Digitalisierung „Sorge um Zukunft“: CDU-Politiker schreiben Warn-Brief an Wissing

Digitalminister Volker Wissing Quelle: AP

Digitalminister Volker Wissing kümmert sich zu wenig um Künstliche Intelligenz, kritisieren führende Unionspolitiker. Sie fürchten, dass Deutschland zu Chinas Werkbank wird.   

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Ein Blick aufs Ranking zeigt, wie groß die Bedrohung ist: Kein anderes Land meldete 2021 so viele Patente im Bereich digitale Kommunikationstechnik an wie China. 4308 Anmeldungen zählt das Deutsche Patent- und Markenamt in seinem Jahresbericht, das ist ein Plus von 6,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Volksrepublik arbeitet strategisch an ihrem Ziel, weltweiter Technologieführer im Bereich der Digitalisierung zu werden, dazu zählen auch Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI).

Deutschland kommt kaum noch hinterher, in der Kategorie zur Kommunikationstechnik schafft es die Bundesrepublik nicht mal in die Top fünf. Bei Patenten zur Computertechnik, etwa im Bereich Bild- und Spracherkennung, landet Deutschland lediglich auf Platz drei – hinter den USA und China, die im Bereich KI längst Märkte erobern und Standards setzen.  

Umso alarmierter sind führende Unionspolitiker über die Entwicklung in Deutschland und Europa. Sie haben deshalb einen Warn-Brief an Digitalminister Volker Wissing (FDP) geschrieben. Zum Verfasserteam gehören Vizefraktionschefin Nadine Schön, der digitalpolitische Sprecher Reinhard Brandl, Ronja Kemmer, Vorsitzende der Jungen Gruppe und Obfrau im Ausschuss Digitales, sowie Axel Voss, Koordinator der EVP-Fraktion im Rechtsausschuss des EU-Parlaments. 

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Ihre Befürchtung: Die EU könnte künstliche Intelligenz so regulieren, dass „die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas massiv beeinträchtigt“ wird. Unternehmen könnten mangels Innovationsfreiraum im globalen Wettbewerb ausbremst werden, Deutsche und Europäer würden „zur verlängerten Werkbank bei KI“.

„Artificial Intelligence Act“ (AI-Act) heißt die Verordnung, mit der die EU erstmals verbindliche Regeln für die Anwendung von KI festlegen will, um weltweiter Vorreiter für die Entwicklung sicherer, vertrauenswürdiger und innovativer KI-Systeme zu werden. Als Vorbild gilt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Künstliche Intelligenz – Geschichte einer Idee

Die Kommission hatte den Entwurf zum AI-Act im April 2021 vorgelegt. Derzeit werden mehr als 1000 Änderungsanträge der EU-Abgeordneten abgearbeitet. Der Europäische Rat und das EU-Parlament müssen sich auf eine gemeinsame Fassung des Textes einigen.  

Von Wissing nur „Vages“

Die Autoren des Warn-Briefs werfen der Regierung zu große „Zurückhaltung bei den Verhandlungen“ vor, es gebe von deutscher Seite nur „vage“ Forderungen. Dabei müsse Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU den Rechtsrahmen des AI-Acts „aktiv mitgestalten“, der auf Jahre hinaus „alle Politikbereiche stark betreffen wird“.

Wissing ist als Digitalminister allerdings offiziell gar nicht zuständig für den AI-Act. Denn die Koordinierung der verschiedenen europäischen Strategien und Rechtsakte hat die Bundesregierung auf verschiedene Ressorts aufgeteilt, für den AI-Act sind demnach das Justiz- und Wirtschaftsministerium zuständig. 

Doch Ronja Kemmer sieht Wissing als Digitalminister trotzdem in der Pflicht. Der Minister habe im Digitalausschuss des Bundestags „klar den Anspruch erhoben“, die EU-Gesetzgebungsprozesse zu den Digitalthemen zu koordinieren: „Davon ist aber leider nichts zu sehen“.

Die Bundesregierung spiele beim AI-Act „leider Zuschauer statt Gestalter“, das sei ein „großes Versäumnis“, bekräftigt auch Vize-Fraktionschefin Schön gegenüber der WirtschaftsWoche. 

