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Ein Lied Politische Weihnacht

Warum die Bundeskanzlerin in Berlin ein Lied anstimmt. Wenn die Kanzlerin singt, muss es schon ein besonderer Anlass sein. So wie bei der Weihnachtsfeier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Berliner „In-Location“, dem Konzert-Zelt Tipi, einen Steinwurf vom Kanzleramt entfernt. In diesem Etablissment trat Angela Merkel mit ihrem treuen Eckart, Unions-Fraktionschef Volker Kauder, auf die Bühne, um „O du fröhliche“ anzustimmen.

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Das traf die geschundene Seele sich selbst und ihren Wählern immer mehr entfremdeter Unions-Abgeordneter. Merkel hielt Hof, zeigte, wer wohlge‧litten ist oder strafte jene ab, die in jüngster Zeit mit zu lauter Kritik – etwa am Mindestlohn-Beschluss der Bundesregierung – aufgefallen war. Laut Teilnehmern soll es trotzdem eine seltsame Atmosphäre gewesen sein. Die Stimmung sei bei vielen „aufgesetzt“ gewesen. Die Fraktion simuliere „Harmonie“, wie das ja Weihnachten auch in den besten Familien vorkomme.

Noch in der vorweihnachtlichen Sitzung des CDU-Bundesvorstands forderte Merkel ihr Führungsgremium dazu auf, Verärgerung und Streit nicht nach außen zu tragen und zurückzustellen. Es sei doch jetzt Weihnachten. Es erinnert ein wenig an Heinrich Bölls Geschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“, in der die ganze Familie darunter leidet, dass sie für Tante Milla ein permanentes Weihnachtsfest simulieren muss – und nicht wagte, unbequeme Wahrheiten auszusprechen.

Diese Harmonie hält bei Böll ziemlich lange – in der Politik zunächst aber nur bis zur wichtigsten Abstimmung des nächsten Jahres: den Wahlen in Hessen. Sollte dort Ministerpräsident Roland Koch Mehrheit und Macht verlieren, bricht der ganze Unmut auf – über Merkels unklaren Kurs in der Wirtschaftspolitik, das falsche Taktieren beim Mindestlohn sowie fehlende Profilschärfe der Union in der Auseinandersetzung mit einer erstarkenden SPD. Es gibt einen in der Union, der das Ganze aus der Halbdistanz verfolgt.

Während Koch wegen eines schweren Wahlkampfs den großen Konflikt mit Merkel nicht mehr will, wahrt der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff seine Unabhängigkeit. Und er zeigt sie auch – dosiert, aber immer so, dass ihn niemand für Merkels Kurs mit in die Verantwortung ziehen kann. Auffallend sind seine Fehlstunden in Präsidium und Vorstand der Partei. Zwar hat auch er beim Mindestlohn taktiert, aber das ist fast schon untergegangen. Zumindest streitet Wulff noch etwas mehr mit dem politischen Widersacher, als dass er als Unions-Politiker ausgerechnet Unternehmer und Manager zu neuen Gegnern kürt.

Erst vor wenigen Tagen hatte Merkel ihren Kanzleramtschef Thomas de Maizière losgeschickt, um die Wirtschaftsverbände zu attackieren. „Was mich wirklich stört“, sagte er im „Handelsblatt“, „sind die ständig wechselnden Auffassungen zu ein und demselben Thema.“ (Man fragt sich: Gibt es wechselnde Auffassung in der Politik nicht?) Weiter sagt Merkels Berater, er „sehe nicht“, dass es eine „natürliche Lagerbildung zwischen Union und Wirtschaftsverbänden“ gebe. Während also Merkel Distanz zur Wirtschaft schafft, sucht Wulff Nähe. Er lud, noch am Donnerstag vor Weihnachten, hochrangige Unternehmensführer nach Hannover ein: Wendelin Wiedeking (Porsche), Martin Winterkorn (VW), Dieter Zetsche (Daimler), Siegfried Jaschinski (Landesbank Baden-Württemberg) und Manfred Wennemer (Continental). Glühwein soll es nicht gegeben haben, aber angeblich fühlten sich die Manager in Hannover wohler als jüngst in Berlin.

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