Drogenpolitik „Es geht nicht um eine totale Cannabis-Freigabe“

Eine Demo gegen die Kriminalisierung von Cannabis in Karlsruhe im Mai 2021. Quelle: imago images

Die Ampelkoalition strebt die Liberalisierung von Cannabis an. Der Medizin-Professor und FDP-Politiker Andrew Ullmann und der Unternehmer Finn Hänsel, CEO der Sanity Group, sprechen im WiWo-Interview über die Grenzen des Erlaubten und das Marktpotenzial legaler Hanfprodukte.

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Prof. Dr. Andrew Ullmann ist Bundestagsabgeordneter für die Freien Demokraten, Humanmediziner sowie Universitätsprofessor am Universitätsklinikum in Würzburg. Finn Hänsel ist Unternehmer und Gründer der Sanity Group und ist u. a. Mitglied im Bundesvorstand des Bundesverbandes Deutscher Start-Ups e.V.

WirtschaftsWoche: Herr Ullmann, Herr Hänsel, Sie treten als Mediziner und als Unternehmer für die Legalisierung von Cannabis ein. Viele Kriminologen warnen aber davor, weil dadurch der Einstieg in den Drogenkonsum erleichtert wird.
Ullmann: Die Kriminalisierung der Konsumenten von Cannabis ist falsch. Sie dient weder der Prävention noch dem Jugendschutz oder dem Gesundheitsschutz. Erfahrungen aus den USA oder Kanada stimmen uns positiv und stärken auch die Argumente für eine gesetzliche Regelung, wonach Cannabis kontrolliert abgegeben werden darf. Es geht nicht um eine totale Freigabe.

Hänsel: Es ist doch offensichtlich, dass die bisherige Verbotspolitik bei Cannabis gescheitert ist. Die negativen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft sind gravierend. Die Begründung einer repressiven Verbotspolitik zerschellt an der Realität. Wir haben einen unkontrollierten Schwarzmarkt und das garantiert weder Jugendschutz noch Prävention. Außerdem sind Eigentums- und Gewaltdelikte reale Gefahren, ebenso wie das Risiko, das junge Menschen in eine kriminelle Szene abdriften. Und darunter leiden Konsumenten und Unbeteiligte, wie die Opfer von Kleinkriminalität, gleichermaßen.

Was ist denn mit dem Schutz der Gesundheit – zählt das nicht mehr?
Ullmann: Klar muss bleiben, dass Drogen gesundheitlich schädlich sind. Aber als Folge der Illegalität von Cannabis häufen sich Berichte über verunreinigte, gepanschte oder synthetisch veränderte Produkte. Das sind ernstzunehmende Gesundheitsrisiken – die stehen in einem klaren Widerspruch zur Idee der Prävention und des Jugendschutzes.

Die FDP hat bereits 2018 im Bundestag einen Antrag zu Cannabis-Modellprojekten für Erwachsene eingebracht. SPD und Union haben das damals abgelehnt. Inzwischen haben sich die Positionen verändert. Woher kommt der Meinungswandel?
Ullmann: Da spielt die Freigabe von Cannabis in einigen Staaten der USA und in Kanada wohl eine wichtige Rolle. Ich bin ja in Kalifornien geboren und habe die Entwicklung dort genau verfolgt. Inzwischen hat auch die Forschung neue und belastbare Erkenntnisse über Cannabis gewonnen und die sprechen eindeutig für eine Legalisierung. Es ist daher an der Zeit, die Argumente neu zu gewichten und nach der Bundestagswahl einer sachorientierten und ideologiefreien Politik den Weg zu ebnen.

Hänsel: Auch in Deutschland sollte ein gesetzlicher Rahmen für die kontrollierte Abgabe von Cannabis geschaffen werden. Die Sichtweise hat sich völlig verändert und die Gesellschaft ist schon lange bereit dazu.

Mit dem Inkrafttreten des „Cannabis als Medizin“-Gesetzes 2017 wird jetzt schwer erkrankten Patienten der Zugang zu medizinischem Cannabis ermöglicht. Warum reicht Ihnen das nicht?
Ullmann: Dies ist ein wertvoller erster Schritt, der dazu beiträgt, das Leid vieler Patienten und Patientinnen zu mindern. Jedoch sind wir von der bestmöglichen Versorgung der Patienten und Patientinnen mit medizinischem Cannabis und einem einheitlichen regulatorischen Rahmen noch meilenweit entfernt.



Warum genau?
Hänsel: Die Restriktionen beim Anbau und ein sehr unklares Distributionssystem sorgen dafür, dass der Anbau in Deutschland nicht mal den hiesigen Marktbedarf deckt. Hier verspielen wir Chancen, qualitativ gesicherte Produkte zu erzeugen, zu vermarkten und so einen Teil der Wertschöpfungskette in Deutschland zu behalten.

Sie wollen mit legalen Cannabisprodukten Geld verdienen – wie groß ist der potenzielle Markt in Deutschland?
Hänsel: Wenn man davon ausgeht, dass eine kontrollierte Abgabe von Cannabis den Großteil des Schwarzmarkts ausradieren kann, reden wir über ein Volumen von rund 180 Tonnen Cannabisblüten. Aus dieser Schwarzmarktabschätzung ergeben sich konservativ geschätzt Steuereinnahmen von circa 1,3 Milliarden Euro für den deutschen Fiskus. Ein möglicher Weg, um auch die großen Corona-Haushaltslöcher etwas zu stopfen.

Wie soll denn die Legalisierung von Cannabis laufen? Kann ich mir künftig dann einen Joint beim Bäcker zusammen mit den Brötchen kaufen?
Hänsel: Nein, sicher nicht. Bei einer legalen und kontrollierten Abgabe von Cannabis muss von lizensierten Fachgeschäften und einem regulierten und kontrollierten Anbau ausgegangen werden. Nur so können die Risiken für Konsumentinnen und Konsumenten minimiert und die Qualität und Sicherheit der Produkte gesichert werden. Zugleich würde damit auch der Schwarzmarkt ausgetrocknet und zahlreicher Begleitdelikte würden entfallen.

Ullmann: Außerdem hätten die Verbraucher durch eine klare Deklaration und eine entsprechende Qualitätskontrolle deutlich mehr Sicherheit und Transparenz. Und der Staat würde doppelt profitieren: von zusätzlichen Einnahmen und durch die Entlastung der Strafverfolgungsbehörden.

Aber Cannabis ist und bleibt eine Droge. Vermittelt man jungen Leuten durch eine Legalisierung nicht ein falsches Bild? Trägt eine Legalisierung nicht zur Verharmlosung des Drogenkonsums bei?
Hänsel: Eine kontrollierte Legalisierung sollte immer mit guten Aufklärungs- und Präventionsprogrammen in Verbindung stehen. Und ja, es stimmt, dass der Konsum weicher Rauschmittel wie Alkohol, Nikotin und auch Cannabis zwar zur gesellschaftlichen Realität gehören, aber natürlich ist und bleibt der Missbrauch schädlich. Allerdings ist es für die eigene Gesundheit irrelevant, ob das Rauschmittel legal oder illegal ist.

Ullmann: Als liberaler Arzt denke ich, dass nicht Verbote die Menschen zum richtigen und gesundheitsförderlichen Verhalten bewegen. Vielmehr geht es um Gesundheitskompetenz. Daran müssen wir viel stärker arbeiten.

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