DIW-Studie zu Solo-Selbständigen Gebildet, frei - und arm

Deutschland erlebt eine Renaissance der Selbstständigkeit – vor allem die der Selbständigen ohne Arbeitnehmer. Die Entwicklung hat ihre Tücken: Kleingewerbetreibende haben laut einer Studie oft spärlichen Einkünfte.

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Eine Geschäftsfrau mit Aktenordnern: Viele Alleinunternehmer sind gebildet und verdienen dennoch mit ihrer selbständigen Tätigkeit relativ wenig. Quelle: dpa

Berlin Mit der Krise verloren viele Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Um die gänzlich aus dem Arbeitsleben zu verschwinden, wagten Einige den Sprung in die Selbständigkeit. Das führte jedoch nicht etwa dazu, dass sich nun Unternehmen gründeten mit einer Vielzahl von Beschäftigten. Im Gegenteil, der kräftige Anstieg der Zahl der Selbständigen in Deutschland ist fast ausschließlich auf die Ausweitung der so genannten Solo-Selbständigkeit zurückzuführen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutsche Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Die Expertise deckt sich mit Untersuchungen anderer Forscher. So konstatiert das Tübinger Institut für angewandte Wirtschaftsforschung der Wirtschaftsweisen Claudia Buch sogar, dass die Zahl der Unternehmer ohne weitere Beschäftigte bereits Anfang dieses Jahrtausends die der Selbständigen mit Beschäftigten überschritten hat. Laut DIW erhöhte sich die Zahl der Solo-Selbständigen vom Jahr 2000 bis 2011 um rund 800.000 auf 2,6 Millionen. Diesem Plus von rund 40 Prozent stand im gleichen Zeitraum bei den Selbstständigen mit Beschäftigten ein Plus von nur 3 Prozent gegenüber.

Zu finden sind die Alleinunternehmer insbesondere beim Handwerk. „Aber sehr viele Solo-Selbständige sind noch immer in der Landwirtschaft, im Handel, bei den Finanzdienstleistungen und in der Versicherungsbranche zu finden, auch wenn die Zahl in diesen Bereichen abnimmt“, sagt der DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke. Auf der anderen Seite gebe es auch kräftige Zuwächse in zum Teil höher qualifizierten Berufen, wie bei Publizisten oder Künstlern, zum Teil aber auch in Berufen, die eine geringe Qualifikation verlangten, beispielsweise im Reinigungsbereich.

Dass sich Arbeitnehmer, denen der Verlust des Arbeitsplatzes droht, selbst helfen, indem sie sich selbständig machen, ist einerseits lobenswert. Andererseits bringt diese Entwicklung fatale Nebenwirkungen mit sich – insbesondere was die Entlohnung betrifft. Unter den Solo-Selbständigen zeigt sich laut der DIW-Studie eine große Einkommensspreizung. Ein Teil dieser Personen erziele recht hohe Einkommen, im mittleren Bereich der Verteilung seien die Erwerbseinkünfte allerdings geringer als bei den „normalen“ Arbeitnehmern, und knapp ein Drittel erreiche lediglich Einkünfte, wie sie die Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor erhalten. „Der Durchschnittsverdienst liegt bei etwas weniger als 13 Euro brutto pro Stunde“, sagt Brenke.


Staatliche Anreize begünstigten Selbständigen-Boom

„Der Niedrigeinkommenssektor hat bei den Solo-Selbständigen ein größeres Gewicht als unter den abhängig Beschäftigten“, heißt es in der Expertise. Auch wenn der Anteil der Niedrigverdiener in diesem Bereich inzwischen „deutlich geschrumpft“ sei, zeichne sich dieses Arbeitsmarktsegment doch immer noch zu einem „erheblichen Teil“ durch prekäre Beschäftigung aus. „Und die oftmals nur geringen Einkommen dürften nicht selten ein Faktor sein, eine abhängige und besser bezahlte Beschäftigung anzunehmen“ resümieren die DIW-Forscher. Ihr ernüchterndes Fazit lautet denn auch: „Es hat zwar eine Renaissance der Selbstständigkeit in Deutschland gegeben, gewachsen ist aber im Wesentlichen die Zahl der Kleingewerbetreibenden – mit oft spärlichen Einkünften.“

Auf ein anderes Problem weisen die Experten des Tübinger IAW-Instituts hin: Im Unterschied zu vielen anderen europäischen Ländern sei die staatlich organisierte soziale Absicherung der Solo-Selbständigen gegen Arbeitslosigkeit in Deutschland wenig ausgebaut, geben sie zu bedenken. Die sozialen Sicherungssysteme seien vielmehr – in der Bismarckschen Tradition – nach wie vor ausschließlich auf abhängig Beschäftigte ausgerichtet, obwohl die Grenzen zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung zunehmend unschärfer würden - Stichwort: Scheinselbständigkeit - und Selbständige nicht automatisch über hohe Einkommen bzw. Vermögen verfügen müssen. Zwar gebe es seit 2006 die Möglichkeit einer freiwilligen (Weiter-)Versicherung für Selbständige in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung. Der Zugang sei jedoch stark eingeschränkt, konstatieren die Experten.

Begünstigt wurde der Boom bei den Solo-Selbständigen auch durch staatliche Anreize. Denn das Ausmaß von Unternehmensgründungen hängt auch von der Förderung ab, nicht zuletzt von der Subventionierung durch die Arbeitsverwaltung. Zu einer „enormen Erhöhung“ der Zahl der Solo-Selbständigen sei es ab dem Jahr 2003 gekommen, schreiben die DIW-Experten. Damals sei die Förderung für „Ich-AG’s“ auch angesichts steigender Arbeitslosigkeit „erheblich ausgeweitet“ worden. So sei nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit die Zahl der Bezieher des 2003 eingeführten Existenzgründungszuschusses bis Ende 2004 auf 220.000 gestiegen.

Zudem sei im Jahr 2004 das Handwerksrecht liberalisiert worden, und es seien vermehrt Selbständige aus den 2004 zur EU beigetretenen Staaten in Deutschland tätig geworden. Im selben Jahr sei zudem ein von der Politik unbeabsichtigter Sondereffekt hinzugekommen: „Mit der Ankündigung des Wechsels von der am letzten Lohneinkommen ausgerichteten Arbeitslosenhilfe hin zum bedarfsorientierten Arbeitslosengeld II fürchteten nicht wenige Personen, dass sie nach der Reform ihre Sozialleistungen einbüßen könnten“, erläuterten die Forscher. Um überhaupt noch staatliche Unterstützung zu erhalten, sei daher vielfach eine Existenzgründungsförderung beantragt worden.

Wirklich profitiert hat der deutsche Arbeitsmarkt nicht von dieser Entwicklung. Wie DIW-Experte Brenke sagt, sind „aus den allerwenigsten“ Solo-Selbständigkeiten Unternehmen mit Angestellten entstanden. „Nach fünf Jahren kann man feststellen, dass etwa zehn Prozent der Solo-Selbständigen Arbeitnehmer angestellt haben“, erläutert er. Vielmehr sei es so, dass mehr Personen die Selbständigkeit wieder aufgäben um wieder „normale“ Arbeitnehmer zu werden. „Das sind Indizien dafür, dass es mit der Solo-Selbständigkeit nicht geklappt hat, beziehungsweise dass möglicherweise die Einkommen aus der Selbständigkeit zu gering sind“, so Brenke.

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