Digitalisierung Statt Digitalministerium: Eine Tech-Taskforce fürs Kanzleramt

Agile Amtsstuben? Die Verwaltung muss mehr Tempo machen bei der Digitalisierung.     Quelle: dpa

Die Verwaltung kommt mit dem Tempo der Digitalisierung nicht mehr mit. Doch wer jetzt ein Digitalministerium fordert, führt eine Debatte von gestern. Vielmehr braucht jedes Ressort eine Innovationseinheit. Ein Gastbeitrag.

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Anna Christmann ist Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik der Grünen im Bundestag.

Die Debatte ums Digitalministerium verfolgt uns während dieser Wahlperiode wie das täglich grüßende Murmeltier. Wahlweise die FDP oder Teile der CDU verkaufen ein solches Ressort als die eierlegende Wollmilchsau, die uns umgehend Breitbandanschlüsse und Online-Elterngeldanträge bescheren könnte - und jetzt spricht sich auch noch der neue CDU-Chef Armin Laschet für ein Digitalministerium auf Bundesebene aus.

Die Idee ist im Grundsatz nicht falsch – nur kommt sie reichlich spät. Vor zehn Jahren wäre ein Digitalministerium innovativ gewesen. In 2021 wirkt es eher wie eine Reise zurück in die Zukunft.

Verwaltung kommt nicht mehr hinterher

Richtig ist, dass spätestens seit dieser Pandemie allen klar ist: Wir sind zu langsam in der Umsetzung digitaler Innovationen zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen. Die Bundesregierung hat im letzten Jahrzehnt weder für die nötige digitale Infrastruktur noch für eine innovative Verwaltung gesorgt, die mit dem Tempo der Digitalisierung Schritt halten kann.

Das rächt sich jetzt in Form von Zettelwirtschaft bei Gesundheitsämtern und fehlender Ausstattung für Homeoffice und Homeschooling. Von vertanen Chancen einer smarten Energiewende ganz zu schweigen. Aber es kann kein unumstößliches Gesetz sein, dass die öffentliche Hand immer zu spät und zu langsam digitale Innovationen umsetzt. Das muss anders gehen. 

Aber wie? Während alle Welt mit agilen Methoden kollaborativ in Teams und Projekten arbeitet, laufen in den Ministerien bunte Umlaufmappen von Büro zu Büro und jedes Referat werkelt an seiner ureigenen Zuständigkeit. Kontakt nach Außen ist weitgehend unerwünscht. Das passt nicht zu den Anforderungen, die eine vernetzte Welt mitten in sich beschleunigenden Krisen von Umwelt und Demokratie an uns stellt. Der Fehler liegt dabei nicht bei einzelnen Verwaltungsmitarbeitenden, sondern in starren Hierarchien und Arbeitsstrukturen, die nicht auf exponentielle Veränderungen um sie herum ausgerichtet sind.

Innovatoren für Verwaltung begeistern

Wer Digitalisierung gestalten will, muss eine neue Arbeitskultur zum Grundsatz von Regierungshandeln machen. Offen, teamorientiert, transparent und interdisziplinär entstehen neue Ideen und können Abläufe besser gemacht werden. Wir brauchen Erfahrung aus der Praxis in Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft innerhalb der Verwaltung – doch wer sonst bei Start-ups anheuert oder gar selbst welche gründet, wird sich kaum auf eine Referatsleitung im Ministerium bewerben.

Es braucht deshalb Teams, die Lust auf Verwaltungsarbeit machen. Verwaltung muss auch zugänglicher für Ideengeberinnen und Innovatoren aus Wissenschaft und Wirtschaft werden. Sichtbare Schnittstellen zur Zivilgesellschaft könnten eine offenere Kultur fördern. 

Jedes Ministerium braucht eine Innovationseinheit 

Für eine solche neue Verwaltungskultur schlagen wir eine Technologie-Taskforce vor, die vom Kanzleramt aus Innovationsprozesse in die Ministerien und Behörden trägt. Dazu ist die Taskforce selbst hochkarätig und interdisziplinär mit Praktikerinnen und Praktikern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft zu besetzen. Sie leistet Vernetzung nach Außen und ist Anlaufstelle für Ideengeber aus der Gesellschaft, für die die Verwaltung derzeit oftmals eine Blackbox ist.

Jedes Ministerium braucht eine Innovationseinheit, die in der zentralen Technologie Taskforce vernetzt und gesteuert werden. In den Innovationslaboren werden neue Arbeitsformen, gemischte Teams und wo nötig auch andere Gehaltsstrukturen erprobt und in die Breite getragen. Mitarbeitende könnten sowohl an die Innovationsteams als auch klassische Referate angedockt sein, um Brücken zu schlagen. Ihre Vernetzung untereinander trägt dazu bei, aus den Silos der einzelnen Ministerien auszubrechen und übergreifende Themen gemeinsam zu bearbeiten.

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Digitalministerium hin oder her – ohne eine neue Innovationskultur in der gesamten Verwaltung wird es das Grundsatzproblem nicht lösen, dass wir in allen Politikbereichen schnellere und bessere Umsetzung digitaler und auch sozialer Innovationen brauchen. Fehlende Infrastruktur und Softwareprobleme dürfen uns nicht länger bei Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit und partizipativer Demokratie ausbremsen. Ein Digitalministerium als Feigenblatt statt einer neuen Verwaltungs- und Kooperationskultur könnte am Ende mehr schaden als nützen.

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