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Einblick

Vertuschen hilft niemandem

Verschweigen geht nicht. Die Silvesternacht von Köln muss Folgen haben. Innere Stabilität ist Gegenpol zur äußeren Verunsicherung. Eine Kolumne.

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Verschweigen geht nicht. Die Silvesternacht von Köln muss Folgen haben. Quelle: dpa

Gutmensch ist also das Unwort des Jahres. Mit ihm werde Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd diffamiert, so begründet die Jury ihre Wahl. Es stimmt: Gutmensch ist ein dummes Wort, das viel über diejenigen sagt, die es gebrauchen.

Genau wie „Nazi“ ein dummes Wort ist, wenn so Menschen beschimpft werden, die Zweifel daran haben, dass wir es wirklich schaffen, den Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland zu bewältigen. Und genauso ist „Lügenpresse“ ein dummes Wort, wenn es pauschal für ein Misstrauensvotum gegenüber Journalisten und Medien steht. Das alles sind dumme Wörter, weil sie zeigen, dass derjenige, der sie ausspricht, nicht mehr unterscheiden will. Er will pauschalisieren, um zu polarisieren.

Es mag sein, dass manch eine Jury Zeit hat, sich mit Unworten zu beschäftigen. In diesen Tagen geht es aber um Untaten. Was am Silvesterabend in Köln und anderen europäischen Städten geschah, war ein Angriff auf das freiheitlich demokratische Lebensmodell, für das die meisten Menschen in Deutschland sich gemeinsam entschieden haben. Als erstes Lehrbuch steht da das Grundgesetz zur Verfügung. Die Würde des Menschen, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, das Recht auf körperliche Unversehrtheit gehören zum Kern der deutschen Gesellschaft, sozusagen zur Hausordnung, die früher schon mal über der Tür hing, um Gästen zu signalisieren, was geht und was nicht geht.

Was in Köln geschah, geht nicht. Dazu braucht es keine Unworte und keine Umschreibungen. Wer als Gast kommt und sich am Gastgeber vergreift, Straftaten begeht und ihm die Hütte vollkotzt, fliegt raus. Inzwischen zeichnet sich dazu ein Konsens ab. Erstaunlich ist, wie lange das gedauert hat.

Was in der ersten Aufarbeitung der Kölner Ereignisse geschah, geht auch nicht. Wem soll es denn eigentlich helfen, dass die Untaten vom Silvesterabend erst einmal verschwiegen, womöglich gar vertuscht wurden? Den Asylbewerbern? Den Verantwortlichen? Den besorgten Bürgern? In einer Zeit, in der nichts wichtiger ist, als klar und unter Offenlegung aller Tatsachen und Argumente einen Umgang mit der Zuwanderung Hunderttausender Menschen zu finden, ist Schweigen Gift. Es vergiftet das Klima in Deutschland mehr als jedes Unwort, jedes noch so falsche Argument das könnten. Was in Köln geschah, mag unfassbar sein. Unsagbar darf es nicht sein.

Vielleicht war es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie notwendiger als heute, sich offen darüber zu vergewissern, wie wir sein und wohin wir uns entwickeln wollen. Diesen Prozess anzustoßen wäre Aufgabe der Politik. Aber jenseits des neuen Drei-Wort-Mantras „Härte des Rechtsstaats“ kommt da nicht viel. Es wäre Aufgabe der Justiz, Polizei und Behörden, die entsprechenden Maßnahmen umzusetzen. Aber ohne klare Vorgaben taumelt man hier zwischen Inkompetenz und Inaktivität. Was in Köln geschehen ist, berührt viele Bürgerinnen und Bürger so sehr, weil es den Kern unserer Identität als freiheitliche Demokratie trifft.

Es ist höchste Zeit, das Notwendige zu tun, um diesen Kern nach innen zu sichern. Von außen droht genug Erschütterung. Das hat die Bombenbotschaft aus Istanbul am vergangenen Dienstag wieder in tödlicher Klarheit deutlich gemacht.

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