Einkommen in Deutschland Die Reichen werden immer reicher

Sprengstoff für die Politik: Seit der Wiedervereinigung steigern die oberen zehn Prozent ihren Anteil am Volkseinkommen stetig, zeigt eine DIW-Studie. Immer weniger vom Wohlstand bekommt die ärmere Bevölkerungshälfte.

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Seit den 1980er-Jahren hat die Ungleichheit zwischen Reich und Arm weltweit zugenommen. Quelle: dpa

Berlin Die Reichsten sichern sich seit der Wiedervereinigung einen wachsenden Anteil am Volkseinkommen in Deutschland. Dazu haben die Steuerreformen seit dem Jahr 2000 beigetragen, von denen vor allem Spitzeneinkommen profitierten.  Der Anteil der ärmeren Bevölkerungshälfte am Wohlstand sank dagegen. Zu diesem Ergebnis kommt die DIW-Ökonomin Charlotte Bartels, die den Deutschland-Teil des „Weltreports der Ungleichheit 2018“ der Forschergruppe um den französischen Ökonomen Thomas Piketty geschrieben hat. Die Ergebnisse hat das DIW an diesem Dienstag veröffentlicht.

Mit dem Weltreport unterfüttern die internationalen Forscher die These „Die Reichen werden reicher, die Armen immer ärmer“, mit der Piketty mit seinem Buch „Kapital im 21. Jahrhundert“ vor drei Jahren weltberühmt wurde. Das Ergebnis: Die Ungleichheit zwischen Reich und Arm hat seit den 1980er-Jahren weltweit zugenommen. Überall sichert sich das reichste eine Prozent einen großen Teil des Nationaleinkommens. Der ärmere Teil der Bevölkerung profitiert zwar auch vom Wachstum; aber bei der Verteilung des Wohlstandsgewinns fällt er immer weiter zurück – auch in Deutschland. Die reichsten zehn Prozent besitzen inzwischen wieder 40 Prozent des Nationaleinkommens – wie schon 1913. Der Anteil der ärmsten 50 Prozent am Nationaleinkommen halbierte sich dagegen von einem Drittel in den 1960er-Jahren auf nur mehr 17 Prozent. In Europa zählt Deutschland damit zu den Ländern mit hoher Ungleichheit.

Für den Ungleichheitsbericht wurden wahre Datenberge analysiert: 100 Forscher haben weltweit Statistiken über das Bruttoinlandsprodukt, Haushaltseinkommen, Einkommensteuern, Reichtums-Rankings und Sozialstudien seit Beginn des 20. Jahrhunderts zusammengetragen.

Die Stärke des Reports ist die erstmalige Auswertung riesiger Datenmengen aus den Einkommensstatistiken. In Deutschland wurden sie bereits seit der Reichsgründung 1871 akribisch geführt. Die große Schwäche allerdings ist, dass sich alle Zahlen auf Bruttoeinkommen vor Steuern und Transferzahlungen beziehen: Sozialhilfeempfänger gehen deshalb mit einem Einkommen von Null Euro in die Wertung ein; ihre Sozialhilfeeinkünfte werden ignoriert. Steuersenkungen, von denen hohe Einkommen immer stärker profitieren, gehen dagegen in die Wertung ein. Wenn man Nettoeinkommen vergleichen würde, dürfte das Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich deshalb weit weniger stark ausfallen, als es der Report über die Bruttoeinkommen zeigt.

Die Tendenz zur Spaltung bei der Verteilung des Wohlstands bildet der Report gleichwohl ab. So waren seit den 1980er-Jahren die akademischen Angestellten große Gewinner bei der Wohlstandsverteilung: Anwälte, Manager und Ärzte etablierten sich als die oberen zehn Prozent. „Die wirklich hohen Spitzeneinkommen bleiben allerdings bis heute Unternehmenseignern vorbehalten“, so Bartels. Seit den 1970er-Jahren legten die Anteile der Vermögenseinkommen gegenüber den Arbeitseinkommen zu; von 33 Prozent in den 1970er-Jahren auf 40 Prozent 2013.

DIW-Ökonomin Bartels widerspricht auf Basis der Daten auch der These von einer Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg: Zerstört gewesen sei weniger der Kapitalstock der Firmen als vor allem Wohngebäude und die Infrastruktur. Sobald der Wiederaufbau begann, legten deshalb in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre die Unternehmereinkünfte weitaus stärker zu als die Arbeitnehmereinkommen. Erst in den 1960er-Jahren setzte der Wohlstand stärker für alle ein, als die Gewerkschaften begannen, in Zeiten der Vollbeschäftigung Lohnerhöhungen durchzusetzen.

Auch die Vorstellung, dass die Nazis eine Art sozialistische Politik verfolgt hätten, widerlegt Bartels: „In den ersten Jahren unter Hitler stiegen die Spitzeneinkommen rasant an“, stellt sie fest. Der Anteil des reichsten einen Prozents am Volkseinkommen stieg von elf Prozent im Jahr 1933 auf 17 Prozent im Jahr 1938 – „was kaum zur anfänglichen Anti-Kapitalismus-Propaganda der Nationalsozialisten passt“, so Bartels. Große Firmen mit Beziehungen zu den Nazis profitierten demnach nachweislich stark vom Aufschwung durch Autobahnbau und Aufrüstung.

Die neue Kluft zwischen Arm und Reich seit der Wiedervereinigung entwickelte sich vor allem in der Zeit seit dem Jahr 2000. Davor war der Anteil der Spitzenverdiener am Volkseinkommen zunächst gefallen, weil anfangs kaum ein Ostdeutscher ein hohes Einkommen erzielte. Obwohl sich seit 2005 der Arbeitsmarkt in Deutschland gut entwickelt hat, nahm die Spaltung bis 2013 zu: Der neue Niedriglohnsektor führte dazu, dass die ärmste Hälfte der Bevölkerung einen geringeren Anteil am Volkseinkommen hat als davor. Trotzdem ist ihr 17-Prozent-Anteil in absoluten Geldbeträgen heute höher als in den 1970er-Jahren: Der Lebensstandard, betont Bartels, liegt auch für sie heute deutlich höher als damals.

Im Weltreport empfehlen die Forscher, gegen das Auseinanderdriften von Arm und Reich ein stark progressives Steuersystem, also die Umkehr jener Steuerreformen, die seit den 1980er-Jahren in Westeuropa und den USA zu niedrigeren Spitzensteuersätzen geführt haben. Für Deutschland verlangt Bartels zusätzlich, dass untere Einkommensgruppen an der Unternehmensrendite stärker teilhaben müssten.   

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