Digitalpolitik So schaffen wir die soziale digitale Marktwirtschaft

Christine Lambrecht ist Bundesjustizministerin, Hubertus Heil Bundesminister für Arbeit und Soziales. Quelle: imago images; Montage: WirtschaftsWoche

Digitale Plattformen und ihre Dienste sind aus unser aller Leben nicht mehr wegzudenken. Aber Digitalisierung darf nicht mit Ausbeutung verwechselt werden. Für Wild-West-Methoden ist in Deutschland kein Platz. Ein Gastbeitrag.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Christine Lambrecht ist Bundesjustizministerin, Hubertus Heil Bundesminister für Arbeit und Soziales.

Viele digitale Annehmlichkeiten gehören für uns mittlerweile ganz selbstverständlich zum Alltag: Der Einkauf übers Internet, die Pizza vom Lieferdienst oder das Taxi per App. Der kurze Griff zum Handy erleichtert unser Leben und erspart uns Zeit. Gerade in Zeiten von Corona und Social Distancing lernen wir den Wert digitaler Dienstleistungen und Arbeit besonders zu schätzen.

Fakt ist: In immer mehr Geschäftsfeldern wird Online das neue Offline. Um den Überblick über das riesige Angebot zu behalten, bedienen wir uns Online-Plattformen wie Amazon, AirBnB oder Lieferando. Sie sind die digitalen Marktplätze, auf denen wir Angebote finden, vergleichen, bestellen und bewerten. Alles aus einer Hand und mit nur wenigen Klicks erreichbar. Damit Verbraucherinnen und Verbraucher von diesen Angeboten profitieren können, braucht es faire, transparente und nutzerfreundliche Bedingungen sowie eine hohe Produktqualität und -sicherheit. Plattformen sind daher stärker in die Verantwortung zu nehmen, um die Verbraucherrechte und die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten.

Fakt ist auch: Die Plattformökonomie boomt und hat durch die Coronapandemie noch einen weiteren Schub erhalten. Ein Beispiel dafür ist Delivery Hero, eines der Schwergewichte auf dem internationalen Plattform-Markt. Dieser Boom verändert auch die Arbeitswelt tiefgreifend: Gerade für Solo-Selbstständige verbindet sich damit die Hoffnung, über digitale Plattformen einen einfacheren und überregionalen Zugang zu Neukunden zu erhalten. Und von der Haushaltshilfe über den Klempner bis zur Programmiererin finden inzwischen auch immer mehr Erwerbstätige ihre Kunden und die Verbraucherinnen und Verbraucher Solo-Selbständige über das Internet.

Diese Entwicklung hat aber für Plattformtätige und ihre Kunden auch ihre Schattenseiten. Sie verschafft den Betreibern von Online-Plattformen eine besonders herausgehobene Machtposition gegenüber allen, deren wirtschaftliches Auskommen zunehmend vom Marktplatz Internet abhängt. So haben Solo-Selbständige teils wenig Einfluss auf Arbeitseinsatz oder Entgelt und verlieren im Abhängigkeitsverhältnis zur Plattform den Kontakt zu ihren Kunden. Und die Kunden sind ebenfalls von der Plattform als dem zentralen lenkenden Akteur und dessen Bedingungen abhängig. Dies gilt umso mehr je größer die Marktmacht der Plattform ist. Solo-Selbstständige sind deshalb vergleichbar abhängig von der Plattform wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihren jeweiligen Arbeitgebern.

Da die Plattformbetreiber die Nutzungsverträge mit den Anbietern auf der Plattform regelmäßig kurzfristig kündigen können, sind sie in der Lage ihre Nutzungsbedingungen mit Wirkung für alle Anbieter auf der Plattform immer wieder kurzfristig auch zu deren Lasten zu ändern. Solo-Selbständige müssen die Vertragsbedingungen der Plattformbetreiber akzeptieren, weil sie oft keine Alternative zu der Plattform haben und über zu wenig Verhandlungsmacht verfügen, um abweichende Vertragsbedingungen durchzusetzen. Im Streitfall können die Solo-Selbständigen die vom Plattformbetreiber vorgegebenen Vertragsbedingungen meist nicht gerichtlich überprüfen lassen, da sie das Prozessrisiko scheuen oder fürchten, dass sie nach einer Klage gegen den Plattformbetreiber die Plattform nicht mehr nutzen können.

Bestimmte Vertragspraktiken von Plattformbetreibern müssen unterbunden werden. Es darf nicht sein, dass ein Plattformbetreiber in seinen Vertragsbedingungen wirksam untersagen kann, dass die auf der Plattform Beschäftigten untereinander kommunizieren oder sich gar gewerkschaftlich organisieren dürfen – bislang legal und somit ohne die Möglichkeit, rechtlich dagegen vorzugehen. Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft sind zentrale Grundlagen unserer sozialen Marktwirtschaft – auch im digitalen Zeitalter.

