Eine Woche nach Corona-Impfstart in Deutschland Wo es noch ruckelt und warum

Ein Mitarbeiterin der Asklepios Klinik bereitet den Covid-19 Impfstoff von Biontech/Pfizer für eine Impfung vor. Quelle: dpa

Zu wenig Impfstoff, zu lahme Verteilung: Die Bundesregierung und die EU-Kommission müssen sich viel Kritik anhören. Was lief schief und wie geht es weiter? Die wichtigsten Antworten.

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Seit einer Woche wird in Deutschland gegen das Coronavirus geimpft. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte schon vor dem Start geahnt: „Es wird an der einen oder anderen Stelle auch mal ruckeln.“ Der CDU-Politiker sollte recht behalten. Vielen geht das Impfen zu langsam, andere Länder kommen schneller voran.

Die Älteren, die als erste geimpft werden sollen, fragen sich, wie sie an den wichtigen Piks kommen. Die Opposition wirft der Bundesregierung zum Start des Wahljahrs vor, bei der Vorbereitung versagt zu haben. Und auch die EU-Kommission kriegt reichlich Schelte.

Wie viel Impfstoff ist da und wie viel davon wurde bereits genutzt?
Bislang wurden 1,3 Millionen Dosen des Impfstoffes der Mainzer Firma Biontech an die Bundesländer geliefert. Damit werden zunächst Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Menschen über 80 Jahre sowie Pflegekräfte und besonders gefährdetes Krankenhauspersonal versorgt. Am Sonntag gab das Robert Koch-Institut bekannt, dass inzwischen rund 238.800 Impfungen gemeldet seien. Wegen Meldeverzögerungen könnte die reale Zahl höher liegen. Viele Bürger und auch Experten beschweren sich, dass nicht genügend Impfstoff da sei. Aber selbst wenn man - wie manche Bundesländer es tun - die Hälfte der Dosen für die nötige zweite Impfung zurücklegt, wurde noch längst nicht die gesamte Menge aufgebraucht.

Warum geht es so langsam voran?
Das Gesundheitsministerium verweist an die Bundesländer, die die Impfungen organisieren. Generell könnte es daran liegen, dass erstmal vorrangig in Alten- und Pflegeheimen geimpft wird. Die Bewohner dort sind oft nicht mobil, so dass Impfteams in die Heime fahren müssen. Das dauert länger als Massenimpfungen in einem Impfzentrum. Außerdem sind vor dem Impfen kurze Arztgespräche vorgesehen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn prüft jedoch eine Beschleunigung der Impfungen. So könne der Abstand zwischen der ersten und der nötigen zweiten Impfung vergrößert werde, heißt es in einem Ministeriumspapier. Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts solle dies prüfen. Zudem erwägt Spahn, die Überfüllung der Impffläschchen auszunutzen. So könnte aus ihnen bis zu sechs statt fünf Dosen gewonnen werden. Dies ermögliche bis zu 20 Prozent mehr Impfungen.

Wann kommt die nächste Impfstoff-Lieferung in den Ländern an?
Die nächste Charge Biontech-Impfstoff kommt am Freitag, dem 8. Januar. Bis Anfang Februar sind jeweils montags drei weitere Liefertermine vorgesehen. Bis einschließlich 1. Februar sollen weitere 2,68 Millionen Impfdosen an die Länder verteilt werden.

Noch im Januar könnte Impfstoff eines anderen Herstellers dazukommen: Die Bundesregierung rechnet für den 6. Januar mit der EU-Zulassung des Impfstoffs von Moderna. „Die genauen Lieferpläne für diesen Impfstoff werden wir dann zügig mit der EU und dem Unternehmen abstimmen“, kündigte das Ministerium an.

Minister Spahn verspricht bei „RTL Aktuell“, dass im Laufe des Januars alle Pflegeheim-Bewohner geimpft werden. „Dieses Ziel können wir im Januar erreichen. Und das wollen und werden wir auch mit den Ländern erreichen.“

Wie kommt man an einen Termin fürs Impfen?
Wie Über-80-Jährige, die nicht in Altenheimen leben, an ihre Impfung kommen, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Baden-Württemberg etwa können sie bereits telefonisch Termine für die Impfzentren buchen, in Nordrhein-Westfalen geht das noch nicht.

Wie das Gros der Bürger später informiert wird – ob etwa alle Über-70-Jährigen von den Kommunen oder Versicherungen angeschrieben werden – ist noch nicht klar.

