Eichengreen, Piketty oder Woodford? Nobelpreis: Das waren die Favoriten der deutschen Top-Volkswirte

Begehrtes Objekt: Herstellung der Medaille für den Wirtschaftsnobelpreis.

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften hat verkündet, wer 2020 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhält. Die WirtschaftsWoche hatte sich im Vorfeld unter Volkswirten umgehört, wer die höchste Auszeichnung für Ökonomen ihrer Meinung nach verdient hätte.

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Paul R. Milgrom und Robert B. Wilson erhalten in diesem Jahr den Wirtschaftsnobelpreis. Laut der Akademie werden sie für ihre Verbesserung der Auktionstheorie geehrt werden. Damit geht der Preis wieder an zwei US-Ökonomen. Im Vorfeld der Bekanntgabe hatte die WirtschaftsWoche führende deutsche Ökonomen nach ihren Favoriten gefragt. Die Antworten dokumentieren wir im Folgenden:

Christoph Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, wagt eine Prognose: „In diesem Jahr könnte erneut ein Power Couple mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden: Susan Athey und Guido Imbens für ihre Beiträge im Zukunftsbereich Machine Learning. Als Professorin für „Economics of Technology“ an der Universität Stanford war Athey eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die sich aus ökonomischer Perspektive mit Themen wie künstliche Intelligenz,  digitale Märkte und Ökonomie des Internets beschäftigt haben. Ihr Ehemann Guido Imbens ist ein herausragender Ökonometriker, der ebenfalls eine Professur in Stanford hält und gemeinsam mit seiner Frau an der Schnittstelle von Ökonometrie und Machine Learning-Methoden forscht. Mein Dauer-Tipp lautet zudem: David Card. Als Pionier der Angewandten  Mikroökonometrie und Wegbereiter der evidenzbasierten wirtschaftspolitischen Beratung hätte er den Preis verdient.“

Auch Albrecht Ritschl, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics, hält gleich mehrere Kandidaten für preiswürdig. „In meinem Bereich der Wirtschaftsgeschichte käme Barry Eichengreen (Berkeley) für seine währungshistorischen Arbeiten in Frage.  Alternativ könnte es Thomas Piketty (Paris) treffen - für sein internationales Projekt zur Messung personeller Einkommens- und Vermögensungleichheit in langer Frist mit Hilfe der Steuerstatistik. Dazwischen gibt es ein regelrechtes Kontinuum möglicher Kandidaten, etwa Michael Woodford (Columbia) für seine Arbeiten zur negativen Zeitpräferenzrate, mit der sich säkulare Stagnation gut darstellen lässt. Und irgendwann könnte auch Harald Uhlig (Chicago) den Preis kriegen – nicht wegen seiner schroffen Kommentare oder seiner gelegentlich problematischen Äußerungen auf Twitter. Sondern wegen seiner grundlegenden Beiträge zur Identifikation von Schocks in mehrdimensionalen Zeitreihenmodellen sowie seines linear-quadratischen Approximationsansatzes zur Simulation von dynamischen stochastischen Gleichgewichtsmodellen.“

Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts in München, macht sich für Ernst Fehr aus Zürich oder Daron Acemoglu vom amerikanischen MIT stark. „Ernst Fehr hat bahnbrechende Arbeiten zur experimentellen Wirtschaftsforschung und im Bereich Verhaltensökonomik vorgelegt. Daron Acemoglu hat höchst innovative Forschung zu grundlegenden Fragen wie der politischen Ökonomie und dem Zusammenhang zwischen Institutionen und Wirtschaftsentwicklung beigetragen, die preiswürdig sind.“

Justus Haucap, VWL-Professor an der Universität Düsseldorf, möchte „als vollkommenen Außenseiter Mark Granovetter benennen, der wohl einer der wichtigsten Wirtschaftssoziologen ist. Im Gegensatz zur Wirtschaftsgeschichte oder Psychologie wurde die Wirtschaftssoziologie noch nie bedacht. Mit seinen Beiträgen von 1973 und 1985 hat er bahnbrechende Arbeiten vorgelegt, um die Bedeutung sozialer Beziehungen für die Ökonomie herauszuarbeiten. Zum 100. Todestag von Max Weber wäre es doch sehr passend, den Preis an einen Wirtschaftssoziologen zu vergeben. Ich könnte mir auch vorstellen, dass er den Preis zusammen mit anderen erhält, wie seinem Doktorvater Harrison White, dem Begründer der modernen Netzwerkanalyse. Das würde auch gut passen angesichts zunehmender Bedeutung der „Social Networks“. Ein weiterer Kandidat könnte in dem Kontext noch Robert Putnam für sein Arbeiten über Sozialkapital sein. Ich glaube, das ist ein echter Außenseitertipp, aber verdient wäre es allemal, da die Rolle sozialer Strukturen für die Ökonomie aus meiner Sicht noch immer viel zu wenig beleuchtet wird.

