Digitaler Kampf gegen Einbrecher Deutschland sucht den Super-Algorithmus

Im Kampf gegen Einbrecher wollen immer mehr Bundesländer computergenerierte Prognosen nutzen. Die Suche nach den richtigen Algorithmen gestaltet sich schwierig. Wohl auch, weil jeder eigene Projekte verfolgt.

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Seit Jahren steigt die Zahl der Wohnungseinbrüche kontinuierlich. Quelle: obs

Berlin Steven Spielberg hat es in seinem Film „Minority Report“ von 2002 schon vorausgeahnt, wohin sich die Arbeit der Kriminalisten entwickeln könnte. Tom Cruise spielt in dem Science-Fiction-Thriller den Chef der „Pre-Crime“-Behörde, die Teile der Zukunft vorhersehen kann. Künftige Mörder werden vor ihrer Tat verhaftet und für immer weggeschlossen, obwohl sie das eigentliche Verbrechen nicht begangen haben.

Spielberg wollte mit seinem düsteren Streifen auch ein Zeichen gegen einen möglichen Überwachungsstaat setzen. „Ich habe den Film aus einer Angst heraus gemacht, dass die Zukunfts-Technologien uns unserer persönlichen Freiheiten berauben“, sagte der Regisseur seinerzeit bei der Deutschland-Premiere des Films. Er hoffe aber und sei sich ziemlich sicher, dass es so weit nicht kommen werde. Jahre später hat sich die Hoffnung Spielbergs jedoch nicht ganz erfüllt.

Zwar ist seine fiktive Fahndungsmethode tatsächlich nicht Realität geworden. Denn seine Kriminalitäts-Orakel heißen „Precogs“ und sind Hellseher, aber keine Computer. Darauf aber setzen inzwischen die heutigen Ermittler. Ihr neues Zauberwort heißt „Predictive Policing“, vorausschauende Polizeiarbeit. Das heißt: Prognosesoftware soll anhand von Straftaten-Statistiken in einem Gebiet voraussagen, wann mit hoher Wahrscheinlichkeit mit neuen Verbrechen zu rechnen ist – was wiederum einen möglichst effizienten Einsatz von Polizeikräften unterstützen soll.

Die Linkspartei warnt bereits vor den Risiken. „Mit der zunehmenden Nutzung von Algorithmen werden die Ermittler den Ausbau polizeilicher Datenbanken verlangen. Einen solchen Datenhunger beobachten wir derzeit in allen Bereichen der digitalen Polizeiarbeit“, sagte der Innenexperte der Linksfraktion im Bundestag, Andrej Hunko, dem Handelsblatt.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hält derlei Warnungen für verfrüht, zumal die deutschen Sicherheitsbehörden mit der Technik ganz am Anfang stünden. Während in den USA eine entsprechende Software seit mittlerweile über zehn Jahren weit verbreitet verwendet werde, sei man hierzulande „erst recht spät auf den fahrenden Zug aufgesprungen“, sagte der BDK-Vorsitzende André Schulz dem Handelsblatt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich etwa erst infolge der starken Zunahme von Wohnungseinbrüchen vor etwa zwei Jahren für das Predictive Policing stark gemacht und für eine stärkere internationale und nationale Zusammenarbeit geworben. Darauf verständigten sich dann im Oktober vergangenen Jahres die Innenminister der Niederlande, Belgiens, Deutschlands sowie Nordrhein-Westfalens, Rheinland-Pfalz und Niedersachsens.

In der sogenannten „Aachener Erklärung“ beschlossen sie, gemeinsam an Projekten der Sicherheitsforschung zu arbeiten, darunter auch das Predictive Policing, um neue Präventions- und Bekämpfungskonzepte zu entwickeln. Die SPD-Innenminister machten sich fast zeitgleich dafür stark, angesichts der erheblich gestiegenen Einbruchskriminalität in Deutschland Predictive-Policing-Software „zu erproben und gegebenenfalls flächendeckend einzusetzen“. Vor zwei Jahren trafen sechs Bundesländer Vorbereitungen dafür, die Polizei mit sogenannter Predictive-Policing-Software auszurüsten. Inzwischen testen acht Bundesländer digitale Kriminalitätsvorhersagen. Das geht aus einer dem Handelsblatt vorliegenden Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor.


„Föderalismus zeigt sich von seiner negativen und teuren Seite“

Demnach wird in Baden-Württemberg in einem Pilotprojekt untersucht, inwieweit Softwarelösungen wie das Programm „Precobs“ (Pre Crime Observation System) einen Mehrwert zur Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls darstellen. Auch das Landeskriminalamt (LKA) Bayern setzt die Software ein. Precobs kann nach Angaben der Entwickler Prognosen etwa für Einbrüche abgeben, wenn Daten bisheriger Taten in die Datenbank der Software eingepflegt wurden. Dort stehen dann der Tatort mit Straße und Hausnummer, die Tatzeit, Beute und Vorgehensweise der Täter.

In Berlin, Hessen und künftig auch Niedersachsen werden laut Innenministerium Eigenentwicklungen erprobt beziehungsweise genutzt. Nordrhein-Westfalen hat den Angaben zufolge bereits im Februar 2015 ein Projekt zum Thema Predictive Policing im dortigen LKA eingerichtet.

