Dreckschleudern im Stadtverkehr Ein Bus bläst so viel Stickoxid in die Luft wie 100 Diesel-Pkw

Warum Deutschland mehr E-Busse braucht Quelle: imago images

Die jüngsten Fahrverbote für Diesel-Pkw haben weitreichende Folgen und sorgen bei Betroffenen für Wut und Entsetzen. Dabei wären viele wohl vermeidbar – wenn Busse und Lieferwagen konsequenter auf E-Antrieb umgestellt und Diesel-Busse aus dem Verkehr gezogen würden.

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Es ist nicht das erste Dieselfahrverbot, das ein deutsches Gericht angeordnet hat. Aber das bisher folgenreichste: Seit das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Dieselfahrverbote für Essen – und erstmals für eine Autobahn – beschlossen hat, herrscht bei Dieselfahrern Alarmstufe Rot.
In bis zu 70 weiteren Städten drohen solche Fahrverbote. Für Menschen, die auf ihre Diesel angewiesen sind, Handwerker zumal, kann das existenzbedrohend sein. Der streitbare Chef der Essener Tafel etwa hat bereits angedroht, den Betrieb einzustellen.

Dreckschleuder Stadtbus

Dabei gäbe es wirksamere Methoden, als einzelne Straßen für Diesel-Pkw mit Verboten zu belegen, die dann die für sie gesperrten Stellen weiträumig umfahren und insgesamt noch mehr Schadstoffe emittieren.

Experten fordern seit langem, vor allem ältere Diesel-Busse, Lkw und Lieferfahrzeuge zu ersetzen.

Zwar stammen mehr als zwei Drittel aller in die Umgebung emittierten Stickoxide von Pkw. Doch entscheidend für die Frage von Fahrverboten ist, wo die Autos und Busse fahren: Die Linienbusse des ÖPNV fahren fast ausschließlich in besonders stark belasteten und dicht besiedelten Innenstädten. Ältere Dieselbusse der Abgasnorm Euro 5 blasen dabei bis zu hundertmal mehr Stickoxide (NOx) pro Kilometer in die Luft als ein Benzin-Pkw und rund vierzigmal mehr NOx als ein moderner Diesel der Norm Euro 6.

Aber nicht nur der sehr hohe durchschnittliche Schadstoffausstoß der älteren Dieselbusse ist ein Problem. Hinzu kommt ein besonders schädliches Fahrverhalten der Busse im Alltag. Sie fahren im Schnitt fünfmal weiter als der durchschnittliche Pkw, der in Deutschland 13.800 Kilometer pro Jahr zurücklegt. Durch die vielen Haltestellen an der Strecke bremsen und beschleunigen sie zudem öfter als normale Autos. Und weil beim Anfahren sehr viel Gewicht vom Dieselmotor in Bewegung gesetzt werden muss, pustet ein älterer Dieselbus während der Beschleunigung besonders viele Schadstoffe in die Luft.

Alles zusammengenommen kann man davon ausgehen, dass ein einziger älterer Dieselbus im Linienverkehr einer Großstadt über das Jahr gemittelt so viel NOx emittiert wie rund 100 Pendler in neueren Diesel-Pkw.

Noch 2017 neue Diesel bestellt

Man sollte also meinen, Verkehrsbetriebe, Hersteller und Politik arbeiteten mit Hochdruck an der Elektrifizierung des öffentlichen Nah- und Lieferverkehrs in der Stadt, um teils existenzbedrohende Fahrverbote für Millionen Diesel-Pkw zu vermeiden. Weit gefehlt.

Während Städte wie Shenzhen, Shanghai oder Los Angeles schon mehrere hundert E-Busse bestellt oder in Betrieb haben, hat zum Beispiel die Stadt Düsseldorf noch 2017, zwei Jahre nach Beginn der Abgasaffäre, neue Dieselbusse geordert. 2016 wurden in Nordrhein-Westfalen 967 Omnibusse neu zugelassen: 954 davon waren Diesel, nur 13 Elektrobusse.

In ganz Deutschland sind E-Busse selten. Ganze 186 sind zurzeit im Einsatz, davon allein 54 in Solingen – die Industriestadt nordöstlich von Köln setzt seit Jahrzehnten auf ein Bussystem mit Oberleitung, O-Busse. Offenbar mit Erfolg: Fahrverbote drohen, trotz schwieriger Topografie mit Industrie und Hauptverkehrsadern in engen Talkesseln, in Solingen keine.

Bundesweit sind erst 140 E-Busse im engeren Sinne, also mit Traktionsbatterie und ohne Oberleitung, unterwegs. Nur sechs deutsche Städte haben bisher überhaupt E-Busse im Alltagseinsatz: Hamburg, Berlin, Köln, Braunschweig, Regensburg und Osnabrück.

