Einblick

Peking denkt in Dekaden, nicht in Tweets

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Alle starren auf Kanzlerin Angela Merkel, die den Westen vor US-Präsident Donald Trump retten soll. Dabei droht die Gefahr aus einer anderen Richtung.

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Dauergeschockt starrt der Westen auf Trump und kürt in seiner Verzweiflung Merkel zur Superwoman. Die wahre Herausforderung sitzt aber nicht im Weißen Haus, sondern ganz woanders – weit weg in Peking. Quelle: dpa

Das ist sie wieder, diese absurde Erwartungshaltung. Angela Merkel soll wieder einmal die Welt retten, zur „Anführerin der freien Welt“ aufsteigen, wie es kürzlich während ihrer Südamerika-Tour die Runde machte. Die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland soll also gleich den ganzen Globus vor Donald Trump in Sicherheit bringen. Die Mexikaner setzen auf sie, weil sie sich mit Mauern auskennt. Die Afrikaner vertrauen ihr, weil ihre Initiative für den Schwarzen Kontinent vielleicht die gekürzte US-Entwicklungshilfe kompensiert. Und selbst die Hoffnung aller Eisbären liegt inzwischen in der Ruhe der Raute, seit der US-Präsident aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist.

Vielen erscheint Merkel offenbar alternativlos. Ist ja kein anderer da. Die britische Premierministerin Theresa May leidet unter Inselkoller, und der französische Präsident Emmanuel Macron hat bald genug mit reformfeindlichen Gewerkschaften zu tun.

Dauergeschockt starrt der Westen auf Trump und kürt in seiner Verzweiflung Merkel zur Superwoman. Dabei macht er gleich zwei Fehler. Erstens wird der Einfluss der Kanzlerin und damit Deutschlands überschätzt. Und zweitens sitzt die wahre Herausforderung nicht im Weißen Haus, sondern ganz woanders – weit weg in Peking.

Eine Herausforderung, die ganz leise daherkommt. Maos Enkel sind keine Freunde der lauten Töne. Sie genießen die Selbstverstümmelung der transatlantischen Achse still. Wenn überhaupt, kommentieren sie die Wirren um den Washingtoner Wahnsinn dezent und versichern dem Rest der Welt ihre uneingeschränkte Solidarität in Sachen Freihandel und Klimaschutz. Ausgerechnet China, das zu den größten Klimasündern gehört und den Freihandel mit Füßen tritt, wovon gerade deutsche Firmenchefs abendfüllend erzählen können.

Erstaunlicherweise kommt das repressive Regime damit durch. Kein Aufschrei jagt durch die Social-Media-Kanäle. Stattdessen lässt die totale Fixierung auf Trump keinen Platz zu erkennen, was die Chinesen so anders macht: der langfristige Plan. Sie wissen längst, dass der kluge Stratege nicht in Quartalszahlen rechnet, sondern in Dekaden. Viel wurde schon geschrieben über das Programm „Made in China 2025“ und die neue Seidenstraße. Begriffen haben es nur die wenigsten. Es sind lediglich zwei von vielen Schritten auf dem Weg zur „führenden Industrie-Supermacht“, wie das Ziel für den 100-jährigen Geburtstag der Volksrepublik im Jahr 2049 offiziell heißt. Zu diesem Zweck wird weltweit zusammengekauft, was das Zeug hält. Der chinesische Konzern Anbang etwa heuerte vor wenigen Tagen einen Topinvestmentbanker von der Credit Suisse an, was viele als Auftakt zur nächsten Einkaufswelle deuten. Die Liste europäischer Firmen unter chinesischem Einfluss wächst beinahe täglich. In ersten Branchen kontrollieren die Kommunisten bereits regelrechte Kolosse.

Donald Trump wird das Jahr 2049 wohl nicht erleben, die Volksrepublik schon. Darum sollte ihm die westliche Welt nicht die ganze Aufmerksamkeit schenken und auch anfangen, in Dekaden zu denken – statt in Tweets.

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