Dreikönigstreffen der FDP Christian Lindners neue Agenda-Politik

FDP-Dreikönigstreffen: Christian Lindners neue Agenda-Politik Quelle: dpa

Die FDP ist traditionell am Dreikönigstag ins politische Jahr gestartet. Parteichef Christian Lindner stellte seine Ideen für eine „Agenda für die Fleißigen“ vor und stimmt seine Partei auf die bevorstehenden Wahlen ein.

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Der erste starke Slogan an diesem Tag liberaler Selbstvergewisserung kam vom Parteinachwuchs. Vor dem Stuttgarter Opernhaus hatten die Jungen Liberalen (JuLis) ein Plakatwände mit Südsee-Optik aufgestellt und einen ziemlich mitgenommen aussehenden Gummi-Schwan in den Nieselregen gesetzt. „Keine Palmen nördlich von Stuttgart!“, stand auf dem Plakat. Eine klare Botschaft an die Mutterpartei: Kümmert euch mehr ums Klima, überlasst das Feld nicht den Grünen! Und eine Steilvorlage, die Christian Lindner drinnen im Opernhaus wenig später allzu gerne aufnahm.

Man sei ja bereits im 153. Jahr, in dem sich Liberale an Dreikönig zum „Familientreffen“ in Stuttgart träfen, erinnerte der baden-württembergische FDP-Chef Michael Theurer zu Beginn. Für die Gestaltung der Bühne allerdings hatte sich die Parteiführung mal wieder etwas Neues überlegt, ein paar Hocker und Bänke hingestellt, und neben den Rednern noch weitere Personen dort platziert, um die Vielfalt der Partei zu zeigen: etwa ein 18-jähriges Neumitglied, die JuLi-Spitzenkandidatin für die Europawahl und eine erfolgreiche FDP-Bürgermeisterin aus Ostdeutschland. Und so saßen insgesamt sieben Männer und neun Frauen auf der Bühne. Hier also stimmte bei der FDP ausnahmsweise einmal das Geschlechterverhältnis.

Keine Fantastereien

Theurer setzte zum Auftakt gleich einen Ton des Austeilens, dem auch die anschließenden Redner folgen würden. „Annegret Kramp-Karrenbauer ist eine Boom-Bremse“, sagte Theurer und kritisierte ihre schlechte Wirtschaftsbilanz als saarländische Ministerpräsidentin. „Des muscht erstmal hinbringe“, verfiel er kurz ins Schwäbische. In Zeiten deutschlandweiten Wachstums sei die Wirtschaft im Saarland geschrumpft.

Das politische Jahr 2019 wird richtungsweisend, das ist auch beim Jahresauftakt der FDP zu spüren. Im Herbst stehen Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen an. In Bremen wird im Mai gewählt. Zeitgleich findet auch die Europawahl statt. Und so sprach vor dem Parteichef noch Nicola Beer, die Generalsekretärin und seit kurzem außerdem designierte Spitzenkandidatin für die Europawahl.

Beer kritisierte Union und SPD, dass sie mit dazu beigetragen hätten, dass sich die EU zu einem „technokratischen Projekt“ entwickelt habe. Vor allem in der Klima- und Verkehrspolitik mahnte sie vor den ökonomischen Folgen zuletzt getroffener Entscheidungen. „Wir müssen aufhören damit, wirtschaftliche Vernunft auf dem Altar umweltpolitischer Idyllen und Fantastereien zu opfern.“

Immer bereit für Verantwortung

Dann kam Christian Lindner. Und damit die FDP-One-Man-Show, die er nicht mehr sein will. Also verwies er auf die „mediale Verbreiterung“ der Köpfe der FDP. Die Kollegen im Bundestag entfalteten jetzt ihr fachliches Profil, lobte er. Und überhaupt sei er optimistisch, wenn er auf den Zustand der FDP 2019 schaue. Mehr als ein Jahr nach dem selbst gewählten Jamaika-Aus, das sollte jeder Liberale im Opernsaal mit in seinen Kreisverband nehmen, blickt die also FDP nur nach vorne.

