Eine Lehre aus Hamburg Der Gipfel war zu groß für Deutschland

Das Desaster erinnert fatal an die Loveparade in Duisburg: Politiker beschlossen die Events, erst dann ließen sie die Sicherheitslage prüfen. Wir müssen einsehen, dass einige Events nicht möglich sind. Ein Kommentar.

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Der G20-Gipfel ist eine enorme Belastung für jede Stadt. Quelle: dpa

Hamburg Die Ansage ist eindeutig: Gewalttäter dürften nicht darüber bestimmen, welche Veranstaltungen in Deutschland möglich sind, sagen Kanzlerin, Bundespräsident und Hamburgs Bürgermeister einhellig. So etwas wie ein G20-Gipfel müsse in Deutschland möglich sein.

Die Ansage ist aber auch eindeutig falsch. Sie stellt Prinzipien über die Sicherheit der Bürger. Nach Hamburg muss sich endlich etwas umkehren: Zuerst muss die Frage geklärt werden, welche Veranstaltungen sicher durchgeführt werden können. Erst dann kann die Entscheidung fallen, sie zu organisieren. Deutschland muss sich eingestehen, dass es Veranstaltungen gibt, die allein in Megacitys wie Tokio, London und New York passen – und damit eben nicht zu Deutschland.

Bisher läuft es meist anders: Der G20-Gipfel in Hamburg beruhte auf einer einsamen Zusage von Bürgermeister Olaf Scholz an die Kanzlerin. In ihrem Ablauf erinnert diese Entscheidung fatal an die Loveparade in Duisburg. Auch dort stand der politische Wille, ein Großereignis in die Stadt zu holen, über allem. In Hamburg gab es anders als bei der Musik-Veranstaltung keine Toten – doch das war reines Glück. Obwohl sämtliche Reserven der deutschen Polizei mobilisiert waren, reichte das Aufgebot von über 20.000 Beamten zwar dazu, die Gipfelteilnehmer zu schützen und nur kleinere Abweichungen vom Programm nötig zu machen. Doch für den Schutz der Stadt genügten die personellen Kapazitäten offensichtlich nicht mehr.

In Hamburg haben die Behörden versucht, das Maximum an Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durchzusetzen, das die Verfassung erlaubt. Es hat nicht ausgereicht. Zugleich verbietet die Verfassung den Einsatz der Bundeswehr im Inneren – anders als in anderen Demokratien. Dieses Tabu ist gut begründet, bewirkt aber auch, dass die Reserve an Einsatzkräften begrenzt ist.

Daraus ergibt sich: Solch ein Gipfel ist in Deutschland schlicht nicht sicher durchführbar – selbst wenn alle Linksextremisten plötzlich friedfertig würden. Hätten sich Worst-Case-Szenarien der Planer wie ein Anschlag durch Islamisten, Blockaden im Hafen oder ein Stromausfall erfüllt, wäre das Chaos noch größer gewesen. Es gibt eben Veranstaltungen, die so viele Kräfte binden, dass es unverantwortlich ist, sie durchzuführen.

Unabsehbar war das nicht, auch wenn Scholz es nun so darstellt. Andere Bundesländer sollen es abgelehnt haben, die Gipfel durchzuführen. Und die Polizeigewerkschaften hatten bereits vor dem Gipfel vor genau dem eingetreten Szenario unkontrollierter gewalttätiger Proteste gewarnt. Das gilt nicht nur für Hamburg – in Berlin hätte ein gleich großes Polizeiaufgebot sogar eine noch größere Stadt schützen müssen. Und in kleineren Städten hätten die Hotel-Kapazitäten für die 20 Delegationen mit jeweils bis zu 500 Mitgliedern gefehlt.

Klar ist, dass die Behörden unter immensem Erfolgsdruck stehen, wenn wie in Hamburg der Bürgermeister öffentlich verkündet, die Veranstaltung sei problemlos durchzuführen. Kaum ein Beamter wird sich dann trauen, eine andere Lageeinschätzung stark zu vertreten. Genau dieser Effekt hat in Duisburg zur Katastrophe geführt, wo die Probleme ebenfalls vorher bekannt waren, aber nicht benannt wurden.

Wie stark Scholz und die Bundesregierung in Hamburg Druck ausgeübt haben, ist noch zu klären. Auch, warum andere Bundesländer angeblich der Kanzlerin eine Absage gegeben hatten. Die Aufarbeitung der Ereignisse beginnt gerade erst. Der krisenerfahrene Polit-Stratege Scholz wird sich im Amt halten, da es bei Sachschäden blieb – es sei denn, ihm würde nachgewiesen, dass Behörden ihn intensiv vor Sicherheitslücken warnten. Dafür gibt es bislang jedoch keine belastbaren Hinweise.

Wichtiger als Personalien sind die richtigen Schlüsse. Viele Hamburger werden erleichtert sein, dass Scholz‘ Plan, die Olympischen Spiele 2024 in Hamburg zu veranstalten, bereits vom Tisch ist. Sie werden dem Bürgermeister so schnell bei keinem weiteren Großereignis über den Weg trauen.

Diese Skepsis ist bundesweit nötig. Deutschlands größte Städte sind im Weltmaßstab klein. Zugleich sind internationale Mega-Events größer und aufwendiger geworden. Es gibt Veranstaltungen, für die Deutschland nicht gerüstet ist – schon allein, weil es wenig Sinn ergibt, für singuläre Mega-Events eine riesige Infrastruktur bereit zu halten.

Wer darauf verzichtet, knickt nicht vor Gewalttätern ein, sondern schlicht vor der Realität. Dass die Menschen in Deutschland sicher und in einer freiheitlichen Grundordnung leben, ist wichtiger als Prestigeprojekte es sind. Die Tatsache, dass sich in Hamburg ein inakzeptables Problem der Gesellschaft mit Gewalt gezeigt hat, steht auf einem anderen Blatt.

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