Eine Woche vor der Wahl Grüne stecken in selbstgemachtem Tief

Ganz schön ungemütlich ist es für die Grünen in dieser letzten Woche vor der Bundestagswahl und direkt nach der Bayernwahl, wo es nur zu 8,6 Prozent der Stimmen reichte – nach 9,4 Prozent vor fünf Jahren.

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Wie Rot-Grün die Deutschen zwangsbeglücken will
Die Grünen wollen nach der Bundestagswahl einen fleischlosen Tag in Kantinen einführen. Der Vorschlag wabert schon eine ganze Zeit lang durch die Partei und wurde schon mehrmals scharf kritisiert. So verglich beispielsweise der CDU-Politiker Josef Rickfelder im Januar 2013 den "Veggie-Day" in Kantinen und Schulen mit dem Eintopftag der Nationalsozialisten und nannte ihn eine "Gängelung der Bürger", gegen die man sich wehren müsse. Trotzdem wollen die Grünen nach der Bundestagswahl den "Veggie-Tag" einführen, an dem in Kantinen und Mensen ausschließlich vegetarisch und vegan gekocht werden soll. „Ein Veggie Day ist ein wunderbarer Tag zum Ausprobieren, wie wir uns mal ohne Fleisch und Wurst ernähren“, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast. Mit dem Vegetariertag will die Partei den Fleischkonsum der Bundesbürger senken. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Politiker so in das Privatleben der Bürger einmischen (wollen). Quelle: dpa
Auf umweltschädliche Plastiktüten sollte nach Überlegungen in den Reihen der Grünen künftig eine Steuer von 22 Cent erhoben werden. Die Verwendung erdölbasierter Kunststoffe müsse dringend eingeschränkt werden, sagte die umweltpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Dorothea Steiner, der Bild-Zeitung. Quelle: dpa
Auch die Forderung nach einer gesetzlichen Frauenquote kommt von Rot-Grün. Mittlerweile stößt auch die CDU, allen voran Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, ins gleiche Horn. Quelle: dpa
Seit dem 01.08.2013 haben Familien einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für ein- und zweijährige Kinder. Ginge es nach dem Willen von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), müssen alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr in eine Kita gehen. Sie sprach zwar nicht ausdrücklich von einer Kita-Pflicht, sagte aber: "Bisher waren wir uns mit der CDU einig, dass Bildung schon in der Kita beginnen muss. Dann müssen wir aber auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind, statt eine Prämie zu zahlen, damit sie fernbleiben." In der CDU stieß dieser Vorschlag auf harsche Kritik. So hatte sich beispielsweise Familienministerin Kristina Schröder echauffiert: "Wer eine Kita-Pflicht ab dem ersten Geburtstag will, muss ein ziemlich verqueres Menschenbild haben." Quelle: dpa
2012 wollten SPD und Grüne den Autofahrern an den Kragen: Sie wollten aber nicht nur Autobahnraser bremsen, auch in den Innenstädten sollte es beschaulicher zugehen. Sie forderten ein generelles Tempolimit von 30 Stundenkilometern in Städten, um die Straßen sicherer zu machen. "Mit Rot-Grün stünde ganz Deutschland auf der Bremse", schimpfte damals CDU-Politiker Hermann Gröhe. Quelle: dpa/dpaweb
Auch den steuerfreien 450-Jobs soll es nach dem Willen von Rot-Grün an den Kragen gehen. "Alle Verdienste über 100 Euro im Monat sollen steuer- und abgabenpflichtig werden, mit reduzierten Beiträgen für geringe Einkommen", fordert Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. So könne mehr Beschäftigung entstehen. "Die Leute wären besser abgesichert und könnten wieder mehr Rentenansprüche aufbauen." Für Studenten, Hausfrauen und Hartz-IV-Empfänger, die sich mit den Minijobs etwas dazu verdienen, wäre das allerdings ein Schlag ins Gesicht. Quelle: dpa
In Nordrhein-Westfahlen wollte dir rot-grüne Landesregierung die Ladenöffnungszeiten verändern: Geschäfte sollten nur noch maximal 13 mal im Jahr Sonntags geöffnet haben dürfen. Außerdem plante Rot-Grün ein Verkaufsverbot an Samstagen ab 22 Uhr. Quelle: AP

Schon in jüngster Zeit waren die Umfragen für die Ökopartei mau:  Noch Mitte August lagen sie bei etwa 13 Prozent, jetzt erreichen sie nur noch rund zehn Prozent. Sie sind  die einzige Partei, die zuletzt solche Verluste hinnehmen musste. Die Grünen wären damit unter ihrem Ergebnis der letzten Bundestagswahl 2009 angekommen. Damals erreichten sie 10,7 Prozent. Zwischenzeitlich ließ die Atomkatastrophe von Fukushima die Sympathiewerte der Umweltpartei auf bis zu 20 Prozent klettern. Und manche träumten davon, keine kleine, sondern bald eine Volkspartei zu sein. 

