Digitalisierung Union und SPD vereinbaren Masterplan für künstliche Intelligenz

Im Wahlkampf versprachen Union und SPD einen Masterplan für die Entwicklung künstlicher Intelligenz. Mit einer neuen GroKo könnten Worten nun Taten folgen.

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Dieser Roboter von Toyota spielt Geige. Quelle: dpa

Berlin Es ist wie mit so vielem bei der Digitalisierung: Selbstfahrende Autos, genauere medizinische Diagnosen oder Unterstützung bei der Aufklärung von Verbrechen – künstliche Intelligenz (KI) wird schon heute in vielen Lebensbereichen eingesetzt und gilt als Schlüsseltechnologie der kommenden Jahre. Doch die Politik hat das Thema lange stiefmütterlich behandelt.

In den Wahlprogrammen der Parteien fand KI kaum Niederschlag: Im gemeinsamen Programm von CDU und CSU wurde das Thema zweimal erwähnt, in den Programmen von SPD, FDP, Grünen und dem gesonderten CSU-Bayernplan je einmal. Erst nachdem China im vergangenen Sommer angekündigt hatte, bis 2025 auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz weltweit führend sein zu wollen, schlugen SPD und Union einen Masterplan für die Entwicklung dieser Zukunftstechnologie vor. Der könnte nun, da beide auf eine neue gemeinsame Regierung zusteuern, konkrete Formen annehmen.

Algorithmen, künstliche Intelligenz und lernende Systeme hätten in den Koalitionsverhandlungen „eine wesentlich größere Rolle als bisher“ gespielt, sagt Verbraucherschutz-Staatssekretär Ulrich Kelber (SPD) dem Handelsblatt. Einig ist man sich etwa darin, wie es in einem Papier der Verhandlungsgruppe „Digitales“ heißt, „gemeinsam mit unseren französischen Partnern“ ein KI-Zentrum zu errichten. Und dieses Vorhaben solle mit einem „Masterplan künstliche Intelligenz auf nationaler Ebene“ verbunden werden. Für die künftige Koalition sind damit die nächsten Schritte vorgezeichnet. „Die Veränderungen, die diese Technologien mit sich bringen, müssen verstanden, geltendes Recht durchgesetzt und eventuell Gesetzgebung verändert werden“, skizziert Kelber die Herausforderung.

Das Thema ist komplex. Es geht nicht nur um technische, sondern vor allem auch um ethische und rechtliche Fragen. Erste Antworten soll eine vom Bundesjustizministerium und dem Digitalverband Bitkom veranstaltete Konferenz an diesem Dienstag in Berlin liefern. Vertreter aus Unternehmen, Wissenschaft und von Verbänden diskutieren über die Frage, ob künstliche Intelligenz ein „Freund und Helfer“ sein könne – und inwieweit die neue Technologie einer Regulierung bedarf.

Justizminister Heiko Maas (SPD) ist zwar überzeugt, dass es ohne einen Rechtsrahmen wohl nicht gehen werde. „Die Zunahme digital gesteuerter Handlungs- und Entscheidungsabläufe im Alltag muss mit Leitplanken versehen werden, die sicherstellen, dass der Einsatz von KI nicht am Ende die Werte gefährdet, die für eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft essenziell sind“, so Maas in seinem Grußwort an die Konferenzteilnehmer. Doch welche konkreten Leitplanken gebraucht werden, da tappt die Politik noch im Dunklen.

Dabei dringt künstliche Intelligenz mittlerweile in nahezu alle Wirtschaftsbereiche vor, überall da, wo es um große Datenmengen geht, Routinen oder das Ermitteln und Erkennen von Zusammenhängen. Bitkom-Präsident Achim Berg hält deshalb etwa Transparenz für Verbraucher für wichtig. Zumal vielen nicht bewusst sei, „dass sie bereits bei alltäglichen Vorgängen wie Internetsuchen, in Online-Shops oder bei der Nutzung von Sprachassistenten von Verfahren der KI unterstützt werden“. Wichtig sei daher, so Berg mit Blick auf die Veranstaltung in Berlin, KI als eine Schlüsseltechnologie zu erkennen, deren Bedeutung man gar nicht hoch genug einschätzen könne.

