Eindeutige Botschaft der Wirtschaftsinstitute Das Herbstgutachten offenbart drei große Herausforderungen für die neue Regierung

Quelle: dpa

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute warnen in ihrem Herbstgutachten vor Wohlstandseinbußen und fordern eine Wende in der Renten- und in der Klimapolitik.

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Der Aufschwung fällt in diesem Jahr kleiner aus als erwartet, mehr Wachstum dann im kommenden Jahr. So lautet die vermeintliche Kernbotschaft des Herbstgutachtens der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Doch wer glaubt, damit sei alles gesagt, irrt. Es lohnt ein tieferer Blick in das Gutachten. Darin nehmen die Institute kritisch Stellung zu den mittelfristigen Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft sowie der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Beides hängt eng miteinander zusammen.

Die nächste Regierung steht vor drei großen Herausforderungen, die den Wachstumstrend in den kommenden Jahrzehnten prägen werden: die Alterung der Bevölkerung, der Klimawandel sowie die Digitalisierung. Am leichtesten dürfte es wohl sein, die Probleme auf dem Feld der Digitalisierung zu lösen. Die Institute konstatieren, dass Deutschland bei der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien Rückstände zu anderen Ländern aufweist. Diese drohten das Produktivitätswachstum zu bremsen. Insbesondere in den öffentlichen Verwaltungen, wo zuweilen noch Fax-Geräte den Stand der Technik markieren, gebe es enormen Nachholbedarf, so die Institutsökonomen.

Bei den für die Digitalisierung erforderlichen Investitionen in die Infrastruktur setzen die Institute vor allem auf den Einsatz von privaten Unternehmen. Der Staat könne hier allerdings wichtige Anreize setzen, etwa durch die steuerliche Forschungsförderung oder durch kürzere Abschreibungsfristen im Steuerrecht.

Länger arbeiten

Schwieriger dürfte es jedoch werden, die demografische Zeitbombe in den sozialen Sicherungssystemen zu entschärfen. Spätestens wenn das Gros der Babyboomer in der zweiten Hälfte des laufenden Jahrzehnts in den Ruhestand geht, wird die Rentenversicherung in die Schieflage geraten. Entweder werden dann die Renten im Verhältnis zu den Löhnen stärker sinken oder die Beitragssätze beziehungsweise die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt stärker steigen müssen als geplant.

Dem könnte kurzfristig durch die Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung begegnet werden, schreiben die Institute. Wer in Zukunft seinen vollen Rentenanspruch erhalten will, muss dann länger arbeiten. Die nächste Bundesregierung wird hier die entscheidenden Weichen stellen müssen. Ob sie den Mut dazu hat, wird sich zeigen.

Langfristig empfehlen die Institute, das derzeitige Umlageverfahren in der Rentenversicherung durch den schrittweisen Aufbau eines kapitalgedeckten Zweigs zu ergänzen. Dazu bieten sich ein individuelles und ein kollektives Sparmodell an. Das Individualmodell sieht vor, die Arbeitnehmer zu verpflichten, einen Teil ihres Lohns in eine kapitalgedeckte Sparform zu stecken. Die Institute empfehlen für diesen Fall die Anlage der Gelder in renditestarke Aktien. Im Gegenzug werden die Ansprüche an das Umlageverfahren reduziert.

Politisierte Geldanlage

Beim Modell der kollektiven Kapitaldeckung verschuldet sich der Staat und erwirbt mit dem Geld Aktien. Mit den Dividenden der Papiere ließen sich die Zahlungen an die Rentner finanzieren. Ein solches Vorgehen verstoße nicht gegen die Schuldenbremse, da der Staat mit den Krediten Vermögensgüter erwerbe, schreiben die Institute. Das eigentliche Risiko des Modells bestehe darin, dass die Geldanlage unter der Regie des Staates politisiert wird. Ein staatlich gemanagter Aktienfonds könne „ohne parlamentarische Kontrolle Industriepolitik betreiben oder auf Kosten der Rendite andere politische Ziele erreichen“, warnen die Institute.

