Oft hatte Lindner in den vergangenen Wochen betont, dass seine Partei offen sei für CDU-Anhänger, die gerne Friedrich Merz an der Spitze ihrer Partei gesehen hätten. Eine Eintrittswelle kann die FDP zwar nicht verzeichnen, aber Linder ist davon überzeugt, dass die Reaktionen auf Merz gezeigt hätten, was die Stimmungslage in der Mitte der Bevölkerung sei. Also hat Lindner eine zentrale Forderung des Sauerländers übernommen und seine eigene „Agenda für die Fleißigen“ formuliert.
Ohne auf seine Notizen zu schauen, ging er sie Punkt für Punkt durch. Es war der stärkste Teil seiner Rede. Lindners neue Agenda-Politik umfasst altbekannte Forderungen wie die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags und weitere Steuerentlastungen, aber auch eine ganze Reihe sozialpolitischer Reformideen. Lindner will die Zuverdienstgrenzen für Hartz-4-Empfänger neu regeln. Es könne nicht sein, der zusätzlich zu Transferleistungen arbeiten wolle, am Ende des Monats weniger Einkommen habe. „Das ist die Perversion der Leistungsgerechtigkeit.“ Robert Habecks Idee eines Garantieeinkommens nannte er „unsozial“.
Lindner forderte zudem, dass Rentner in Grundsicherung nicht automatisch ihre private Versorge verlieren. Er kritisierte, dass der Mindestlohn angehoben werde, aber die 450-Euro-Grenze bei Minijobs nicht gleich mit. Klar sei, dass die Lohnzusatzkosten deutlich unter 40 Prozent fallen und der Sparerfreibetrag steigen müsse. Lindner schloss diese Redepassage mit einem Satz für die wirtschaftsliberale Seele: „Es gibt in einem Sozialstaat nämlich auch eine Verantwortung für diejenigen, die ihn bezahlen.“
Trotz aller Loblieder auf Friedrich Merz, stellte Lindner klar, die FDP sei kein Sammelbecken für enttäuschte Merz-Anhänger. „Freiheit ist unser der Grundwert in allen Fragen.“ Deshalb schob er nach den ökonomischen Freiheiten gleich noch eine zweite Agenda hinterher: eine für „Selbstbestimmung und Liberalität“. Was er damit konkret meint? Erstens, Paragraph 219a abschaffen. Zweitens, Zivilpakt einführen. Drittens, neue Formen des Arbeitens fördern. Und so weiter. Auch der Lindner-Klassiker von der Förderung lebenslangen Lernens ist jetzt eine Agenda-Forderung. Neu verkürzt auf: „Midlife-Bafög statt Midlife-Crisis.“
Besserer Klimaschutz und mehr Europa
Im letzten Drittel seiner Rede widmete sich der FDP-Chef schließlich den von den JuLis geforderten Antworten auf den Klimawandel. An ökologische Verantwortung müsse man die FDP nicht erst erklären, sagte Lindner und kündigte an, diese Traditionslinie der FDP wieder mehr hervorheben zu wollen. Er kritisierte „ein Misstrauen gegenüber menschlicher Vernunft“ und schlug ein Gegenmodell vor. Statt Planwirtschaft, Verboten und Belehrungen, brauche es eine Politik, die „ökonomische Vernunft und Selbstbestimmung in den Dienst ökologischer stellt“.
Lindner schloss mit einer Motivation an die anwesenden FDP-Mitglieder mit Blick auf die Europawahl, die keine Protestwahl sei, sondern eine Richtungswahl. Er kritisierte antieuropäische Tendenzen in Osteuropa und die Verbindung der Union zu Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Was sich die FDP für Europa wünscht, bekamen die Gäste dann noch am Ausgang der Oper in die Hand gedrückt: eine blaue Baseball-Kappen mit dem Schriftzug „Make Europe great again“.