Das gilt erst recht für die deutsche Wirtschaft. Denn sie läuft Gefahr, beim Einsatz neuer Technologien international abgehängt zu werden, wie eine repräsentative Umfrage unter 505 Unternehmen aller Branchen im Auftrag von Bitkom zeigt. So sagen zwei Drittel (68 Prozent) der befragten Vorstände und Geschäftsführer, dass deutsche Unternehmen bei der Nutzung von künstlicher Intelligenz nur zu den Nachzüglern gehören oder sogar weltweit abgeschlagen sind. Ein Befund, der schwerwiegende Folgen nach sich ziehen kann. Denn, so Berg: „Industrie 4.0, also die vernetzte Produktion, die für die Industrienation Deutschland von so entscheidender Bedeutung ist, ist ohne KI schlicht nicht möglich.“ Er prognostiziert denn auch, dass künstliche Intelligenz Wirtschaft, Politik und Gesellschaft „tiefgreifend“ verändern werde.


EU-Kommission warnt vor „harter Keule der Regulierung“

Ähnlich sieht es der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, weshalb er der Politik rät, sich dem Thema stärker als bislang anzunehmen. Zwar werde es sicherlich noch einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis sich die vollen wirtschaftlichen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz zeigen werden. „Die Politik muss aber bereits heute die Weichenstellung dafür setzen, dass möglichst viele Menschen von dieser technologischen Veränderung profitieren können“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. „KI wird zunehmend vor allem besser qualifizierte Arbeitsplätze ersetzen und könnte dadurch die Strukturen unserer Gesellschaft grundlegend verändern.“

Auch der Digitalexperte der Grünen, Dieter Janecek, ist überzeugt: „Die Auswirkungen werden fundamental sein.“ Zumal der Einzug von künstlicher Intelligenz und Robotik in Wirtschaft und Gesellschaft längst Realität sei. Nötig sei eine „breite Debatte unter Beteiligung der Zivilgesellschaft mit dem Ziel, gemeinsame Regeln insbesondere zur Steuerung von Haftung und Ethik zu erarbeiten“, sagte Janecek dem Handelsblatt. Dazu zählt für ihn, dass die „Bewahrung der menschlichen Autonomie bei allen grundlegenden Entscheidungen“ Voraussetzung sein müsse, „um diese technologische Revolution zum Wohle der Menschen dienstbar zu machen“.

Die Vizechefin der CSU und Digital-Staatssekretärin Dorothee Bär betonte vor allem die Chancen, die mit der Maschinenintelligenz verbunden sind. „Auf sehr lange Zeit können wir uns sicher sein, dass Gefährdungen unserer Werte von natürlichen und nicht von künstlichen Intelligenzen ausgehen“, sagte Bär dem Handelsblatt. Gleichwohl plädiert auch sie für gesetzliche Rahmenbedingungen. Vorstellen kann sie sich den Einsatz der Zukunftstechnologie „in klar umrissenen Feldern“. „Die Ergebnisse müssen in für Menschen nachvollziehbarer Form dokumentiert werden, auch um Fehlentwicklungen bei den zugrundeliegenden Algorithmen erkennen zu können.“

Konkrete Ziele haben Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen vereinbart. Zum Schutz der Verbraucher will die GroKo Algorithmen und künstliche Intelligenz „überprüfbar machen“. Dabei geht es um Entscheidungen, die Software-Programmen aufgrund bestimmter Voreinstellungen fällen und die etwa diskriminierend sein könnten. „Wir werden Mechanismen entwickeln, um bei bedenklichen Entwicklungen tätig werden zu können“, heißt es in einem Entwurfspapier für den Koalitionsvertrag.

Eine Regulierung von Algorithmen hatte auch schon Maas ins Spiel gebracht. Im vergangenen Jahr schlug er ein „digitales Antidiskriminierungsgesetz“ vor, um zu verhindern, dass Bürger durch Softwareentscheidungen benachteiligt werden.

Solche Überlegungen gehen dem Grünen-Politiker Janecek nicht weit genug. Er sieht auch im militärischen Sektor einen hohen Regulierungsbedarf: „Die Entwicklung von Robotern, die dazu konstruiert werden, Menschen zu schaden oder gar zu töten, muss grundsätzlich untersagt werden, auch im Rahmen internationaler Abkommen“, verlangte Janecek. Schon deshalb erwartet er von der Bundesregierung, dass sie ihre „Anstrengungen bei Technikfolgenabschätzung und Grundlagenforschung“ deutlich verstärkt.

Auch auf EU-Ebene drängt das Thema auf die Agenda. Im Frühjahr will die Kommission einen europäischen Ansatz für den Umgang mit künstlicher Intelligenz formulieren. Man wolle aber nicht sofort mit einer Richtlinie kommen, hieß es nach Informationen des Handelsblatts in Kommissionskreisen. Ein gemeinsames europäisches Vorgehen sei der richtige Weg, aber nicht mit der „harten Keule der Regulierung“.

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