Digitaler Parteitag Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow zur neuen Spitze der Linkspartei gewählt

Das Ergebnis wurde so bereits erwartet. Die neue Führung der Linkspartei will zur Bundestagswahl gesellschaftliche Veränderungen zur Debatte stellen.

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Janine Wissler (l) und Susanne Hennig-Wellsow sind die neuen Bundesvorsitzenden der Partei Die Linke. Quelle: dpa

Das neue, rein weibliche Führungsduo der Linken ist komplett: Nach der hessischen Landtagsfraktionschefin Janine Wissler wählte der Online-Parteitag am Samstag auch die thüringische Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow zur Co-Vorsitzenden.

Die 39-Jährige Wissler, die bisher stellvertretende Linken-Vorsitzende war und hessische Fraktionschefin ist, erhielt am Samstag 448 von 532 abgegebenen Stimmen. Es gab 64 Gegenstimmen und 20 Enthaltungen. Wissler kritisierte in ihrer Vorstellungsrede, dass Reiche in der Corona-Krise noch reicher geworden seien. Sie warb dafür, die Gesellschaft „grundsätzlich zu verändern“. Von dem Parteitag solle ein Aufbruchssignal ausgehen.

Die 43-Jährige Hennig-Wellsow erhielt 378 von 536 abgegebenen Stimmen. Sie ist Chefin des Landesverbands in Thüringen. Auf der sogenannten gemischten Wahlliste standen auch zwei männliche Gegenkandidaten, die 104 und 15 Stimmen erhielten. 39 Delegierte enthielten sich. Die Wahl der neuen Spitze muss anschließend noch per Briefwahl bestätigt werden.

Hennig-Wellsow warb auf dem Parteitag für ein Bekenntnis der Linken, auch im Bund Regierungsverantwortung zu übernehmen: „Lasst uns nicht mehr warten! Die Menschen haben keine Zeit, auf uns zu warten.“ Sie werbe dafür, CDU und CSU aus der Bundesregierung zu vertreiben. „Ob Schwarz-Grün kommt oder Rot-Rot-Grün, liegt auch an uns.“

Susanne Hennig-Wellsow – pragmatisch und regierungserfahren

Ein geworfener Blumenstrauß hat sie bundesweit bekannt gemacht: Den ließ sie Thüringens Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP), der sich im Februar 2020 im Landtag auch mit AfD-Stimmen wählen ließ, vor die Füße fallen. In Thüringen ist Susanne Hennig-Wellsow seit Jahren neben Ministerpräsident Bodo Ramelow das Gesicht einer erfolgsgewohnten, starken Linken.

Das Credo der 43-Jährigen: „Ich möchte, dass sich die Linke auf eine Regierungsbeteiligung vorbereitet.“ Was sie will: „radikale Realpolitik“. Susanne Hennig-Wellsow wurde in Mecklenburg-Vorpommern geboren, startete nach dem Pädagogikstudium in Erfurt 2001 als Mitarbeiterin der linken Landtagsfraktion in die Politik. Seit 2014 steht sie sowohl an der Spitze der Fraktion als auch des Landesverbands.

Mit ihrer pragmatischen, zielorientierten Art hatte sie maßgeblichen Anteil daran, dass 2014 in Erfurt das bundesweit erste Bündnis von Linke, SPD und Grünen zustande kam. Ihre Kämpfernatur verbindet sie auch mit dem Leistungssport als frühere Eisschnellläuferin. Sie sei 14 Jahre ihres Lebens im Kreis gelaufen, sagte sie einmal. „Aber auch im Kreis laufen bedeutet: schneller zu werden und ein Ziel zu finden.“ Künftig will sie ihre Bahnen in Berlin ziehen – ihre beiden Ämter in Thüringen will sie aufgeben, wie sie vorab ankündigte.

Janine Wissler – schlagfertig und gut vernetzt

Als stellvertretende Parteivorsitzende hat sie schon länger auch mit der Bundespolitik zu tun. Doch vor allem war Janine Wissler bisher die unangefochtene Frontfrau der hessischen Linken. Wenn die 39 Jahre alte Fraktionsvorsitzende im Landtag am Rednerpult steht, ist ihr meist die Aufmerksamkeit des ganzen Hauses gewiss – egal ob politischer Freund oder Gegner. Die Vorsitzende der Linksfraktion verschaffte sich mit ihrer rhetorischen Schärfe und Argumentation auch bei Abgeordneten anderer Parteien Respekt. Dabei wird Janine Wissler nie laut oder gar persönlich verletzend.

Wissler wuchs in Langen nahe Frankfurt auf und hat Politikwissenschaft studiert. Sie engagierte sich früh im globalisierungskritischen Netzwerk Attac, 2004 war sie eine der Gründerinnen der hessischen Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG), die aus Protest gegen die Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung entstand und 2007 in der Linken aufging. Mit 26 Jahren zog sie das erste Mal in den Landtag ein.

Über ihr Privatleben verrät Wissler wenig. Zu ihren Hobbys zählt sie Laufen und Bergwandern. 2017 kam die Politikerin beim Frankfurt Marathon ins Ziel. Zudem ist sie Mitglied im Eintracht Frankfurt Fanclub des Landtags.

Streit um Regierungsbeteiligung

Größte Herausforderung für das frischgewählte Führungsduo wird es sein, die traditionell sehr unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Linken zusammenzuführen. Immer wieder gibt es Streit über die inhaltliche Ausrichtung. Die Ära Kipping und Riexinger wurde von Dauerzwist mit Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht überschattet, die sich für eine restriktivere Migrationspolitik eingesetzt hatte. Bis heute kritisiert Wagenknecht außerdem den Kurs der Linken immer wieder als zu abgehoben und zu weit weg von der eigentlichen Wählerklientel.

Auch die Frage des Mitregierens gehört zu den vielen Streitfragen innerhalb der Partei, wie auch in Redebeiträgen auf dem Parteitag erneut deutlich wurde. Die Partei wäre in einer Koalition im Bund in wesentlichen Politikbereichen zu Kompromissen gezwungen, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Linke ist beispielsweise gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und für eine Abschaffung von Geheimdiensten. Im neuen Führungsduo ist Wissler bei der Regierungsfrage zurückhaltender als Hennig-Wellsow. Für ein Bündnis der Linken mit SPD und Grünen würde es nach aktuellen Umfragen nicht reichen.

Wissler und Hennig-Wellsow lösen die bisherigen Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger ab. Sie hatten die Linke seit 2012 geführt und wollten eigentlich bereits im vergangenen Juni ihre Amtszeit beenden, aber wegen Corona wurde der Parteitag seitdem zweimal verschoben. Bei dem Online-Treffen wird an diesem Samstag auch über die Neubesetzung der Stellvertreterposten, des Bundesgeschäftsführers und des Bundesschatzmeisters abgestimmt.

Die Linke erreicht in Umfragen Werte von sieben bis acht Prozent. Für eine Regierungsmehrheit mit SPD und Grünen, die in Umfragen auf zusammen rund 35 Prozent kommen, würde es demnach gegenwärtig nicht reichen. Der Bundestag wird am 26. September gewählt.

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