Digitalisierung Digital-Debakel: Bringt ein Digitalministerium die Rettung?

Die Pandemie offenbart Deutschlands Rückstand in der Digitalisierung. Quelle: dpa Picture-Alliance

Faxe hier, analoge Schule dort: Die Pandemie offenbart Deutschlands Rückstand in der Digitalisierung. Doch bringt ein Digitalministerium den entscheidenden Schub? In den Koalitionsverhandlungen droht Krach.

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Es ist ein hübsches Wort, das Angela Merkel (CDU) mit Blick auf die Misere einfällt: Deutschland dürfte nicht „Bummelletzter“ werden bei der Digitalisierung, mahnte die Kanzlerin Ende Dezember beim Digitalgipfel der Bundesregierung. 

Doch so groß der Anspruch, so ernüchternd die Wirklichkeit: Einerseits soll die Republik eine Führungsposition einnehmen in Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) und Quantencompuing – doch im Alltag bekommen die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands digitalen Rückstand regelmäßig zu spüren, nicht nur in der Pandemie.

Gesundheitsämter verschicken Faxe durch die Republik, Schüler warten auf funktionierenden Digitalunterricht und Software-Probleme verzögern die Auszahlungen der Überbrückungshilfen, um nur einige Beispiele zu nennen. 

Digitalrat, Digitalkabinett – aber kein Durchbruch

Trotz zahlreicher Initiativen und neuer Runden vom Digitalrat bis zum Digitalkabinett ist der digitale Durchbruch erneut nicht gelungen in dieser Legislaturperiode. Auch deshalb, weil es kein koordinierendes Digitalministerium gibt?

Union und SPD hatten sich gegen ein solches Ressort entschieden. Alle 14 Ministerien sollten Digitalministerien sein, so das Credo – das offensichtlich nicht funktioniert, wie FDP-Chef Christian Lindner kritisiert: „Wenn keiner zuständig ist oder wenn alle zuständig sind, passiert jeweils: nichts“, sagt er im Podcast „Chefgespräch“ der WirtschaftsWoche. Es gebe mit Blick auf die Digitalisierung in der Regierung „niemanden“, der „den Hut auf hat und koordiniert“, beklagt Lindner.   

Alle Ressorts hätten ihre „eigenen, nicht verbundenen IT-Projekte“, wie beispielsweise bei der Immobilienwirtschaft, wo die entsprechenden IT-Projekte und Digitalisierungsvorhaben „verstreut sind über die ganze Bundesregierung, statt dass in einer Stelle zentral über Standards, Verfahren und Rechtsgrundlagen gesprochen wird.“

Die FDP hätte es gerne anders gehabt. In den Verhandlungen zur Jamaika-Koalition 2017 habe die Partei eine Digitalisierungsinitiative mit der Regierung anstoßen wollen, doch dafür habe es von der Union ein „Nein“ geben: „Das war einer von 100 Gründen, warum wir damals nicht zusammengekommen sind“, erzählt Lindner.

Inzwischen aber beobachte der FDP-Chef ein „Umdenken“ in der Regierung bei der Digitalisierung: „Weil es unabweisbar geworden ist, dass unsere öffentliche Verwaltung diesbezüglich nicht funktioniert“, erklärt Lindner. Ebenso zeige das Lernen auf Distanz in der Pandemie, dass die Schulen keine digitale Didaktik bieten würden, „wie das im Jahr 2021 erwartet werden muss“. Er fordert deshalb, die Idee eines Digitalministeriums „nicht zu den Akten zu legen“, sondern offensiv anzugehen, um Verwaltung und Netzinfrastruktur zu modernisieren

Parteien uneins in der D-Frage

Allerdings könnte es bei den nächsten Koalitionsverhandlungen erneut Krach geben, ob es überhaupt ein Digitalministerium braucht – und wenn ja, wie viele. Denn in den Parteien gibt es dazu sehr unterschiedliche Ansichten.  

So hat sich CDU-Chef Armin Laschet bereits mehrfach für die Schaffung eines solchen Ressorts ausgesprochen: Im Bund sei eine Konzentration nötig „auf ein Digitalministerium mit einer Querschnittszuständigkeit“. „Das wird dann zwangsläufig ein sehr mächtiges Ministerium sein“, sagte Laschet der „Welt am Sonntag“.

Markus Söder (CSU) hat auf Landesebene bereits Fakten geschaffen. Unter der Leitung von Ministerin Judith Gerlach (CSU) gibt’s in Bayern seit November 2018 ein eigenständiges Digitalministerium. Söder dürfte sich deshalb wie Laschet auch auf Bundesebene für ein solches Ressorts einsetzen und dabei Unterstützung bekommen von der FDP.

Hingegen halten die Grünen als möglicher Koalitionspartner wenig von der Idee: „Vor zehn Jahren wäre ein Digitalministerium innovativ gewesen. In 2021 wirkt es eher wie eine Reise zurück in die Zukunft“, schreibt Anna Christian, innovationspolitische Sprecherin der Grünen, in einem Gastbeitrag in der WirtschaftsWoche. Wer Digitalisierung gestalten wolle, müsse eine neue Arbeitskultur zum Grundsatz von Regierungshandeln machen. „Eine Technologie-Taskforce vor, die vom Kanzleramt aus Innovationsprozesse in die Ministerien und Behörden trägt“, sei deshalb der richtige Weg.

Auch SPD-Chefin Saskia Esken ist kein Fan des Digitalministeriums, das sei eine „aus den 80er-Jahren gefallene Idee“. Stattdessen solle das Kanzleramt über das regelmäßig tagende Digitalkabinett dafür sorgen, „dass die digitalpolitischen Vorhaben der Ministerien und weiterer Gremien besser gesteuert und koordiniert werden“, sagte Esken kürzlich dem „Handelsblatt“.

Kanzleramtschef bemängelt  Durchsetzungsfähigkeit

Aber genau das funktioniert bisher eben nicht wie gewünscht, was selbst Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) eingestehen muss. Es sei ein Manko, dass er und sein Team „im Kanzleramt zwar koordinieren, aber nicht operativ tätig werden können“. Daher sei es „richtig, dass wir uns nun konzeptionell überlegen, wie ein solches Ministerium aussehen und arbeiten könnte“, sagte er bereits Ende 2019 der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ – und löste damit Spekulationen aus, ob es womöglich noch während der Legislaturperiode zum Umbau kommt. Was sich dann jedoch erledigt hatte mit dem kurz darauf folgenden Beginn der Pandemie.   

Ein Jahr und viele offenbarte Digitalisierungsdefizite später gibt es freilich kein Erkenntnisproblem mehr – doch wird sich die Umsetzung nicht allein darauf beschränken können, einem Ressort den Aufkleber „Digitalministerium“ zu verpassen.

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