Während etwa Spanien bereits eine „AI-Sandbox“ habe, um Innovatoren zu unterstützen und künftige EU-Regeln zu testen, diskutiere die Ampel-Koalition bei solch entscheidenden Digitalthemen die Zuständigkeiten zwischen den Ressorts. „Forscher und Unternehmer kommen bereits auf mich zu, weil sie zu restriktive Regeln, gar eine Doppelregulierung und bürokratische Hürden durch den AI-Act befürchten, wenn er an der praktischen Wirklichkeit vorbeiläuft“, betont Schön.

Zehn Forderungen an den Minister

Zehn Forderungen stellen die Warn-Brief-Verfasser an den Digitalminister und die Bundesregierung auf. Die Probleme fangen demnach schon bei der Definition von KI an. Sie sei bisher zu weit und unspezifisch gefasst, so dass auch konventionelle Software-Anwendungen in den Anwendungsbereich fallen würden. 

Die Konsequenz: Neue Regeln würden nachträglich auch für eine Vielzahl an bereits bestehenden Anwendungen entstehen. „Dies ist nicht zielführend, denn eine wirkliche Regelungslücke besteht bislang vor allem bei Verfahren des Maschinellen Lernens“, betonen die Autorinnen und Autoren.

Weiter fordern sie Nachbesserungen in den Sicherheitseinstufungen. So sei die Kategorie „Hochrisiko KI-Systeme“, in der es etwa um KI in der kritischen Infrastruktur wie Strom, Wasser geht, um Anwendungen im Verkehr, bei öffentlichen Diensten oder der Strafverfolgung, bisher zu wenig trennscharf definiert und lasse „großen Raum für Rechtsunsicherheiten“. Auch sei unklar, wer innerhalb der Lieferkette zwischen Entwickler und Anbieter welche Verantwortung habe.

Mittelständlern drohten Nachteile

Nachteile befürchten die Unionspolitiker auch für Start-ups wie für kleine und mittelständische Unternehmen. Für sie müsse der Verwaltungsaufwand reduziert, Ausnahmen bei Berichts-, Informations- oder Dokumentationspflichten ermöglicht werden.

Offen bleibe auch, in welchem Verhältnis Anforderungen der KI-Verordnung zu anderen EU-Rechtsvorschriften stehen würden – etwa zur DSGVO, der Richtlinie für Produktsicherheit sowie zu den Verordnungen für Strafverfolgung und IT-Sicherheit. Durch die Rechtsunsicherheiten könnten über Jahre hinweg negative Folgen entstehen.

„Beim AI-Act kommen wir jetzt auf die entscheidende Zielgerade“, sagte Ronja Kemmer der WirtschaftsWoche. „Wenn die Bundesregierung jetzt nicht in die Gänge kommt, wird nicht weniger als unsere Zukunft beim Thema KI verspielt“, warnt sie: „Ich habe hier größte Sorgen, dass wir kurz davor sind, uns als EU ins Aus zu manövrieren“. Europäer würden dann nur noch Abnehmer fertiger KI-Produkte, „die gar nicht auf unserer Wertegrundlage gebaut sind.“  

Versäumnisse in der großen Koalition

Dass Deutschland so große Defizite in der KI hat, liegt allerdings auch an der Union und ihren Versäumnissen in der großen Koalition. So hatte sie zwar gemeinsam mit der SPD eine KI-Strategie aufgelegt und mehr als fünf Milliarden Euro Fördergelder bereitgestellt, doch am Ende der Legislaturperiode war mit rund 330 Millionen Euro nur ein Bruchteil abgeflossen.

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Wissing selbst hat die Eckpunkte für seine Digitalstrategie gerade fertiggestellt und in die Ressortabstimmung gegeben. Doch eine Kabinettsentscheidung wird es erst am 31. August geben, ursprünglich war Anfang Juli angedacht. Ein eigenes Digitalbudget gibt es vorerst nicht, viele Vorhaben sind Überbleibsel aus der vergangenen Legislaturperiode. Vision und Ambition geht anders – dabei will Wissing eigentlich einen „umfassenden digitale Aufbruch“ erreichen.

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