Eingesetzt wird in NRW das Programm „SPSS-Modeler“ des IBM-Konzerns. „Ziel ist die Feststellung der Möglichkeiten und Grenzen der Prognose von Kriminalitätsbrennpunkten sowie der Effizienz und Effektivität darauf aufbauender polizeilicher Interventionen“, teilt das Innenministerium in seiner Antwort mit.

Das LKA in Hamburg lässt derzeit die Möglichkeiten des Predictive Policing in einem Forschungsprojekt untersuchen. Brandenburg will indes, wie das Ministerium erklärt, mit einer Machbarkeitsstudie prüfen, ob sich die Predictive-Policing-Methodik in ein „standardisiertes polizeiliches Lageanalyse- und -beurteilungsverfahren unter dem Ansatz der Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen“ überführen lässt.

Das Bundeskriminalamt (BKA) ist an den Projekten der Länder zur „Kriminalitätsvorhersage“ nicht direkt beteiligt, sondern beobachtet „im Rahmen der Zentralstellenfunktion die Entwicklungen des Ansatzes Predictive Policing“, wie aus der Ministeriumsantwort auf die Linken-Anfrage hervorgeht. „Ziel ist, einen Überblick über die jeweiligen Ansätze zu gewinnen, diese soweit möglich gemeinsam mit den Ländern zu bewerten sowie den Informationsaustausch zu gewährleisten, zu fördern und zu intensivieren“.

Laut Innenministerium fand etwa November 2016 im BKA eine polizeiinterne Fachtagung mit Vertretern aller Landeskriminalämter, der Deutschen Hochschule der Polizei sowie der Bundespolizei und des Zollkriminalamts zum Thema „Predictive Policing – Einsatz softwarebasierter Prognosemethoden“ statt. Ein ergänzender Workshop mit den Ländern, die entsprechende Software bereits testen, sei für Ende Januar im BKA geplant. „Ziel ist die Zusammenfassung und Bewertung der bisherigen Erfahrungen.“

Polizeigewerkschafter Schulz kritisiert, dass das BKA nicht federführend bei dem Thema ist. „Auch hier zeigt sich der Föderalismus wieder von seiner negativen und teuren Seite. Anstatt das BKA gemeinsam mit ein oder zwei Ländern und externen Experten eine entsprechende Software für die Polizei entwickeln zu lassen, tüfteln derzeit acht Bundesländer an einer eigenen Softwarelösung“, sagte Schulz.


„Es sind lediglich dumme Algorithmen“

Wohin das letztlich führen wird, ist derzeit nicht absehbar. Schulz stellt jedoch bei allen bisherigen Systemen, die beispielsweise seit Jahren auch in Australien, Großbritannien und der Schweiz eingesetzt werden, fest, dass sie bisher nicht das halten, was man sich von ihnen verspricht.

„Im Bereich der Erstellung der kriminalpolizeilichen Lage und Analyse hat man früher Stecknadeln in Wandkarten gesteckt, um sich so ein Bild von Tatortverteilungen und der Kriminalitätsgeografie zu machen“, erläuterte er. Predictive-Policing-Software sei nicht mehr als die digitalisierte Form davon, kombiniert mit frei verfügbaren Informationen, wie Wetter- und Feriendaten, ergänzt mit kriminalistischen und kriminologischen Erkenntnissen aus den 1960iger und 70iger Jahren. So sei zum Beispiel ein Kernelement der Software der „Repeat Victimisation“-Ansatz, also der Hypothese, dass Orte oder Personen mehrfach in kürzerer Zeit von Tätern aufgesucht werden.

Unterm Strich fällt das Fazit von Schulz daher ernüchtern aus: „Predictive-Policing-Systeme können bisher leider nicht mehr als das, was gute Kriminalisten auch können“, sagte der Polizeigewerkschafter. Die derzeitigen Systeme hätten auch mit künstlicher Intelligenz nichts zu tun. „Es sind lediglich dumme Algorithmen“, betonte der Polizeigewerkschafter.

„Interessant wird es erst werden, wenn die Polizei die Big-Data-Möglichkeiten ausschöpft und diese Massendaten mit personenbezogene Daten, also hauptsächlich Täterdaten, verknüpft“, fügte Schulz hinzu. Doch aus datenschutzrechtlichen Gründen traue sich bisher niemand an dieses Projekt.

Zu Recht, wie der Linken-Innenexperte Hunko meint. „Mich besorgt, dass die Funktionen der Anwendungen stetig ausgebaut werden“, sagte Hunko. „Für den Versuch einer Vorhersage von Diebstählen wäre es beispielsweise möglich, Kennzeichenscanner einzubinden.“ Viele Bundesländer schafften derzeit solche Geräte an.

Bei computergestützten Prognosen gerieten zudem Personen ins Visier der Computer, die privaten oder geschäftlichen Kontakt zu Verdächtigen oder Beschuldigten hätten. „Dabei ist unklar, wie die vermeintlichen Risikoanalysen eigentlich berechnet werden, denn die Firmen legen den Quellcode der Software nicht offen“, gibt Hunko zu bedenken. „Schon aus diesem Grund verbietet sich der Einsatz durch Polizei und Geheimdienste.“

Polizeigewerkschafter Schulz sieht in digitalen Fahndungsinstrumenten ohnehin kein Allheilmittel gegen Kriminelle. „Man wird gut aus- und fortgebildete Schutz- und Kriminalpolizisten mit ihrem Erfahrungswissen nie ersetzen können“, sagte er.

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