Hier herrscht politischer Handlungsbedarf: Digitalisierung darf nicht mit Ausbeutung verwechselt werden. Für Wild-West-Methoden ist in Deutschland kein Platz. Wir werden nicht zulassen, dass die Rechte von online vermittelten Beschäftigten unter die Räder kommen, so wie wir das derzeit in den USA sehen. Denn auch und gerade im wachsenden Online-Business müssen die Regeln der sozialen Marktwirtschaft gelten. Der digitale Fortschritt muss auch mit sozialem Fortschritt einhergehen, anstatt die Rechte von Beschäftigten einzuschränken. Denn klar ist: Wie die Arbeit der Zukunft aussehen soll, darüber dürfen nicht die Plattformen allein nach Marktlogik entscheiden. Diese Weichenstellung muss immer eine demokratische Entscheidung bleiben, die eine Gesellschaft für sich trifft. Allein auf die Selbstregulierung der Unternehmen zu setzen, wird nicht genug sein. Hier ist der Gesetzgeber gefordert: Es gilt Schutzrechte zu stärken und für faire Tätigkeitsbedingungen zu sorgen.

Das bedeutet, wir müssen die Rechte der Plattformbeschäftigten gegenüber den Plattformbetreibern stärken. Es müssen Mindestkündigungsfristen und Übergangsfristen für die Beendigung von Plattformverträgen durch die Plattformbetreiber verbindlich gesetzlich festgelegt werden, damit die Verträge nicht mehr kurzfristig zu Lasten der Plattformtätigen geändert werden können. Zum Schutz der Plattformtätigen muss wirksamer gegen unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen von Plattformbetreibern vorgegangen werden. Plattformtätige dürfen durch unwirksame AGB nicht über ihre Rechte und Pflichten getäuscht werden. Deshalb muss der Markt zum Schutz der Plattformarbeiter von solchen AGB freigehalten werden. Das bedeutet auch, dass bestimmte Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die einseitig zu Lasten der Plattformtätigen gehen, einfacher und unkomplizierter gerichtlich überprüft werden können – beispielsweise, wenn Plattformen Vergütungen grundlos einbehalten oder willkürlich Konten sperren.

Zudem brauchen wir mehr Transparenz und Fairness bei den Bewertungs- und Rankingsystemen. Sowohl die Solo-Selbständigen als auch die Verbraucherinnen und Verbraucher sind darauf angewiesen, dass nicht z.B. Provisionen oder Manipulationen das Ranking oder die Bewertung der Angebote verfälschen. Schon lange bestimmen Sternchen oder Kundenrezensionen unser Kauf- und Buchungsverhalten – und damit die Attraktivität der Angebote und den Erfolg von Plattformtätigen. Auch hier sind die Plattformen in der Pflicht: Sie müssen dafür sorgen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Präsentation der Angebote in einem Ranking nachvollziehen können, welche Hauptparameter in das Ranking einfließen und wie diese gewertet werden. Bewertungen müssen insgesamt „fair“ sein, also transparent, nachvollziehbar, objektiv und nicht willkürlich. Plattformen müssen, auch unter Beteiligung der Nutzer, Maßnahmen ergreifen, um Verbraucher vor Irreführungen durch Fake-Bewertungen zu schützen. Das wollen wir rechtlich klarstellen.

Gleichzeitig müssen Plattformarbeiter die Möglichkeit haben, ihre Bewertungen jeweils zu einer anderen Plattform mitnehmen zu können. Bislang ist das nicht möglich, denn jede Plattform verwendet ein jeweils eigenes System. Das macht Leistungsanbieter abhängig und führt dazu, dass sie oft nolens volens auf einer Plattform bleiben, um nicht woanders wieder neu anfangen zu müssen. In der Konsequenz stärkt das die Monopolstellung einzelner Plattformen und führt gleichzeitig zu weniger Wettbewerb zum Schaden von Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Das kann so nicht bleiben: Wer in der analogen Welt den Arbeitgeber wechselt, hat den Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Und wer seinen Mobilfunk- oder Telefonanbieter wechselt, hat längst selbstverständlich auch die Möglichkeit seine Telefonnummer mitzunehmen. Daher wollen wir sicherstellen, dass auch Plattformtätige über entsprechend neutrale Schnittstellen ihre Daten jederzeit auf andere Plattformen übertragen können. Dies stärkt Wettbewerb und Wahlfreiheit und kommt damit auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugute.


Das interessiert WiWo-Leser heute besonders


Douglas ist kein Einzelfall

So schummels sich Ikea, Karstadt & Co. am Lockdown vorbei


„Doppelt so lang schwätzen, halb so viel verdienen“

Warum VW-Händler keine E-Autos verkaufen wollen


Curevac-Gründer Ingmar Hoerr

„Ich dachte, der KGB hätte mich entführt“


Was heute wichtig ist, lesen Sie hier



Die digitale Wirtschaft bietet uns zahlreiche Chancen und ist ein rasant wachsender Markt. Aber auch dort müssen die guten Traditionen der sozialen Marktwirtschaft und des Verbraucherschutzes gelten. Daher müssen wir Plattformarbeit nach genau diesen Prinzipien aktiv gestalten und faire Rahmenbedingungen für selbstständige Leistungsanbieter und ihre Kunden schaffen. Es geht um Chancen und Schutz in der digitalen Arbeitswelt. Daher werden wir die Rechtsdurchsetzung verbessern und bestehende Lücken bei der AGB-Kontrolle konsequent schließen. Den von der EU-Kommission angekündigten Entwurf für einen Digital Service Act werden wir zum Anlass nehmen, um auch auf EU-Ebene die Rechte von Plattformtätigen und von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu stärken.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%