Einblick

Boykotte bringen nichts

Wie wollen wir in einer global vernetzten Welt mit autoritären Staaten umgehen? Nur „Boykott“ schreien jedenfalls reicht nicht.

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Sigmar Gabriel in Ägypten. Quelle: dpa

Da ist er wieder, der große Aufschrei, der inzwischen alles begleitet, was nicht im engen Raster der Norm und der politischen Korrektheit verharrt. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat den ägyptischen Präsidenten „beeindruckend“ genannt und erntet dafür Hohn und Spott auf der ganzen Linie. Es ist ja auch leicht, aus dem bequemen Bundestagssessel heraus moralische Missbilligung in die Welt zu blöken. Fragt sich nur, was geschähe, müssten die Entrüsteten ein Rezept vorlegen, wie man in einer globalen, wirtschaftlich vernetzten Welt mit Staaten wie Ägypten, der Türkei, Russland, Saudi-Arabien und China umgeht.

Die teilen unsere Werte nicht? Da wird doch wohl ganz schnell der Stecker gezogen! Das hilft weder den Menschen in diesen Ländern noch unserer Wirtschaft. Stille. Die nächste Wildsau kommt sicher bald gerannt, der man entgegenhalten kann, sie möge sich wie ein Kuschelkätzchen benehmen, aber dabei bitte noch genügend Schnitzel abwerfen.

In diesen öffentlichen Diskussionen über richtiges Verhalten zeichnet sich ein neuer binärer Code ab, der ganz ins digitale Zeitalter passt: Entweder man ist Null oder Eins, schwarz oder weiß. Kurzum: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Das ist nicht neu und war immer eine streitbare Form der Truppenbildung. Angeblich soll Jesus – in Anlehnung an Julius Cäsar – einen ähnlichen Satz gesagt haben. Doch schon die Evangelisten ringen um die richtige Reihenfolge. Matthäus lässt einen ziemlich intoleranten Jesus sagen: „Wer nicht mit mir ist, ist wider mich.“ Das klingt mehr nach Feldherr denn nach Volksversöhner. Wenn Markus in seinem Evangelium also Jesus die umgekehrte Reihung in den Mund legt, ist das ein besseres Vorbild für heutige Zeiten: „Wer nicht wider uns ist, ist für uns.“

Und was hat das alles mit Außenwirtschaftspolitik zu tun? Sehr einfach: Um in den Beziehungen zwischen Staaten voranzukommen, den Handel und damit den Wandel zu fördern, sind Purismus und grundsätzlich angenommene Gegnerschaft ein selten dummer Ansatz. Noch nie hat ein Mensch, ob Privatperson oder Staatenlenker, sich dem Kontakt geöffnet, wenn er erst einmal einen vor den Latz geknallt bekommt. Man möge sich nur erinnern, was die Isolation Wladimir Putins in den G8 für die Ukraine gebracht hat. Nichts. Der Präsident einer angenommenen Weltmacht soll am Katzentisch sitzen? Da wird er den anderen erst einmal zeigen, wie real sein Anspruch ist, und zwar gerne mit allen Mitteln.

Das ist kein Plädoyer für übermäßige Anpassung oder ein laxes Verständnis der eigenen Werte und Rechtsgrundlagen. Es ist nur der Hinweis, dass viel Veränderung durch Zuwendung und Ausdauer, wenig aber durch Ablehnung und Strafe entsteht.

Wie verändert sich eigentlich ein Chamäleon, wenn es in einem Spiegelkabinett sitzt? Das Tier wird hektisch, kriegt rot-gelbe Streifen und schaltet auf Angriff. So ähnlich funktioniert die deutsche Diskussion derzeit in der Außenwirtschaftspolitik. Merke: Das Chamäleon glaubt, im Spiegel den Gegner vor sich zu haben, weil es sich selbst nicht erkennen kann. Der Mensch, der in den Spiegel schaut, weiß: Was er sieht, das ist er selbst.

Die WirtschaftsWoche ist nicht nur lesbar, sondern auch hörbar. Hier können Sie sich den Artikel von professionellen Sprechern vorlesen lassen:

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