Für Jan Schnellenbach, Professor an der TU Cottbus, hat der Wirtschaftshistoriker Joel Mokyr, Professor an der Northwestern University in den USA, den Preis am meisten verdient: „Mokyr hat herausragende und viel beachtete Beiträge zu den kulturellen Voraussetzungen von Innovation und Wachstum veröffentlicht, insbesondere seine Bücher „The Gifts of Athena“ und „A Culture of Growth“. Damit hat er sowohl Beiträge zur Erklärung einzelner historischer Ereignisse wie der Industriellen Revolution geleistet, als auch allgemein zur Innovationsökonomik. Seine Arbeiten wurden sehr häufig zitiert und haben einen Einfluss auf viele Forschungsgebiete entwickelt. Mokyr wäre ein verdienter und auch nicht unwahrscheinlicher Preisträger.“

Stefan Kolev, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Westsächsischen Hochschule Zwickau,  empfiehlt Deirdre N. McCloskey (University of Illinois at Chicago) und Israel M. Kirzner (New York University). „McCloskey hat den Preis verdient für ihre Beiträge zur Kliometrie, zur Rhetorik im ökonomischen Diskurs und zur Verbindung zwischen Wohlstandsentwicklung und bürgerlicher Kultur; Kirzner für seine Beiträge zur Rolle des Unternehmertums, die im global-digitalen Zeitalter aktueller denn je ist, und zur Theorie des Kapitalismus als Theorie des dynamischen Marktprozesses.“


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Michael Burda, Professor für Volkswirtschaftslehre an der HU Berlin, sähe es gern, wenn sein alter akademischer Lehrer ausgezeichnet würde: „Den Preis sollte der Makroökonom Robert Barro von der Harvard University erhalten. Er hat herausragende Beiträge zur Wachstumstheorie geleistet und die Ricardianische Äquivalenz weiterentwickelt. Sie besagt, vereinfacht erklärt, dass Steuersenkungen konjunkturell verpuffen können, wenn Wirtschaftsakteure das zusätzliche Einkommen sparen, weil sie glauben, dass er die Steuern später wieder erhöht. Barro ist allerdings sehr konservativ und anti-keynesianisch. Daher glaube ich nicht, dass es im Nobelpreiskomitee eine Mehrheit für ihn geben wird.  Gut möglich, dass den Preis diesmal ein Ökonom erhält, der sich mit Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen beschäftigt. Daher könnte die Wahl auf Thomas Piketty, Raj Chetty, Emmanuel Saez oder Gabriel Zucman fallen.“

Stefan Kooths, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, hielte Israel M. Kirzner für einen würdigen Preisträger. Kirzner ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der New York University und Vertreter der Österreichischen Schule. Kooths: „Er hat in der Industrie- und Wettbewerbsökonomik den Fokus von statischen Marktergebnissen auf dynamische Marktprozesse gelenkt. Das lässt vermeintliche Marktdefekte, wie sie sich aus dem Idealbild der vollständigen Konkurrenz ergeben, in neuem Licht erscheinen. Gewinne sind in dieser Sichtweise primär eine Prämie für die unternehmerische Koordinationsleistung zwischen bislang imperfekt synchronisierten Märkten. Insgesamt hat Kirzner herausgearbeitet, dass die in der neoklassischen Markttheorie vorausgesetzten Produkt- und Preismerkmale erst über unternehmerische Aktivität entwickelt werden muss. Er hat so den Unternehmer zurück ins Zentrum der wirtschaftlichen Theorie geholt.“

Rüdiger Bachmann, Professor an der University of Notre Dame in Indiana, plädiert für Michael Woodford, einen der weltweit führenden Theoretiker im Bereich der Geldpolitik. Der Grund:  „Woodford hat die Theorie moderner Geldpolitik weiterentwickelt und mit seinen Arbeiten den Monetarismus und die Geldmengensteuerung überwunden.“

Am Montag gegen 11.45 Uhr wissen wir mehr. Die Bekanntgabe des Gewinners wird unter www.nobelprize.org live im Netz übertragen

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