparenz halte ich auch für die Bundesebene für sinnvoll, damit die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen tatsächlich überprüfbar wird“, sagte Hansen.

In Berlin fiel die Reaktion geteilt aus. Der Linksfraktionsabgeordnete Andrej Hunko, der die Anfrage gestellt hatte, äußerte sich beunruhigt: „Handys sind zum Telefonieren da, nicht um deren Besitzer heimlich zu verfolgen“, sagte Hunko. „Durch die neuen Fähigkeiten von Polizei und Diensten wird das Vertrauen in die digitale Privatsphäre weiter ausgehöhlt.“

Der CDU-Geheimdienstexperte Patrick Sensburg hält die vermehrten Spähaktionen hingegen für gerechtfertigt. Terroristen und Kriminelle nutzten Handys oft mit Prepaidkarten. So habe man bei Hausdurchsuchungen im Inland sowie etwa im Irak oder in Syrien Hunderte SIM-Karten zur Kommunikation oder als Bestandteil von improvisierten Zündern gefunden. „Sowie die Zahl der zirkulierenden SIM-Karten steigt, muss sich leider auch die Kommunikationsüberwachung auf mehr Anschlüsse ausdehnen“, sagte Sensburg.

Die Grünen reagierten besorgt. „Wir drohen die rechtsstaatliche Balance zu verlieren“, sagte Fraktionsvize Konstantin von Notz dem Handelsblatt. Natürlich müsse „effektiv“ gegen Terror und andere Gefahren vorgegangen werden. „Aber Digitale Technik ermöglicht uferlose Überwachung und die abgründige Vision der totalen Kontrolle eines Staates über seine Bürger.“ Beides dürfe es in einem Rechtsstaat nicht geben.

Die FDP unterstützt die Ausweitung, sofern damit wirkliche Gefährder punktgenau ins Visier genommen würden. „Das wäre genau das, was die Freien Demokraten als effektive Sicherheitspolitik ansehen“, sagte Fraktionsvize Stephan Thomae dem Handelsblatt.

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