




Schon in jüngster Zeit waren die Umfragen für die Ökopartei mau: Noch Mitte August lagen sie bei etwa 13 Prozent, jetzt erreichen sie nur noch rund zehn Prozent. Sie sind die einzige Partei, die zuletzt solche Verluste hinnehmen musste. Die Grünen wären damit unter ihrem Ergebnis der letzten Bundestagswahl 2009 angekommen. Damals erreichten sie 10,7 Prozent. Zwischenzeitlich ließ die Atomkatastrophe von Fukushima die Sympathiewerte der Umweltpartei auf bis zu 20 Prozent klettern. Und manche träumten davon, keine kleine, sondern bald eine Volkspartei zu sein.
Das Ziel der Grünen, neue Wählergruppen zu erreichen, wirkt zur Bundestagswahl unerreichbar. Damit rückt eine Option auf die Macht in weite Ferne. Das hat zum kleineren Teil mit widrigen Umständen zu tun. Der Wunschkoalitionspartner SPD schwächelt unter 30 Prozent dahin, alle anderen Koalitionen werden von Obergrünen vehement ausgeschlossen.
Industriepolitik: Die Pläne der Grünen
Schwerpunkt Schiene: eine Milliarde Euro pro Jahr mehr. Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn. Straßenbau: Geld fließt nur in Erhalt und ein Autobahn-Kernnetz. Ausbaustopps bei Flughäfen möglich.
Ziel 2030: Strom zu 100 Prozent aus Erneuerbaren. Energieversorgung verstärkt auf lokaler Ebene, Konzerne werden zurückgedrängt. Deutsche Netzgesellschaft koordiniert Stromversorgung. Kohleausstieg bis 2030. Nein zu Fracking und neuem Braunkohletagebau. Industrierabatte werden eingeschränkt.
Grundgesetzänderung für mehr Volksabstimmungen, auch direkte Abstimmung über Großprojekte. Anspruch auf Lärmschutz.
Einführung einer Vermögensabgabe auch auf Betriebsvermögen: Abgabe auf maximal 35 Prozent des Gewinns. Abbau der Subventionen bei Dienstwagen.
Förderung grüner Technologien. Top-Runner-Ansatz: Die besten Effizienzklassen eines Produktes werden zum Standard der Branche.
Vision vom grünen Industriestandort. Wer da nicht reinpasst, hat schlechte Karten, etwa durch höhere Steuern.
Die größten Probleme haben sich die Alternativen mit der Sonnenblume im Parteilogo selbst geschaffen. Da war zunächst das Steuerkonzept, das ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 60.000 Euro schrittweise höhere Belastungen vorsieht. Die Grünen nannten es Ehrlichkeit gegenüber den Wählern, schon vorher zu sagen, dass sie zum Regieren mehr Geld benötigten. Es verschnupfte allerdings die eigene, oft gut verdienende Klientel, die vielleicht häufiger als Anhänger anderer Parteien mehr Geld für die Allgemeinheit zu geben bereit ist. Aber dann bitte doch nicht so viel.
Es ging weiter mit einer leicht künstlichen Empörung über einen Veggie Day. Als ob es keine zwingenderen Probleme gäbe, regten sich Parteigänger anderer Couleur auf, dass fortan das Fleischessen in öffentlichen Kantinen einmal pro Woche „verboten“ werden solle. Blöd nur, dass es einen Veggie Day bereits im Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der CDU, und in etlichen Werkskantinen deutscher Großunternehmen ohne nennenswerte Freiheitsberaubung gibt. Nun gut, so richtig überzeugend kamen die Grünen in der Debatte auch nicht rüber.
Drittes und wirklich großes Problem der Grünen in diesem Wahlkampf ist ihre Sprachlosigkeit, wenn es um eigene Fehler in der Vergangenheit geht. Obergrüne wanden sich und schwiegen vornehmlich, wenn es um Pädophile ging, die die Grünen in den Anfangsjahren zu unterwandern suchten. Mit falsch verstandenem Liberalismus stützten oder propagierten solche Annäherungen von Erwachsenen an Kinder auch Politiker, die heute mitmischen. Als ob es Sex zwischen Erwachsenen und Kindern jemals in gegenseitigem Einverständnis und ohne Abhängigkeit geben könnte. Der Grünen-Fraktionschef im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, erklärte eigene Schilderungen über Annäherungen flugs zur Fiktion. An einer klaren Aufarbeitung und Distanzierung arbeiteten andere jedoch auch kaum mit. So übt sich Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin in Salami-Taktik: Am Wochenende kam heraus, dass er als Student 1981 ein Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) in Göttingen presserechtlich verantwortete. Darin forderte die AGIL offenbar eine strafrechtliche Freistellung von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen, die ohne Anwendung und Androhung von Gewalt zustande kamen.
Jetzt reicht es bei Trittin nur zu dürrem Bedauern. „Wir haben es nicht mal hinterfragt, als wir unser Programm zur Kommunalwahl 1981 erstellt haben“, sagte Trittin der „taz“. „Dies ist auch meine Verantwortung. Und dies sind auch meine Fehler, die ich bedaure.“ Es könne keine Straffreiheit für Missbrauch geben.
Wenn das Wahlergebnis gut ausfällt, haben immer alle gewonnen, fällt es dürftig aus, werden Schuldige gesucht. Dann stehen zuerst die beiden Spitzenkandidaten im Scheinwerferlicht. Jürgen Trittin hat das Steuerkonzept der Grünen langfristig vorbereitet und durchgefochten. Seine Partei hat es allerdings bei mehreren Parteitagen durchgewunken. Doch wird es eine Debatte über diesen Kurs und seinen Verfechter geben. Aber auch für Katrin Göring-Eckardt, die mit Trittin das Spitzenduo bildet, wird es nicht angenehm. Sie galt lange als bürgerlich und der Mitte zugewandt. Doch gelang es ihr nicht so recht, mit dieser Ausrichtung durchzudringen. Zuletzt machte sie sich fast nur noch durch ein starkes soziales Profil bemerkbar.
So richtig froh kann keine Partei mehr wirken im Parteiensystem Deutschlands, in dem inzwischen sechs bis sieben Parteien mit gewisser Aussicht auf Erfolg um den Einzug in die Parlamente buhlen. Doch die Grünen haben sich einiges selbst verbaselt, nachdem sie sich schon einmal als Partei der neuen Bürgerlichkeit, als Partei einer neuen Mitte gefeiert hatten.