Einblick

Die Politik muss nach Besserem streben

Der US-Wahlkampf verkommt zur Schlammschlacht, in der jedes echte Argument zertrampelt wird. Doch Politik braucht dringend Überzeugungskraft. Bestes Beispiel: Bundespräsident Joachim Gauck.

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Joachim Gauck. Quelle: AP

Joachim Gauck hat im Amt des Bundespräsidenten viele Erwartungen erfüllt. Eine nicht. Er tritt nicht noch einmal an. Die Freiheit, die ihm immer Lebensthema war, gilt auch für seine ganz persönlichen Entscheidungen. Gauck lässt sich nicht gegen sich selbst in die Pflicht nehmen – nicht von einem Amt und nicht von der Parteipolitik. Das ist bemerkenswert, weil es so selten vorkommt in der Politik. Gauck ist ein unabhängiger Präsident, gerade weil er kein Parteipolitiker ist.

Ein umso größeres Trauerspiel ist die Inszenierung, die im Berliner Politikbetrieb schon eingesetzt hatte, bevor Gauck seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit ausgesprochen hatte. Nicht das Prinzip der Bestenauswahl leitet die Suche nach einem Nachfolger. Nicht die Frage, wer Deutschland in diesem Amt herausragend repräsentieren kann. Nicht die Suche nach Kandidaten, die durch freies Denken, Unabhängigkeit und Haltung auffällig geworden sind. Sondern parteipolitisches Geschacher.

Die CDU forderte sogleich, der Gauck-Nachfolger müsse ein Unionskandidat werden. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann legte nach: „Die Union hat klargemacht, dass es kein Sozialdemokrat werden soll. Dann wird es nach Lage der Dinge auch kein Christdemokrat.“ Und natürlich nahm sein Unionskollege Volker Kauder den Faden sogleich wieder auf: „Es ist sicher nicht das erste Mal, dass ein Sozialdemokrat sich geirrt hat.“

So reagieren deutsche Politiker auf Gaucks Entscheidung
Bundespräsident Joachim Gauck Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: dpa
SPD-Vorsitzender und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Stanislaw Tillich (CDU), Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Sachsen Quelle: dpa
Horst Seehofer, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident Quelle: dpa
Simone Peter, Grünen-Bundesvorsitzende Quelle: dpa
Katja Kipping, Parteivorsitzende der Partei Die Linke Quelle: dpa

Es ist sicher nicht das erste Mal, dass Politiker sich geirrt haben, wie viele solcher taktischen Volten die Bürgerinnen und Bürger bereit sind mitzugehen. Dabei sollte man erwarten dürfen, dass die derzeitigen Entwicklungen in der politischen Landschaft Europas Warnsignal genug sind. Rechtspopulistische Parteien erstarken in fast allen EU-Ländern, der Glaube an die EU geht verloren, das Vertrauen in die Politik ist erschüttert. Das alles sollte Holzhammer genug sein, um zu verstehen, dass die Demokratie in eine gefährliche Schieflage geraten kann. Muss man erst von einem Pfeiler des zusammenbrechenden Gerüsts getroffen werden?

Bei der Suche nach einem Gauck-Nachfolger könnten die Parteien zeigen, dass sie verstanden haben. Sie könnten sich zu eigen machen, was im Sinne der Qualität immer ein guter Ansatz ist: Wettbewerb. Wer einen Wettbewerbsvorteil erlangen will, muss besser sein als andere, muss durch bessere Qualität überzeugen und darf sich nicht immer nur am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren. Das ist in der Politik nicht anders als in der Wirtschaft.

Was passiert, wenn die Beteiligten das Streben nach Besserem aufgegeben haben, zeigt auf ganz scheußliche Weise der US-Wahlkampf. Hillary Clinton und Donald Trump, die beiden Kontrahenten, ziehen die meisten ihrer Argumente aus der Abwertung des Gegners und vergessen: Zeigt ein Finger auf den Widersacher, zeigen immer drei auf einen selbst. So entsteht eine Abwärtsspirale, die die politische Kultur mit sich zieht. Das endet in einer unappetitlichen Schlammschlacht, in der jedes echte Argument zertrampelt wird und jede Lust auf demokratische Beteiligung stecken bleibt.

„Ich tue mir nichts Gutes, wenn ich nichts von mir erwarte“, hat Joachim Gauck einmal gesagt. Das ist ein guter Satz für jeden Menschen. In jeder Lage.

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