Hat die EU-Kommission zu wenig Impfstoff von Biontech bestellt?
Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides weist Kritik zurück. „Das Nadelöhr ist derzeit nicht die Zahl der Bestellungen, sondern der weltweite Engpass an Produktionskapazitäten“, erklärt sie der Deutschen Presse-Agentur. „Das gilt auch für Biontech.“

Im November wurden bis zu 300 Millionen Dosen des Biontech-Impfstoffs bestellt, die nach Bevölkerungszahl auf die 27 EU-Staaten verteilt werden. Daneben gibt es Rahmenverträge mit fünf weiteren Herstellern. Insgesamt hat die EU Bezugsrechte für knapp zwei Milliarden Impfdosen, mehr als genug für die 450 Millionen Menschen in der EU.

Das Problem: Bisher hat nur Biontech/Pfizer die EU-Zulassung. Die Vielfalt nützt also erstmal nichts.

Warum ist die EU-Kommission so vorgegangen?
Da lange unklar war, wer im Impfstoff-Rennen die Nase vorn haben würde, wollte die Kommission das Risiko streuen. Warum zu welchem Zeitpunkt welche Mengen bei bestimmten Firmen bestellt wurden, ist aber nicht transparent – die Verträge sind geheim.

Unter der Hand ist in Brüssel zu hören: Biontech und Moderna waren für einige EU-Staaten zunächst nicht erste Wahl, wegen der neuartigen Technologie und wegen der Preise. Auch diese sind ein Geheimnis, doch gab eine belgische Staatssekretärin kürzlich auf Twitter zeitweise Einblick: So koste eine Dosis Impfstoff von Moderna umgerechnet rund 15 Euro, von Biontech/Pfizer 12 Euro, von Astra-Zeneca nur 1,78 Euro.

Hat die EU auf die falschen Impfstoffe gesetzt?
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach kritisiert, dass Europa nur wenig von dem Moderna-Impfstoff gekauft hat, nämlich 160 Millionen Dosen. „Schon sehr früh war klar, dass der Moderna-Impfstoff sehr stark wirkt und in Hausarztpraxen verwendet werden könnte“, sagte Lauterbach der „Rheinischen Post“.

Wegen der geringen Menge werde der Moderna-Impfstoff wohl keine große Rolle spielen. Mit Astra-Zeneca vereinbarte die EU-Kommission hingegen schon im August den Kauf von bis zu 400 Millionen Dosen und hoffte auf Lieferung vor Jahresende. Dann gab es in Tests Rückschläge. In Großbritannien hat der sogenannte Oxford-Impfstoff nun die Notfallzulassung geschafft. In der EU könnte das Mittel einige Wochen nach Moderna möglicherweise als nächstes auf den Markt kommen.

Kann die EU noch mehr von Biontech bekommen?
Voraussichtlich ja. Man sei „in fortgeschrittenen Diskussionen“ über zusätzliche Lieferungen, sagte Biontech-Chef Ugur Sahin an Neujahr der Deutschen Presse-Agentur. Also mehr als die bestellten 300 Millionen Dosen. Man arbeite mit der EU am Ausbau der Produktionskapazitäten.

Im „Spiegel“ wies er auf Schwierigkeiten hin: „Aber es ist ja nicht so, als stünden überall in der Welt spezialisierte Fabriken ungenutzt herum, die von heute auf morgen Impfstoff in der nötigen Qualität herstellen könnten.“ Erst Ende Januar werde klar sein, ob und wieviel zusätzlich produziert werden könne.

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Wann wird genug Impfstoff für alle da sein?
„Die Situation wird sich Schritt für Schritt bessern“, verspricht Gesundheitskommissarin Kyriakides. Rechnerisch reicht die von der EU bestellte Menge der drei Mittel von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca – insgesamt 860 Millionen Dosen – für alle erwarteten Impfungen in Europa: 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit jeweils zwei Spritzen. Sobald alle drei die EU-Zulassung haben, dürfte der Nachschub in Schwung kommen. Dennoch wird die Impfkampagne Monate dauern, weil nur in Etappen geliefert wird.

Warum setzt Deutschland auf Beschaffung über die EU und kauft nicht selbst ein?
Gesundheitsminister Spahn betont, dass Deutschland bewusst den europäischen Weg wählte. Ein Wettrennen der 27 um den knappen Impfstoff hätte neuen Zündstoff für die EU bedeutet, und das große Deutschland wäre mit Sicherheit dafür angefeindet worden, kleine und weniger wohlhabende Staaten auszubooten.

„Europa ist vernetzt, und wir kommen am schnellsten gemeinsam aus dieser Krise“, meint Kyriakides. „Daran hat auch Deutschland ein großes Interesse.“ Hinzu kommt die Marktmacht der EU-Kommission. Sie bekommt wegen der großen Mengen gute Preise. Laut Medienberichten sollen die USA für die ersten 100 Millionen Dosen Biontech-Impfstoff 19,50 Dollar pro Stück bezahlt haben, umgerechnet rund 16 Euro. In der EU waren es den belgischen Informationen zufolge 12 Euro.

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