Nun aber kommt Bewegung in die Sache. Nachdem die meisten städtischen Verkehrsbetriebe bisher aus Kostengründen zögerten, komme „durch die Fahrverbote für Diesel jetzt sehr viel Druck ins Thema“, beobachtet Maximilian Rohs, Experte für den ÖPNV bei der Unternehmensberatung PwC. Allein Berlin will in den kommenden Jahren 1600 E-Busse anschaffen, einige kleinere Städte wie Wiesbaden wollen bald nur noch elektrisch im ÖPNV fahren. Auch in Hamburg sollen nach 2020 nur noch emissionsfreie Busse angeschafft werden.

Was die deutschen Hersteller verschlafen haben

Die heimischen Marktführer MAN und Daimler – zusammen liegt ihr Marktanteil bei Bussen bei rund 90 Prozent – haben die Entwicklung lange unterschätzt, um nicht zu sagen: verschlafen. Nun verkaufen ausländische Hersteller E-Busse an die Verkehrsbetriebe deutscher Städte. Sie begannen weitaus früher als die deutschen Platzhirsche mit der Entwicklung rein elektrischer Stadtbusse. Vor allem chinesische Hersteller treiben die Entwicklung an.

Global gesehen nämlich boomt der Elektrobusmarkt. Bis 2025 erwartet das Forschungsinstitut Bloomberg New Energy Finance weltweit 1,2 Millionen E-Busse im Alltagsbetrieb, das wären fast 40 Prozent aller Busse im ÖPNV. Derzeit sind es 360.000 – die meisten davon in China. Hauptprofiteur ist bisher BYD. Das Unternehmen dominiert nicht nur den chinesischen Markt. Auch Los Angeles bestellte im vergangenen Jahr 600 E-Busse bei BYD.

Andere Busbauer ziehen nun nach. Der US-Hersteller GreenPower will seine Produktionskapazitäten für Elektrobusse verdreifachen. Das Auftragsbuch ist mit 120 Bussen randvoll – Tendenz steigend. Auch die polnische Firma Solaris setzte früh auf Elektrobusse.

„Elektromobilität ist keine Mode mehr, sondern ein Markterfordernis,“ sagt Solange Olszewska, Vorstandsvorsitzende von Solaris. Die Polen haben neben Hybrid- und Oberleitungsbussen drei batterieelektrische Modelle, die etwa in Wien, Barcelona, Warschau und Hamburg im Einsatz sind. 2500 rein elektrische Stadtbusse hat Solaris schon ausgeliefert. VDL aus den Niederlanden hat ebenfalls bereits einen Elektrobus mit 200 Kilometern Reichweite im Angebot. „Das ist für den Linienverkehr der meisten Städten völlig ausreichend“, meint der SPD-Verkehrspolitiker Andreas Rimkus.

Daimler beeilt sich aufzuholen

Die deutschen Hersteller müssen sich beeilen, wenn sie die nächste Welle der E-Bus-Bestellungen noch mitnehmen wollen. Noch vor einem Jahr versicherten sie unisono, die Zeit für rein elektrisch betriebene Busse sei nicht reif. Es fehle an Reichweite und Lademöglichkeiten.

Nun hat zumindest Daimler umgedacht und es plötzlich eilig: Auf der Nutzfahrzeugmesse Ende September stellten die Stuttgarter einen ersten rein-elektrischen Stadtbus vor: Der eCitaro hat mindestens 150 Kilometer Reichweite im Alltagsbetrieb und könnte damit bereits auf jeder dritten deutschen ÖPNV-Busroute mit einer einzigen Akkuladung fahren. Noch in diesem Jahr will Daimler die ersten 50 Exemplare des elektrischen Stadtbus an die ersten Kunden ausliefern: Ludwigshafen, Hamburg und Berlin bekommen jeweils 50 Stück.

So sieht der Elektro-Bus von Daimler aus
Mercedes-Benz eCitaro Quelle: Daimler
Mercedes-Benz eCitaro Quelle: Daimler
Mercedes-Benz eCitaro Quelle: Daimler
Mercedes-Benz eCitaro Quelle: Daimler
Mercedes-Benz eCitaro Quelle: Daimler
Mercedes-Benz eCitaro Quelle: Daimler
Mercedes-Benz eCitaro Quelle: Daimler

Daimler hat hochfliegende Pläne: „Bereits in wenigen Jahren soll der eCitaro Stadtbusse mit Verbrennungsmotor nahezu vollständig ersetzen können“, sagt eine Sprecherin. Voraussetzung dafür sind allerdings Reichweiten von gut 300 Kilometern im Alltag – auch im Winter, wenn der Bus die Energie aus dem Antriebsakku teilweise benötigt, um den Fahrgastraum zu beheizen.