Darüber hinaus bestehe bei einem Staatsfonds die Gefahr einer „schleichenden Verstaatlichung der Wirtschaft über öffentliche Beteiligungen“, so die Institute. Um dem entgegenzuwirken, empfehlen sie, einen großen Teil der Gelder im Ausland anzulegen. Allerdings dürfte fraglich sein, ob das politisch durchsetzbar ist. Kritiker könnten einwenden, heimische Unternehmen würden dadurch im Vergleich zu ausländischen benachteiligt.

Kritisch gehen die Institute mit der Klimapolitik der Bundesregierung ins Gericht. Diese sei „nicht hinreichend und für gegebene Ziele unnötig teuer“, monieren die Ökonomen. Anstatt durch „kleinteilige sektorspezifische Vorgaben oder das Festlegen eines Datums für den Kohleausstieg Mikromanagement zu betreiben“, solle der Staat lieber die Anzahl der CO2-Zertifikate verringern und es den Marktakteuren überlassen, wo und wie sie Technologien zur CO2-Vermeidung einsetzen. Klarer hätte ein vernichtendes Verdikt über das konzeptionslose und zum Teil von Hysterie getriebene Herumdoktern der Politiker am Weltklima nicht ausfallen können.

Die Institute legen in ihrem Gutachten den Finger in die entscheidende Wunde der Klimapolitik: den Mangel an internationaler Zusammenarbeit. Es helfe nicht weiter, „wenn die CO2-Emissionen innerhalb eines Landes dadurch gesenkt werden, dass CO2-intensive Produktion in andere Länder ausgelagert wird“, schreiben die Wirtschaftsforscher. Daher empfehlen sie die Gründung eines „Klimaclubs“. Dessen Mitglieder sollten sich auf CO2-Ziele einigen und Sanktionen in Form von Zöllen gegen Nichtteilnehmer verhängen. Wer nicht mitmacht beim CO2-Sparen, soll also bestraft werden.

Klimapolitischer Protektionismus

So richtig der Hinweis der Institute auf den Charakter des Klimas als einem globalen öffentlichen Gut ist, so krude ist ihr Vorschlag, Länder zu bestrafen, wenn diese sich dem Vermeidungsregime nicht anschließen. Wie will ein „Klimaclub“ gegen Länder wie China vorgehen, die zwar Lippenbekenntnisse zur CO2-Reduktion abgeben, aber hinter den Kulissen zig neuer Kohlekraftwerke aus dem Boden stampfen? Wie will man die Länder in Afrika domestizieren, die an der kurzen energiepolitischen Leine Chinas ebenfalls Kohlekraftwerke hochziehen, um erstmals überhaupt über eine einigermaßen stabile und bezahlbare Form der Stromerzeugung zu verfügen? Will man diese Länder mit ihrem berechtigten Ruf nach Wohlstand auf dem Weg dorthin mit klimapolitisch motiviertem Protektionismus überziehen?

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Statt Empfehlungen zum Rückgriff auf Zoll- und Sanktionsregime hätte man sich im Gutachten ein paar Sentenzen über Alternativen zur Vermeidungsstrategie gewünscht. Wenn es absehbar nicht gelingt, die größten CO2-Emittenten der Welt zum Emissionsverzicht zu bewegen, kann die Alternative nur darin bestehen, die knappen Ressourcen hierzulande in die Anpassung an den Klimawandel zu stecken. Mehr und höhere Dämme gegen Überschwemmungen, mehr und bessere Klimaanlagen in öffentlichen Gebäuden gegen Hitze sowie die Entwicklung trockenheitsresistenten Saatguts gegen Missernten sind nur einige Stichworte.

Auch die Strategie der Anpassung wird teuer, könnte sich ökonomisch aber als sinnvoller erweisen als ein bedingungsloses Beharren auf einer global nicht durchsetzbaren Vermeidungsstrategie, die hierzulande viel Wohlstand kostet, aber dem Erdklima nichts bringt. Schade, dass darüber in dem Gutachten kein Wort verloren wird.

Mehr zum Thema: Obwohl auch die EZB die Inflationsrate inzwischen kritisch beäugt, schlägt der Chefvolkswirt öffentlich beruhigende Töne an. Damit die Preise dauerhaft stiegen, müssten erst zwei Dinge geschehen.

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