Einblick
Visionär und Vordenker vor 132 Jahren: Carl Benz. Quelle: imago images

Neue Milliardäre braucht das Land

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Ehrfürchtig bewundern alle die Wahnsinnsprojekte von Bezos und Co. Dabei gäbe es hierzulande genügend Superreiche. Aber die sollten endlich mal ausflippen.

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Manchmal braucht es eine Flaschenpost, um das ganze Ausmaß der Misere zu begreifen. Vor wenigen Tagen fand eine Spaziergängerin an einem einsamen Strand in Australien eine Ginflasche der speziellen Art. 132 Jahre zuvor hatten deutsche Seeleute im Auftrag der deutschen Seewarte die Forschungspost in den Indischen Ozean geschmissen, um die Strömung zu studieren. 1886 waren die Deutschen offenbar noch sehr neugierig und vor allem experimentierfreudig. Denn es war auch das große Jahr von Carl Benz. Der hatte gerade für ein von ihm gebautes Automobil ein Patent bekommen. Der Weg dorthin war allerdings steinig. Frühere Geschäftspartner hielten wenig von seiner Vision und ließen den Spinner Benz lieber fallen. Am Ende schaffte er den großen Wurf mit der tatkräftigen Hilfe seiner vermögenden Frau.

Um echte Visionäre made in Germany ist es ziemlich still geworden. Spätestens seit der verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt jedem Menschen mit solchen Anwandlungen einen Arzt empfahl, ist die verrückte Großidee eher negativ besetzt. In der Beletage der Gesellschaft regiert Vernunft und Steuersparen. Menschen vom Schlage Benz wohnen heute in den USA, heißen Jeff Bezos oder Elon Musk. Der eine herrscht mit Amazon über das weltgrößte Onlinewarenhaus, und der andere treibt mit seinen Elektro-Teslas die alteingesessenen Autokönige vor sich her. Am liebsten spielen die beiden aber mit Raketen. Für die Größe ihrer Egos gibt es nur im Weltraum genügend Platz.

Der Rest der Welt schaut dem Spektakel ehrfürchtig zu. Kaum ein Tag vergeht, an dem die US-Milliardäre nicht einen neuen Coup verkünden, wie etwa einen Sportwagen in die Erdumlaufbahn zu schießen oder eine mechanische Riesenuhr zu basteln, die für die nächsten 10 000 Jahre funktionieren soll. Der mediale Widerhall auf diese Ideen erreicht inzwischen die Dimension einer göttlichen Offenbarung. Viele dieser Projekte werden zwar scheitern, weil sie Wahnsinn oder schlicht Blödsinn sind. Aber eben nicht alle. Darum wächst der Vorsprung der USA auf gewissen Feldern beinahe täglich. Die kindliche Experimentierfreude von Superreichen wird zum Innovationsmotor.

Benz Patent-Motorwagen Nummer 1, so hieß das erste Automobil mit Verbrennungsmotor aus dem Jahr 1886. Quelle: imago images

Und was treiben eigentlich die Superreichen hierzulande so? An der Basis stellt man sich ja treudeutsch gerne die missgünstige Frage, ob die da oben wohl legal zu ihrem Geld gekommen sind und wie man ihnen das am besten wegsteuern könnte? Die Oberklasse ist in den Augen vieler der schlagende Beweis für Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Aber vielleicht muss ein Perspektivwechsel her, vielleicht liegt das Problem woanders. Wir brauchen nämlich nicht weniger, aber andere Milliardäre. Spannende Menschen mit Visionen, die ihr überschüssiges Geld nicht nur in Luxushotels, Fußballclubs und Biobauernhöfe stecken, sondern wie Musk und Co auch mal in scheinbar durchgeknallte Zukunftsprojekte. Schließlich haben sie es einfacher als Carl Benz. Der war der uneheliche Sohn eines armen Dienstmädchens.

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