Das erfordert noch erhebliche Fortschritte bei den Akkus; und Experten sind uneins, ob zum Beispiel die von Daimler mittelfristig dafür angestrebten Festkörperakkus schnell genug in großen Stückzahlen zur Verfügung stehen werden.

Noch sind E-Busse zudem mehr als doppelt so teuer wie vergleichbare Dieselbusse. Doch sie haben für die Städte auch einen Riesenvorteil: Als Eigentümer der Verkehrsbetriebe können sie mit ihren E-Bussen drohenden Dieselfahrverboten sehr gezielt entgegenwirken. Etwa, indem sie sie auf besonders belasteten Strecken einsetzen. Bringen würde das der Atemluft sehr viel: Während ein Dieselbus mit bis zu 4500 Mikrogramm pro Kilometer rund 40 Mal mehr Stickoxid ausstößt als ein Diesel-Pkw, emittiert ein E-Bus in der Stadt gar nichts.

„Ausbaden müssen das nun wir Handwerker“

Neben den Bussen haben innerstädtische Kurzstreckenfahrer höchste Priorität, wenn es um die Vermeidung von Stickoxiden und Feinstäuben gehe, meint Verkehrspolitiker Rimkus. Also etwa Verteiler- und Zubringerlieferwagen für Supermärkte, Bäckereien oder Apotheken, die Post sowie städtische Straßen- und Gartenbau-Kleinlaster.

Doch selbst wenn einer dieser Dienstleister seine Flotte auf den Elektroantrieb umrüsten wollte, ließ die Autoindustrie ihn abblitzen.

„Ausbaden müssen das nun wir Handwerker“, schimpft ein Klempnermeister aus Essen über das nun drohende Fahrverbot auf der A40. „Meine Firma ist in Essen-Kray, direkt an der A-40; wir haben Kunden im ganzen Ruhrgebiet. Wenn ich nach Dortmund muss ohne die A40, kann ich gleich zu Hause bleiben, drei Stunden Anfahrt zahlt mir doch kein Mensch.“

Roland Schüren, Chef einer Biobäckereikette mit 50 Filialen und rund 500 Mitarbeitern, kennt solche Klagen. Beinahe täglich melden sich bei ihm Handwerker aus ganz Deutschland, deren Lieferwagen von einem Dieselfahrverbot betroffen sind.

Denn Schüren ist oft ihre letzte Hoffnung. Er will seine Lieferflotte bald rein batterieelektrisch betreiben. Ein halbes Dutzend E-Autos hat er schon seit Monaten im Einsatz. Weil die Auto-Industrie die Sorgen der Handwerker nicht ernst nahm, gründete der Bäckermeister vor zweieinhalb Jahren eine Selbsthilfegruppe.

Ziel: Lieferwagen für urbane Vielfahrer wie Handwerker, Pflegedienste, Kuriere und Taxis elektrifizieren und so ein für alle Mal von Fahrverboten unabhängig machen. Das geht, sagt Schüren. „Gerade im innerstädtischen Kurzstreckenlieferverkehr hat die deutsche Auto-Industrie einen Markt sehr lange sträflich vernachlässigt“, kritisiert der Unternehmer. Schüren sagt, dass wegen der geringen Reichweiten im innerstädtischen Lieferverkehr bereits mit der heutigen Technik problemlos rein elektrisch gefahren werden kann.

„Das Problem der Fahrverbote betrifft viele Handwerker existenziell“, sagt Schüren. Doch von der Autoindustrie handelte er sich auf Anfragen über Jahre nur Absagen ein. Deshalb half sich Schüren 2016 selbst und gründete eine Handwerkerinitiative. Die erstellte ein Lastenheft mit den nötigen Anforderungen wie Reichweite, Ladungsgewicht und Höchstpreis und schickte diese an 19 Hersteller.

Am Ende bekam der Bonner Elektrolieferwagenhersteller Streetscooter den Zuschlag, der inzwischen zur Deutschen Post gehört. Auch Ford, Daimler, Renault, Iveco, Nissan und viele andere Hersteller von 3,5-Tonnern hätten reagiert, sagt Schüren, „nur aus Wolfsburg bekamen wir überhaupt keine Antwort.“

Streetscooter baut nun vier Modell-Varianten für die Handwerkerinitiative, zu durchaus dieselähnlichen Preisen. Zwischen 36.000 und 46.000 Euro kosten die 3.5-Tonner mit und ohne Koffer, die teuerste Variante hat einen Kühlkoffer. Neben den Handwerkern fährt damit auch die Lebensmittelkette Nordsee seit 2017. Mit dem US-Konzern Ford baut Streetscooter nun auch ein größeres Modell mit mehr Reichweite und Geschwindigkeit.

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