„Doppelspitze überholt“ Kretschmann rüttelt an grünem Tabu

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält das Prinzip einer Doppelspitze bei den Grünen für nicht mehr zeitgemäß. Das sagte der Politiker der „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwochsausgabe).

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Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grüne) kritisiert die Doppelspitze für Partei- und Fraktionsführung als nicht mehr zeitgemäß. Quelle: dpa

München Der grüne Wahlsieger von Baden-Württemberg, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, hat die Ämterteilung bei den Grünen scharf kritisiert. Die Lehre aus seinem Erfolg bei der Landtagswahl am 13. März sei, dass die Wähler eine eindeutige Personalisierung wollten, sagte Kretschmann in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Zur Bundestagswahl wollen die Grünen aber wieder mit einer Doppelspitze antreten. Kretschmann hält dieses Prinzip generell für überholt. Es sei eine „Schönwetterveranstaltung“, wenn die Partei „ein Quartett“ anbiete mit Doppelspitze in Partei und Fraktion.
Ursprünglich sei die paritätische Besetzung von Männern und Frauen vernünftig gewesen, so Kretschmann weiter. „Jetzt heißt Doppelspitze aber immer auch: Realo – Linker. Nur, in der Politik muss man sich für den einen oder den anderen Weg entscheiden.“ 30 Jahre habe er gegen diese Konstruktion gekämpft, „in manchen Dingen muss man als Politiker auch mal resignieren.“ Bei der Landtagswahl hatten die Grünen 30,3 Prozent der Stimmen geholt und wurden erstmals bei einer Wahl stärkste Partei. Kretschmann selbst ist Umfragen zufolge derzeit der beliebteste Politiker Deutschlands.

Am vergangenen Wochenende hatte Grünen-Parteichef Cem Özdemir seine Bewerbung um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl bekannt gegeben. Er ist neben Robert Habeck, Umweltminister in Schleswig-Holstein, und dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Anton Hofreiter der dritte Bewerber. Als einzige Frau hat bislang die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt erklärt, kandidieren zu wollen. Sie gilt deshalb vorerst als gesetzt.

„Cem ist ein hervorragender Politiker“, kommentierte Kretschmann dessen Bewerbung. Aber „auch mit Robert Habeck zum Beispiel haben wir einen sehr klugen und charismatischen Mann im Rennen.“ Die beiden gelten wie Kretschmann als „Realos“, während Hofreiter dem linken Flügel der Partei zugerechnet wird.
Den Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg erklärte Kretschmann damit, dass er mit zentralen Gewissheiten seiner Partei aufgeräumt habe. „Der Verzicht war lange ein grünes Credo. Das hat nie funktioniert“, sagte Kretschmann.

„Die allermeisten Menschen wollen nicht weniger.“ Deshalb gehe es ihm darum, Wachstum und Naturverbrauch voneinander abzukoppeln. Dies sei nur gemeinsam mit den Unternehmen zu erreichen. „Unsere Politik ist längst in der Mitte von Wirtschaft und Gesellschaft angekommen“, sagte Kretschmann. „Wir müssen sie nicht mehr gegen mächtige Kräfte durchkämpfen, sondern mit ihnen.“
Kretschmann, der in Stuttgart derzeit mit der CDU über ein Bündnis verhandelt, hält eine schwarz-grüne Regierung nach der Bundestagswahl 2017 für gut vorstellbar. „Ich glaube, dass eine solche Koalition mittlerweile allgemein akzeptiert wird in meiner Partei.“ Die eigenen Beliebtheitswerte sieht er hingegen eher skeptisch: „Zwischen ‚Hosianna‘ und ‚Kreuzigt ihn!‘ können nur drei Tage liegen.“

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