
Auch der moderne Krieg bedient sich altbekannter Mittel – sie beschreibt die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht „Alle Tage“ (1953). Der moderne Krieg ist einfach da, pausenloser Begleiter unseres Alltags, Normalfall unserer Zeit. Bachmann schrieb vom Zweiten Weltkrieg. Ihr Gedicht wurde als prophetisch interpretiert. Treffend habe die Dichterin die lange Phase des Kalten Krieges vorhergesehen.
Die Zeilen lassen sich auch in diesen Tagen wieder prophetisch lesen. Der Terror, der viele Länder – nun auch Deutschland – erschüttert, ist ein Krieg mit alten und neuen Mitteln. Niemand erklärt ihn, es gibt keine Helden, und er trifft unvorbereitet die Friedlichen, deren Schwäche er ausnutzt. Vor allem aber tötet er.
Jede Zeit hat ihre eigene Zivilisation der Zerstörung. Nein, da ist kein Widerspruch im Gebrauch des Zivilisationsbegriffs. Es ist genau das: Der Fortschritt in Technologie und Gesellschaftsstrukturen bringt neue Lebensformen für die Gesellschaft. Das bedeutet Zivilisation. In 2016 hat die zivilisierte Welt wieder einen Schritt gemacht: fort von der Gewissheit, Errungenschaften unserer Zeit, wie Demokratie, individuelle Selbstbestimmung, auch die gefestigten Beziehungen innerhalb Europas oder auch zwischen Europa und den USA, seien Selbstläufer, gerichtet auf das Ziel des immer Besseren, immer Wohlhabenderen, immer Freieren. In 2016 hat die Zivilisation einige Rückläufer auf die Reise geschickt. Adressiert sind sie an die heimischen Errungenschaften: Demokratie, Freiheit, Individualismus. Sie werden so lange auf den Weg geschickt, bis ein „unbekannt verzogen“ bestätigt, dass wir uns aus dem Heute wieder ins Gestern verabschiedet haben.
Der mutmaßliche Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche ist ein solcher Rückläufer. Er nimmt viele Tote und Verletzte in Kauf, weil die überbrachte Botschaft in den Augen und dem Denken der Absender mehr wert ist als jedes Leben. Sie lautet: Ihr seid verwundbar. Ihr seid endlich. Ihr seid im Unrecht, wenn ihr glaubt, eure Zivilisation schütze euch. Gott schützt euch, vielleicht, aber nur, wenn ihr an den richtigen glaubt.
Es braucht nicht viel, um Menschen zu töten und zu verletzen in diesen Tagen. Ein gestohlener Lkw reicht. Gesteuert an einen Ort, an dem Menschen gemeinsam feiern, was sie verbindet. Ein christliches oder auch schlicht familiäres Fest zum Jahresende auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Oder Land und Geschichte, wie am französischen Nationalfeiertag in diesem Sommer in Nizza, als auch ein Lkw in die Menge raste und 86 Menschen tötete.
Das bedeutet der Anschlag von Berlin für die Sicherheit in Deutschland
Sicherheitsexperten glauben: Nein. Der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, sagt, die Gefährdungseinschätzung habe sich nicht verändert. „Wir haben schon vor der Tat gesagt, dass wir in Deutschland eine ernst zu nehmende Bedrohungslage haben. Dass der islamistische Terrorismus ganz maßgeblich die Sicherheitslage in Deutschland prägt“, betont er. Mit dem Attentat von Berlin habe sich die Gefährdungseinschätzung quasi realisiert. Deswegen geht Münch nun nicht von einer anderen Gefährdungslage aus.
Generalbundesanwalt Frank sagt, man müsse von einem terroristischen Hintergrund ausgehen. Dafür spricht nach seinen Angaben, dass ein Lkw benutzt wurde und der Anschlag in der deutschen Hauptstadt damit an das Attentat von Nizza vom 14. Juli erinnert. Am französischen Nationalfeiertag war ein islamistischer Attentäter mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge gerast und hatte 86 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt.
Hinzu komme das prominente und symbolträchtige Anschlagsziel Weihnachtsmarkt, sagt Frank. Außerdem führt er die Vorgehensweise des Attentäters an, den „Modus operandi“. Der ist schon länger in Aufrufen dschihadistischer Terrororganisationen zu finden. Aber es gebe kein Bekennervideo - und deswegen seien endgültige und abschließende Aussagen zum Hintergrund des Anschlags nicht möglich, sagt Frank. Die Polizei ermittele nach wie vor in alle Richtungen.
Grundsätzlich ja und seit längerem. Aber: Noch gibt es keinen Beleg, das der Islamische Staat (IS) tatsächlich hinter der Attacke steckt. Den Sicherheitsbehörden lagen zunächst kein Bekennerschreiben und kein Bekennervideo vor. Grundsätzlich sind Deutschland genau wie Frankreich, Großbritannien, Spanien oder andere europäische Staaten quasi seit Jahren im Visier islamistischer Terroristen.
Auch hier gilt, was Experten seit langem sagen: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Zwar haben die Behörden in vielen Bundesländern die Sicherheitsmaßnahmen für Weihnachtsmärkte erhöht, zusätzliche Polizisten abgestellt und auch mehr Videoüberwachung installiert. Doch auch Betonpoller oder andere Schutzmaßnahmen dürften einen zu allem entschlossenen Attentäter kaum aufhalten.
Ja und Nein. Bis Montagabend war Deutschland von einem größeren Anschlag mit zahlreichen Toten und islamistischem Hintergrund verschont geblieben. Das hatte oft mit Glück, aber auch mit der Ermittlungsarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden zu tun. Viele islamistische Heimkehrer aus den IS-Kriegsgebieten in Syrien und dem Irak sind als Gefährder bekannt und werden überwacht. Geholfen haben öfters auch die Kontakte zu befreundeten Geheimdiensten etwa wie dem umstrittenen US-Dienst National Security Agency (NSA). Die deutschen Geheimdienste haben in der Vergangenheit häufiger Tipps von ihren internationalen Kollegen erhalten.
Aus dem technischen Gerät der Fortbewegung wird eine Mordwaffe. Das ist perfide. Das ist die Ökonomie des Terrors, die mit geringem Aufwand höchstmögliche Wirkung erzielt. Und die Welt schaut heute zu. Die globale Aufmerksamkeit über das Internet ist die Währung der Terroristen. Ganz egal, ob sie Einzeltäter sind, von narzisstischen Motiven getrieben, oder für ein vermeintlich höheres Ziel des religiösen Kampfs im Einsatz.
Am Montag eröffnet der russische Botschafter in der Türkei eine Kunstausstellung, als ein Mann im schwarzen Anzug mit Krawatte schräg hinter ihm eine Waffe zieht und mehrfach schießt. Der Botschafter fällt neben dem Rednerpult zu Boden, er stirbt später. Der Täter hält die Waffe hoch und ruft „Gott ist groß“ und „Vergesst Aleppo nicht.“ Nicht wenige Beobachter mögen gedacht haben, sie wohnten einer künstlerischen Performance bei. Die absurde Szenerie, ein Mord inmitten der Kunst, und die radikalen Folgen stehen so quer zueinander, dass es schwerfällt, beides zu verbinden.