Ist die Pandemie etwa schon vorbei? Vor wenigen Tagen verkündete die Bundesagentur für Arbeit die neuesten Zahlen zum deutschen Arbeitsmarkt: 2.578.000 Arbeitslose, das waren fast 400.000 weniger als vor einem Jahr. Auch der deutsche Export meldete neue Rekorde. Und im Interview mit der WirtschaftsWoche schlägt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger ein Ende der Coronahilfen zu Silvester vor.
Es sind – bei aller gebotenen Vorsicht – erste Zeichen, dass die Normalität bald wieder Einzug halten könnte; ins alltägliche Leben, aber vor allem auch in die Wirtschaft. Damit treten allerdings nur die drängendsten Sorgen vor einem pandemiebedingten Jobverlust oder einer langanhaltenden Rezession in den Hintergrund – der grundlegende digitale Wandel am Arbeitsmarkt (und was er bedeutet) hingegen beschäftigt viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr denn je.
Das jedenfalls ist das Ergebnis einer internationalen Studie der Universität Konstanz in Zusammenarbeit mit dem Berliner Thinktank Das Progressive Zentrum, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt. Für die Untersuchung „Automatisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt und die Ängste der Beschäftigten davor“ wurden insgesamt 25.000 Teilnehmer in 24 OECD-Staaten befragt.
Die wichtigsten Ergebnisse: In Deutschland sorgt sich etwas mehr als jeder Vierte (27,5 Prozent), seinen Arbeitsplatz wegen des technologischen Fortschritts zu verlieren. Im Schnitt aller Befragten in den Ländern teilen diese Befürchtungen sogar 35,7 Prozent. Spitzenreiter ist hier Südkorea, wo sogar 65,5 Prozent die Angst zu Protokoll geben, durch Automatisierung und Digitalisierung den Anschluss zu verlieren.
Doch das ist nur die eine Seite des Befundes. Denn gleichzeitig befürworten mehr als 60 Prozent der Studienteilnehmer (in Deutschland sogar satte 75 Prozent) stärkere Investitionen in die digitale Infrastruktur – und mehr als die Hälfte erkennt zudem die positiven Folgen der Digitalisierung an: wenn belastende und stupide Arbeit abnimmt oder die Work-Life-Balance leichter zu organisieren ist.
Der Roboter nebenan, eine Kollegin namens künstlicher Intelligenz? Ja, warum denn nicht? Unterm Strich erscheint die Reaktion von Beschäftigten in Industrieländern auf die Herausforderungen des technologischen Wandels also erstaunlich differenziert und durchaus nicht nur pessimistisch.
Studienleiter Marius Busemeyer, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ fasst die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „Die vielschichtigen Bedenken hinsichtlich des technologischen Wandels sollten ernst genommen und weder nur seine positiven noch seine negativen Aspekte betont werden.“ Welche Schlussfolgerungen die Politik daraus ziehen sollte? „Die Chancen des technologischen Wandels anerkennen und gleichzeitig die Sorgen der betroffenen Beschäftigten aufgreifen“, sagt er.
Was das konkret bedeutet – das zu liefert die Konstanzer Studie ebenfalls interessante Zahlen: Höhere Investitionen in die Erstausbildung befürwortet eine überwiegende Mehrheit von 74,2 Prozent der Befragten, noch höher ist die Zustimmung sogar für mehr Weiterbildung im Erwachsenenalter: 78 Prozent. Die Daten lassen sich durchaus als Plädoyer für mehr staatliche Hilfe zur Selbsthilfe lesen: Schafft die Voraussetzungen, liebe Politik, dann nehmen wir die Herausforderung an.
Zumal die Zustimmung zu mehr finanziellem Engagement in der Bildung noch größer als ist als die nach mehr sozialer Sicherung: 61 Prozent der Befragten befürworten ein enger gewobenes Netz staatlicher Hilfe, sei es höheres Arbeitslosengeldes oder anderer Transferleistungen. Sie wollen also beides: Hilfe und Schutz in Fall der Fälle.
„Obwohl Bildungsinvestitionen Vorrang haben sollten, muss die Politik Instrumente entwickeln, die betroffenen Beschäftigten auch direkt helfen“, analysiert Florian Ranft, Programmleiter „Strukturwandel“ am Progressiven Zentrum und Mit-Herausgeber der Studie: „Das bedeutet, es muss ein Umdenken geschehen. Soziale Investitionen müssen wieder stärker mit kompensatorischer Sozialpolitik kombiniert werden, wie etwa eine besser ausgestattete Arbeitslosenversicherung.“
Das unterstreicht auch Studien-Coautor Tobias Tober, Postdoktorand am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Uni Konstanz: Die Politik sollte vor allem solche Strategien verfolgen, die „auf die Erweiterung von Bildungsmöglichkeiten abzielen“, insbesondere im Bereich des lebenslangen Lernens. „Die Herausforderung besteht hier darin, Bildungsinvestitionen gegen potenzielle kurzfristige Forderungen nach Ausgaben in anderen Politikbereichen abzusichern“, so Tober.
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