Düstere Aussichten Ist das Rentenniveau noch zu retten?

Die Rentnergeneration heute ist im Schnitt nicht arm. Doch das Absinken des Rentenniveaus lässt die Zukunft in wenig rosigem Licht erscheinen. Erste Prognosen zur langfristigen Entwicklung provozieren heftige Reaktionen.

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Die gesetzliche Rente ist nicht die einzige Reformbaustelle bei der Alterssicherung. Quelle: dpa

Berlin Jetzt ist offiziell, was viele wissen: Die Kraft der gesetzlichen Rente, den Lebensstandard im Alter zu sichern, sinkt mit immer mehr Babyboomern im Rentenalter dramatisch. Das Rentenniveau dürfte von 47,8 auf 41,6 Prozent bis 2045 sinken. Mit diesen neuen Berechnungen läutet das Bundessozialministerium einen Herbst voller hitziger Rentendebatten ein. Denn zugleich ist nun eine andere Zahl offiziell – und die zeigt das Dilemma von Ministerin Andrea Nahles (SPD): Man könnte das Rentenniveau zwar halten, wie es ist. Das würde nach den vorläufigen Berechnungen aber 40 Milliarden Euro im Jahr kosten. Wie könnte die Rentenrettung also aussehen?

Zunächst einmal bemühen sich Rentenversicherung und Regierung in jüngster Zeit, einige Fakten gegen manche Schwarzmalerei zu stellen: So ist Altersarmut laut Statistik trotz vieler kleiner Renten noch nicht sehr weit verbreitet. Heute beziehen nur 6,1 Prozent der Rentner mit einer Rente bis zu 600 Euro – also 319.000 Personen – Grundsicherung im Alter. Oft sorgen die Partner für ein auskömmliches Haushaltseinkommen. Insgesamt sind 3 Prozent der Menschen ab 65 Jahren auf Grundsicherung im Alter angewiesen.

Die Rentnergeneration heute ist im Schnitt nicht arm. Das Monatseinkommen liegt bei über 2500 Euro netto bei Ehepaaren, mehr als 1600 Euro netto bei alleinstehenden Männern und über 1400 Euro bei Frauen.

Doch das Absinken des Rentenniveaus lässt die Zukunft in wenig rosigem Licht erscheinen. Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske, der als Chef einer Dienstleistungsgewerkschaft auch viele Menschen in eher prekären Verhältnissen vertritt, macht seit Wochen folgende Rechnung auf: Renten von 700 bis 800 Euro seien für heute gut 50-jährige Beschäftigte in 15 Jahren keine Seltenheit – bis zu zwölf Millionen Arbeitnehmer steuerten auf Altersarmut zu.

SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer haben im Frühjahr die Debatte ums Rentenniveau angezettelt – jetzt ist Nahles am Zug. „Wir brauchen eine Haltelinie beim Rentenniveau“, sagt sie. Sprich: Die Rente soll nicht zu stark hinterm Durchschnittseinkommen zurückbleiben. Doch klar ist: Alle Erwartungen kann sie kaum erfüllen – nicht bei einem Spitzentreffen zur Rente am nächsten Dienstag in ihrem Ministerium, nicht bei ihrem für November angekündigten Gesamtkonzept. Die Gewerkschaften haben längst Kampagnen für eine Absicherung und Erhöhung des Rentenniveaus gestartet.


Wirtschaft reagiert zunehmend gereizt

Auf der anderen Seite reagiert die Wirtschaft zunehmend gereizt: Das Rentenniveau zu halten, würde nach den neuesten Zahlen in knapp 30 Jahren die Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils 16 Milliarden Euro und die Steuerzahler 8 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Schon vor Monaten wies Alexander Gunkel vom Arbeitgeberverband BDA darauf hin, dass die Kaufkraft der Renten trotz sinkenden Rentenniveaus in den nächsten Jahren zunehmen dürfte. Denn zunächst weiter erwartbare Rentenerhöhungen dürften über der angenommenen Teuerungsrate liegen.

Jetzt mahnt die einflussreiche BDA offensiv: „Wir brauchen wie bisher nicht nur eine Haltelinie beim Rentenniveau, sondern auch beim Beitragssatz.“ Denn der Beitragssatz würde laut den neuen Zahlen bis 2045 von 18,7 auf 26,4 Prozent steigen, wenn das Rentenniveau gehalten wird. „Dies wäre eine Überforderung für Beschäftigte und Arbeitgeber.“ Jobs seien massiv in Gefahr.

Nun ist die gesetzliche Rente nicht die einzige Reformbaustelle bei der Alterssicherung. In den kommenden zwei Wochen will Nahles schon einen Gesetzentwurf für mehr Betriebsrenten vorlegen - über mehr Steuerzuschüsse ist sich Nahles mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einig. Und auch die private Vorsorge soll trotz hartnäckig niedriger Zinsen eher gestärkt als weiter geschwächt werden.

Aufhorchen lässt nun die CSU. Emilia Müller, Sozialministerin im Kabinett Seehofer, sagt: „Durch ausreichende private und betriebliche Vorsorge kann das individuelle Rentenniveau stabilisiert werden.“ Also doch keine Absicherung speziell des gesetzlichen Rentenniveaus? Doch, meint CDU-Rentenexperte Peter Weiß. „Die Zahlen zeigen, dass man das Sicherungsniveau für nach 2030 festlegen muss.“ Die Jüngeren sollten sehen: Sie haben mehr als eine gesetzliche Rente im freien Fall. „Die Menschen können nur einen Ansporn für Riester und Betriebsrenten haben, wenn das auf einem sicheren Sockel aufbaut.“

Zu den spannenden Fragen zählt jetzt, ob es Nahles schafft, ihre angekündigte Haltelinie gegen den Fall des gesetzlichen Rentenniveaus noch vor der Bundestagswahl gesetzlich zu verankern. Schon beim Koalitionsausschuss am Donnerstag kommender Woche soll das heikle Thema Rente auf den Tisch. Immer wahrscheinlicher wird ein Wahlkampf 2017 auch um die Rente.

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