Dreckschleudern im Stadtverkehr Ein Bus bläst so viel Stickoxid in die Luft wie 100 Diesel-Pkw

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„Ausbaden müssen das nun wir Handwerker“

Neben den Bussen haben innerstädtische Kurzstreckenfahrer höchste Priorität, wenn es um die Vermeidung von Stickoxiden und Feinstäuben gehe, meint Verkehrspolitiker Rimkus. Also etwa Verteiler- und Zubringerlieferwagen für Supermärkte, Bäckereien oder Apotheken, die Post sowie städtische Straßen- und Gartenbau-Kleinlaster.

Doch selbst wenn einer dieser Dienstleister seine Flotte auf den Elektroantrieb umrüsten wollte, ließ die Autoindustrie ihn abblitzen.

„Ausbaden müssen das nun wir Handwerker“, schimpft ein Klempnermeister aus Essen über das nun drohende Fahrverbot auf der A40. „Meine Firma ist in Essen-Kray, direkt an der A-40; wir haben Kunden im ganzen Ruhrgebiet. Wenn ich nach Dortmund muss ohne die A40, kann ich gleich zu Hause bleiben, drei Stunden Anfahrt zahlt mir doch kein Mensch.“

Roland Schüren, Chef einer Biobäckereikette mit 50 Filialen und rund 500 Mitarbeitern, kennt solche Klagen. Beinahe täglich melden sich bei ihm Handwerker aus ganz Deutschland, deren Lieferwagen von einem Dieselfahrverbot betroffen sind.

Denn Schüren ist oft ihre letzte Hoffnung. Er will seine Lieferflotte bald rein batterieelektrisch betreiben. Ein halbes Dutzend E-Autos hat er schon seit Monaten im Einsatz. Weil die Auto-Industrie die Sorgen der Handwerker nicht ernst nahm, gründete der Bäckermeister vor zweieinhalb Jahren eine Selbsthilfegruppe.

Ziel: Lieferwagen für urbane Vielfahrer wie Handwerker, Pflegedienste, Kuriere und Taxis elektrifizieren und so ein für alle Mal von Fahrverboten unabhängig machen. Das geht, sagt Schüren. „Gerade im innerstädtischen Kurzstreckenlieferverkehr hat die deutsche Auto-Industrie einen Markt sehr lange sträflich vernachlässigt“, kritisiert der Unternehmer. Schüren sagt, dass wegen der geringen Reichweiten im innerstädtischen Lieferverkehr bereits mit der heutigen Technik problemlos rein elektrisch gefahren werden kann.

„Das Problem der Fahrverbote betrifft viele Handwerker existenziell“, sagt Schüren. Doch von der Autoindustrie handelte er sich auf Anfragen über Jahre nur Absagen ein. Deshalb half sich Schüren 2016 selbst und gründete eine Handwerkerinitiative. Die erstellte ein Lastenheft mit den nötigen Anforderungen wie Reichweite, Ladungsgewicht und Höchstpreis und schickte diese an 19 Hersteller.

Am Ende bekam der Bonner Elektrolieferwagenhersteller Streetscooter den Zuschlag, der inzwischen zur Deutschen Post gehört. Auch Ford, Daimler, Renault, Iveco, Nissan und viele andere Hersteller von 3,5-Tonnern hätten reagiert, sagt Schüren, „nur aus Wolfsburg bekamen wir überhaupt keine Antwort.“

Streetscooter baut nun vier Modell-Varianten für die Handwerkerinitiative, zu durchaus dieselähnlichen Preisen. Zwischen 36.000 und 46.000 Euro kosten die 3.5-Tonner mit und ohne Koffer, die teuerste Variante hat einen Kühlkoffer. Neben den Handwerkern fährt damit auch die Lebensmittelkette Nordsee seit 2017. Mit dem US-Konzern Ford baut Streetscooter nun auch ein größeres Modell mit mehr Reichweite und Geschwindigkeit.

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