Das Ziel der Grünen, neue Wählergruppen zu erreichen, wirkt zur Bundestagswahl unerreichbar. Damit rückt eine Option auf die Macht in weite Ferne. Das hat zum kleineren Teil mit widrigen Umständen zu tun. Der Wunschkoalitionspartner SPD schwächelt unter 30 Prozent dahin, alle anderen Koalitionen werden von Obergrünen vehement ausgeschlossen.

Industriepolitik: Die Pläne der Grünen

Die größten Probleme haben sich die Alternativen mit der Sonnenblume im Parteilogo selbst geschaffen. Da war zunächst das Steuerkonzept, das ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 60.000 Euro schrittweise höhere Belastungen vorsieht. Die Grünen nannten es Ehrlichkeit gegenüber den Wählern, schon vorher zu sagen, dass sie zum Regieren mehr Geld benötigten. Es verschnupfte allerdings die eigene, oft gut verdienende Klientel, die vielleicht häufiger als Anhänger anderer Parteien mehr Geld für die Allgemeinheit zu geben bereit ist. Aber dann bitte doch nicht so viel.

Es ging weiter mit einer leicht künstlichen Empörung über einen Veggie Day. Als ob es keine zwingenderen Probleme gäbe, regten sich Parteigänger anderer Couleur auf, dass fortan das Fleischessen in öffentlichen Kantinen einmal pro Woche „verboten“ werden solle. Blöd nur, dass es einen Veggie Day bereits im Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der CDU, und in etlichen Werkskantinen deutscher Großunternehmen ohne nennenswerte Freiheitsberaubung gibt. Nun gut, so richtig überzeugend kamen die Grünen in der Debatte auch nicht rüber.

Drittes und wirklich großes Problem der Grünen in diesem Wahlkampf ist ihre Sprachlosigkeit, wenn es um eigene Fehler in der Vergangenheit geht. Obergrüne wanden sich und schwiegen vornehmlich, wenn es um Pädophile ging, die die Grünen in den Anfangsjahren zu unterwandern suchten. Mit falsch verstandenem Liberalismus stützten oder propagierten solche Annäherungen von Erwachsenen an Kinder auch Politiker, die heute mitmischen. Als ob es Sex zwischen Erwachsenen und Kindern jemals in gegenseitigem Einverständnis und ohne Abhängigkeit geben könnte. Der Grünen-Fraktionschef im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, erklärte eigene Schilderungen über Annäherungen flugs zur Fiktion. An einer klaren Aufarbeitung und Distanzierung arbeiteten andere jedoch auch kaum mit. So übt sich Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin in Salami-Taktik: Am Wochenende kam heraus, dass er als Student 1981 ein Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) in Göttingen presserechtlich verantwortete. Darin forderte die AGIL offenbar eine strafrechtliche Freistellung von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen, die ohne Anwendung und Androhung von Gewalt zustande kamen.

Jetzt reicht es bei Trittin nur zu dürrem Bedauern. „Wir haben es nicht mal hinterfragt, als wir unser Programm zur Kommunalwahl 1981 erstellt haben“, sagte Trittin der „taz“. „Dies ist auch meine Verantwortung. Und dies sind auch meine Fehler, die ich bedaure.“ Es könne keine Straffreiheit für Missbrauch geben.

Wenn das Wahlergebnis gut ausfällt, haben immer alle gewonnen, fällt es dürftig aus, werden Schuldige gesucht. Dann stehen zuerst die beiden Spitzenkandidaten im Scheinwerferlicht. Jürgen Trittin hat das Steuerkonzept der Grünen langfristig vorbereitet und durchgefochten. Seine Partei hat es allerdings bei mehreren Parteitagen durchgewunken. Doch wird es eine Debatte über diesen Kurs und seinen Verfechter geben. Aber auch für Katrin Göring-Eckardt, die mit Trittin das Spitzenduo bildet, wird es nicht angenehm. Sie galt lange als bürgerlich und der Mitte zugewandt. Doch gelang es ihr nicht so recht, mit dieser Ausrichtung durchzudringen. Zuletzt machte sie sich fast nur noch durch ein starkes soziales Profil bemerkbar.

So richtig froh kann keine Partei mehr wirken im Parteiensystem Deutschlands, in dem inzwischen sechs bis sieben Parteien mit gewisser Aussicht auf Erfolg um den Einzug in die Parlamente buhlen. Doch die Grünen haben sich einiges selbst verbaselt, nachdem sie sich schon einmal als Partei der neuen Bürgerlichkeit, als Partei einer neuen Mitte gefeiert hatten.

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