Einwanderung im Zeitalter des Smartphones Der größte Schatz der Flüchtlinge

Für Einwanderer ist das Smartphone existentiell. Ohne die Geräte und ständigen Internetzugang wären viele von ihnen wohl nicht hier. Viele Anbieter haben sich auf Einwanderer spezialisiert, Vorschriften zur Ausweispflicht werden kaum durchgesetzt.

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Wenig telefonieren, viel chatten: Flüchtlinge mit ihren Smartphones. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der Anblick ist vor allen Flüchtlingsunterkünften ähnlich: Junge Männer, vertieft in die Beschäftigung mit ihren Smartphones. Schweigend tippen auch die drei vor der Unterkunft in der Berger Allee in Düsseldorf auf ihren Geräten herum. Als ich Nadim anspreche, scheint er aber doch froh zu sein über die Gelegenheit, mal analog zu kommunizieren. Auch die anderen beiden hören unserem Gespräch zu.

Do you speak English? – Hmm, besser Deutsch – Wo hast Du Deutsch gelernt? – Alles mit meinem Handy, sagt Nadim und zeigt mir eine Sprachlern-App. Wo kommst Du her? Syrien? – Nein, Iran, Isfahan – Ach, da war ich vor zwölf Jahren. Ist schön dort – Deutschland ist schöner – Warum bist Du ausgerechnet nach Deutschland gekommen? – Der deutsche Pass ist der wertvollste der Welt – Wie kommst Du denn da drauf? – Im Internet gelesen, sagt Nadim und zeigt wieder auf sein Smartphone.

In einer Hinsicht zumindest sind die vielen Hunderttausend jungen Menschen, die in den vergangenen Monaten nach Deutschland einwanderten, schon ganz und gar integriert. Die ununterbrochene Nutzung des Smartphones gehört für sie mindestens so sehr zum Alltag wie für junge Einheimische.

Das Smartphone und der dadurch ermöglichte allzeitige Internetzugang sind für Menschen wie Nadim noch wertvoller und wichtiger als für deutsche Altersgenossen. Es ist längst nicht nur Luxus oder Unterhaltungselektronik, sondern ein existentiell wichtiger Besitz.

Nicht einer ohne Smartphone

Ohne Smartphone wären Nadim und andere Menschen aus Afrika und Vorderasien vielleicht auch gar nicht hier angekommen – zumindest nicht so schnell und nicht in so großer Zahl. Das Smartphone ist die notwendige Grundausstattung für den modernen Flüchtling oder illegalen Einwanderer. „Ohne ein GPS-fähiges Gerät können sie kaum nach Europa gelangen. Die Menschen haben unterwegs meist keine reale Vorstellung, wo sie sich befinden“, berichtet Rudolph Jula. Er hat als Fotograph und Reiseschriftsteller im vergangenen Jahr den Aufbruch Tausender Syrer aus der Türkei vor Ort miterlebt und sie bis nach Deutschland begleitet. „Ich habe keinen einzigen gesehen, der kein Smartphone hatte.“

Jula hat, wie er in der September-Ausgabe des Magazins „Cicero“ berichtet, selbst erlebt, wie die Nachrichten von Angela Merkels Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, sich innerhalb kürzester Zeit auf den kleinen Bildschirmen der Syrer in den Cafés von Gaziantep und anderen Orten des syrisch-türkischen Grenzgebiets verbreiteten – und als Signal zum Aufbruch in ein besseres Leben in Deutschland wahrgenommen wurden. Diejenigen, die am Ziel – also meist Deutschland – angekommen waren, bestätigten den noch nicht Aufgebrochenen elektronisch, dass sie wirklich problemlos durchkamen. Dass sich schließlich auch immer mehr nicht-syrische Einwanderungswillige wie Nadim aus dem Iran dem Zug anschlossen, konnte da nicht ausbleiben. Auch unter ihnen verbreitete sich die Nachricht von der neuen Offenheit Deutschlands in Windeseile - über Smartphones.

Die Massenmigration des Jahres 2015 war ein Mobilfunk-Phänomen, das vor 25 Jahren, in der Vor-Handy-Epoche nicht ihn gleicher Dynamik vorstellbar gewesen wäre.

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