Dividenden-Steuertricks Die große „Cum-Ex“-Sause

Viele Jahre haben Investoren und Banken über dubiose Dividenden-Steuertricks Milliarden kassiert - zulasten des Staates. Erst spät wurden solche Deals untersagt. Der Streitpunkt: waren die Geschäfte legale oder illegale?

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Wolfgang Schäuble sagte am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages aus. Quelle: AP

Der Skandal hat alle Zutaten, die zu einer handfesten Finanz-Affäre gehören: Milliarden-Verluste für den Staat, lange ahnungs- und tatenlose Politiker und Finanzaufseher, gierige Anleger sowie skrupellose Banker und Steuerberater, Lobbyisten als Gesetzesschreiber, Maulwürfe in Ministerien und sture Richter.

Das alles trifft auf die „Cum-Ex“-Geschäfte zu, jene Aktiendeals und Steuerschlupflöcher, die die Allgemeinheit über Jahre viel Geld gekostet haben. Dennoch erreichte die Aufarbeitung eines der größten Steuerskandale in der bundesdeutschen Geschichte durch einen Untersuchungsausschuss des Bundestages nur wenig Aufmerksamkeit.

Es sei denn, der schillernde Finanzinvestor Carsten Maschmeyer wurde als Zeuge aufgerufen. Oder es äußert sich Finanzminister Wolfgang Schäuble - wie an diesem Donnerstag bei der wohl letzten Anhörung zu den dubiosen Dividendengeschäften, bei denen der Fiskus eine nur einmal abgeführte Steuer gleich mehrfach erstattete.

Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte

Worum ging es bei „Cum-Ex“-Konstrukten deutscher und ausländischer Investoren, oft auch „Dividendenstripping“ genannt? Um komplizierte Karussell-Geschäfte, bei denen Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch rund um den Dividendenstichtag eines Unternehmens rasch zwischen mehreren Beteiligten hin- und hergeschoben wurden. Bis unklar war, wer überhaupt Eigentümer der Papiere war. Was dazu führte, dass Steuerbescheinigungen für Kapitalertragsteuern mehrfach ausgestellt wurden, die so aber gar nicht gezahlt wurden. Und das wohl schon seit den 1980er Jahren.

Das Schlupfloch wurde erst nach mehreren Jahren und erfolglosen Anläufen des Gesetzgebers zum 1. Januar 2012 gestopft. Ein Gesamtschaden von schätzungsweise zwölf Milliarden Euro wird kolportiert, genau belegen kann dies aber niemand. Juristen streiten bis heute darüber, ob es sich um illegale Geschäfte handelt. Ein höchstrichterliches Urteil dazu steht noch aus.

Mitgemischt haben kleine wie große Banken, öffentlich-rechtliche Landesbanken und Institute, die vom Steuerzahler gerettet werden mussten und sich noch in Staatshand befinden wie die Commerzbank. Mancher Spitzenbanker will erst aus der Zeitung davon erfahren haben. Die Maple Bank ist wegen „Cum-Ex“ pleite gegangen. Das ein oder andere Geldhaus hat von sich aus reinen Tisch gemacht und Steuern nachgezahlt. Andere klagen gegen Rückzahlungsforderungen - in der Hoffnung, dass sich die Geschäfte als legal herausstellen.

Maschmeyer, der einst den Finanzvertrieb AWD gründete, hat sich vor dem Untersuchungsausschuss als Opfer dargestellt. Angelockt von hohen Renditen und einer Versicherung habe er mehrfach in von der Schweizer Bank Safra Sarasin vermittelte Fonds investiert - ohne über die Konstrukte aufgeklärt worden zu sein. Die steuerliche Seite habe ihn eh nicht interessiert. Davon habe er auch keine Ahnung gehabt. Als Geld verschwunden sei, habe er Strafanzeige gegen Sarasin gestellt.

Die Behörden kamen den Dividenden-Steuertricks erst spät auf die Schliche. Doch erste Verdachtsmomente gab es früh. Die Finanzaufsicht hat schon Ende 1999 anonyme Hinweise erhalten, die möglicherweise derartige Geschäfte beschrieben haben. Der Staat hat wohl nicht erst durch den Bankenverband 2002 von „Cum-Ex“ erfahren. Aus Sicht der Opposition hat der Gesetzgeber mehr als zehn Jahre verschlafen.

Der Versuch, dem Ganzen mit dem Jahressteuergesetz 2007 einen Riegel vorzuschieben, schlug fehl. Vor Gesetzeslücken wurde schon früh gewarnt. Bei der Aufarbeitung hat sich das Ministerium auch auf den Bankenverband verlassen. Ganze Passagen hat die Finanzindustrie zum Gesetz beigesteuert - als Lösungsvorschlag, wie es heißt, nicht als Lobbyismus. Zumindest „Cum-Ex“-Geschäfte über inländische Banken wurden gestoppt - über ausländische Institute waren sie vorerst weiter möglich, sie boomten sogar regelrecht. Denn mancher fühlte sich durch das Gesetz 2007 zu den Deals sogar noch ermuntert.

Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), der erst im Mai 2009 und damit kurz vor seiner Abwahl erstmals von „Cum-Ex“ erfahren haben will, räumte ein: Wenn er von der Skrupellosigkeit der Banken und den Netzwerken gewusst hätte, dann hätte man sich anders aufgestellt. Er hoffe nun auf die Staatsanwaltschaften in den noch laufenden Verfahren. Wie schon ein früherer Staatssekretär ließ Steinbrück kein gutes Haar am Bundesfinanzhof (BFH): Dessen Urteil sei als „Türöffner“ für illegale Gestaltungen interpretiert worden.

Ein zentraler Akteur der „Cum-Ex-Geschäfte“ soll - quasi als Maulwurf - für das Bundesfinanzministerium gearbeitet haben: 2008/09 als beurlaubter Mitarbeiter, aber von Verbänden der Kreditwirtschaft bezahlt. Der Finanzrichter a.D. soll Briefentwürfe des Ministeriums mit Adressaten abgestimmt und dann verschickt haben. Auch seien Verbände sehr schnell über Planungen vorab informiert worden.

Nach weiteren Insider-Hinweisen 2009 dauerte es dann mehr als zwei Jahre, bis das Steuerschlupfloch gestopft wurde. Die Korrekturen fielen in die Zeit von Wolfgang Schäuble (CDU) als Finanzminister. Sein Ressort bewertete die Geschäfte mehrfach als illegal. Die Opposition wird bei der Befragung Schäubles auch die „Cum-Cum“­Praxis und damit ähnliche Tricks unter die Lupe nehmen. Über diese Geschäfte konnten Kunden aus dem Ausland Steuern auf Dividenden von deutschen Unternehmen umgehen. Das Schlupfloch wurde rückwirkend zum 1. Januar 2016 geschlossen. Bund und Länder streiten aber nun über Altfälle.

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