Ein Segen für die Medien? Wie Trump ungewollt den Journalismus stärkt

Donald Trump verschärft seinen Kampf gegen die Presse. Doch Medienexperten betonen, dass Trump die Relevanz von gutem Journalismus nachhaltig stärke – und die Debatte über die Lügenpresse bald Vergangenheit sein könnte.

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Bürger könnten sich wieder mehr über die Glaubwürdigkeit von Quellen unterhalten. Quelle: Reuters

Düsseldorf Morgens lassen sich in Cafés in Deutschland Szenen wie diese beobachten: Menschen sitzen beim Frühstück, plötzlich schaut eine Person mit blankem Entsetzen im Gesicht auf das Smartphone und sagt: „Was hat er denn jetzt schon wieder getwittert?“ Man muss nicht lange rätseln, wer der Urheber des Tweets ist: Donald Trump. Der US-Präsident lenkt seit fünf Wochen die Geschicke der mächtigsten Nation der Erde – und wie selten ein Politiker zuvor hält er weltweit den Medienbetrieb auf Trab.

Aus seiner Wut auf die Presse macht Trump keinen Hehl. Immer wieder redet er den Niedergang der US-Zeitungsbranche herbei Zuletzt sperrte das Weiße Haus Journalisten mehrerer großer US-Medien von einer Pressekonferenz aus. Kurz darauf kündigte der Präsident an, nicht am traditionellen Galadinner der Korrespondenten im Weißen Haus teilzunehmen. Offenbar will Trump der Presse auch neue Regeln vorschreiben: Journalisten dürften demnach keine Quellen mehr zitieren, wenn sie keine Namen nennen.

Paradoxerweise trägt Trump mit seinen rabiaten Attacken gegen die schreibende Zunft und mit seiner Abkehr von bisherigen Konstanten der US-Politik dazu bei, die kriselnde Zeitungslandschaft in den USA zu stärken. Die New York Times gewann laut Verlags-Bilanz im letzten Quartal 2016 rund 276.000 neue Digital-Abonnenten hinzu. Das sind nach Angaben des Verlags mehr Neukunden als in den Jahren 2013 und 2014 zusammen. Die Zeitung investierte zudem fünf Millionen Dollar in den Aufbau eines neuen Recherchepools in Washington.

Das US-Magazin Vanity Fair verzeichnete nach einem provokanten Tweet Trumps innerhalb von 24 Stunden rund 13.000 neue Abonnenten. Ein Sprecher verwies darauf, dass dies der größte Zuwachs innerhalb eines Tages in der Geschichte des Hauses gewesen sei. Die Faktenchecker der Washington Post stellten jüngst fest, dass Trump seit seinem Amtsantritt 133 falsche oder irreführende Behauptungen aufgestellt habe. Auch die deutschen Medien nehmen den Präsidenten genau unter die Lupe. Das Handelsblatt hat auf seiner Website ein Spezial „Trump Watch“ eingerichtet, das dokumentiert, welche Wahlversprechen umgesetzt wurden.

Dass genau hingeschaut wird, ist nachvollziehbar. Denn es geht um Existenzielles. Der mächtigste Politiker der Welt stellt zentrale Errungenschaften westlicher Gesellschaften wie Freihandel und offene Grenzen infrage. Trump sei vielleicht „das Beste, was dem Journalismus passieren konnte“, urteilt der Medienexperte Stephan Weichert im Gespräch mit dem „Handelsblatt“. Der Fakten verdrehende und sich oft widersprechende Präsident stärke die Relevanz von gutem Journalismus nachhaltig, erklärt der Professor für Journalismus und Kommunikationswissenschaft an der Hamburg Media School: „Die Menschen erkennen inzwischen, dass der Präsident in seiner eigenen Realität gefangen ist. Er ist nicht glaubwürdig. Die Bürger wollen sich neutral informieren“, erläutert Weichert. Das führe zu dem Aufschwung journalistischer Angebote, der in den USA zu beobachten sei.


Hin zur Diskussion über Qualitätsjournalismus

In Deutschland hätten die klassischen Medien vor allem durch die Diskussion um die Vorwürfe der Lügen- und Systempresse viel von ihrer Glaubwürdigkeit eingebüßt, erklärt der Medienexperte Lutz Frühbrodt. Ihr bisheriges Monopol auf Deutungshoheit sei zumindest infrage gestellt, betont der Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. „Die Ereignisse in den USA zeigen aber auch, wohin es führt, wenn Vertreter eines angeblichen Anti-Establishments darüber bestimmen wollen, was wahr ist und was nicht“, mahnt Frühbrodt. „Dies dürfte auch hierzulande den Menschen vor Augen führen, dass die klassischen Medien eben doch Anker der Glaubwürdigkeit bilden.“

Der Trump-Effekt könne bewirken, dass sich die Bürger wieder mehr über die Glaubwürdigkeit von Quellen unterhalten, fügt Weichert hinzu: „Vielleicht bekommen wir jetzt einen Turn von der Lügenpressedebatte hin zu einer Diskussion über Qualitätsjournalismus.“

Frübrodt verwundert es nicht, dass US-Journalisten Trump wie auf dem OP-Tisch sezieren. Der Präsident habe konservative und linksliberale amerikanische Medien wiederholt und unisono als Fake News bezeichnet. Dieser Vorwurf sei dem „tief verletzten, eitlen und narzisstischen Ego Trumps“ geschuldet gewesen: „Insofern erleben wir in den Medien jetzt so etwas wie eine psychologische Gegenwehr auf die Trump-Tiraden, die auch das Publikum ganz offensichtlich unterstützt“, erklärt Frühbrodt.

Ungeachtet der Chancen sieht der Wissenschaftler aber auch Gefahren, welche die mediale Auseinandersetzung mit Trump mit sich bringen kann: „Journalisten sollten sich davor hüten, allzu schulmeisterlich über den US-Präsidenten zu schreiben.“ Das könne beim Publikum schnell Zweifel aufkommen lassen, ob die Berichterstattung sachlich sei, sagt Frühbrodt. Er rechnet damit, dass sich der mediale Hype um Trump bald legen wird; „Der Präsident ist als Alleinunterhalter zwar ein absoluter Selbstläufer. Ich prognostiziere jedoch, dass nach einer Weile ein Gewöhnungseffekt eintritt und nur noch seine gröbsten Verbalentgleisungen und Fehltritte medial thematisiert werden.“

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