Deutschland brauche einen neuen Aufbruch, forderte Lindner: „Was an der Spitze der Unionsparteien richtig ist, kann für die Spitze des Staates nicht falsch sein.“ Seine Partei brachte er erneut als möglichen Koalitionspartner für die Zeit nach Angela Merkel ins Spiel. Man werde zwar niemandem hinterherrennen. „Aber wir laufen auch nicht weg.“

Doch trotz möglicher Zusammenarbeit in künftigen Regierungen teilte auch Lindner ordentlich aus – vor allem in Richtung der Grünen. Während die FDP im Bundestag vor allem digital arbeite, berichtete Lindner, ließen sich die Grünen noch kiloweise Tischvorlagen mit Schubkarren in den Fraktionssaal fahren. „Die sich betrachten offenbar noch als Teil der holzverarbeitenden Industrie.“

Die Agenda für die Fleißigen und Selbstbestimmten

Oft hatte Lindner in den vergangenen Wochen betont, dass seine Partei offen sei für CDU-Anhänger, die gerne Friedrich Merz an der Spitze ihrer Partei gesehen hätten. Eine Eintrittswelle kann die FDP zwar nicht verzeichnen, aber Linder ist davon überzeugt, dass die Reaktionen auf Merz gezeigt hätten, was die Stimmungslage in der Mitte der Bevölkerung sei. Also hat Lindner eine zentrale Forderung des Sauerländers übernommen und seine eigene „Agenda für die Fleißigen“ formuliert.

Ohne auf seine Notizen zu schauen, ging er sie Punkt für Punkt durch. Es war der stärkste Teil seiner Rede. Lindners neue Agenda-Politik umfasst altbekannte Forderungen wie die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags und weitere Steuerentlastungen, aber auch eine ganze Reihe sozialpolitischer Reformideen. Lindner will die Zuverdienstgrenzen für Hartz-4-Empfänger neu regeln. Es könne nicht sein, der zusätzlich zu Transferleistungen arbeiten wolle, am Ende des Monats weniger Einkommen habe. „Das ist die Perversion der Leistungsgerechtigkeit.“ Robert Habecks Idee eines Garantieeinkommens nannte er „unsozial“.

Lindner forderte zudem, dass Rentner in Grundsicherung nicht automatisch ihre private Versorge verlieren. Er kritisierte, dass der Mindestlohn angehoben werde, aber die 450-Euro-Grenze bei Minijobs nicht gleich mit. Klar sei, dass die Lohnzusatzkosten deutlich unter 40 Prozent fallen und der Sparerfreibetrag steigen müsse. Lindner schloss diese Redepassage mit einem Satz für die wirtschaftsliberale Seele: „Es gibt in einem Sozialstaat nämlich auch eine Verantwortung für diejenigen, die ihn bezahlen.“

Trotz aller Loblieder auf Friedrich Merz, stellte Lindner klar, die FDP sei kein Sammelbecken für enttäuschte Merz-Anhänger. „Freiheit ist unser der Grundwert in allen Fragen.“ Deshalb schob er nach den ökonomischen Freiheiten gleich noch eine zweite Agenda hinterher: eine für „Selbstbestimmung und Liberalität“. Was er damit konkret meint? Erstens, Paragraph 219a abschaffen. Zweitens, Zivilpakt einführen. Drittens, neue Formen des Arbeitens fördern. Und so weiter. Auch der Lindner-Klassiker von der Förderung lebenslangen Lernens ist jetzt eine Agenda-Forderung. Neu verkürzt auf: „Midlife-Bafög statt Midlife-Crisis.“

Besserer Klimaschutz und mehr Europa

Im letzten Drittel seiner Rede widmete sich der FDP-Chef schließlich den von den JuLis geforderten Antworten auf den Klimawandel. An ökologische Verantwortung müsse man die FDP nicht erst erklären, sagte Lindner und kündigte an, diese Traditionslinie der FDP wieder mehr hervorheben zu wollen. Er kritisierte „ein Misstrauen gegenüber menschlicher Vernunft“ und schlug ein Gegenmodell vor. Statt Planwirtschaft, Verboten und Belehrungen, brauche es eine Politik, die „ökonomische Vernunft und Selbstbestimmung in den Dienst ökologischer stellt“.

Lindner schloss mit einer Motivation an die anwesenden FDP-Mitglieder mit Blick auf die Europawahl, die keine Protestwahl sei, sondern eine Richtungswahl. Er kritisierte antieuropäische Tendenzen in Osteuropa und die Verbindung der Union zu Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Was sich die FDP für Europa wünscht, bekamen die Gäste dann noch am Ausgang der Oper in die Hand gedrückt: eine blaue Baseball-Kappen mit dem Schriftzug „Make Europe great again“.

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