Neues Einwanderungsgesetz „Wenn Asylbewerber jetzt arbeiten dürfen, bringt das Vorteile für beide Seiten“

Bisher funktioniert die Anwerbung von ausländischen Fachkräften höchstens mittelmäßig. Quelle: imago images

Migrationsexperte Herbert Brücker über die guten und weniger guten Seiten des neuen Einwanderungsgesetzes – und über das Vorurteil, dass die Ampel die Tore vor allem für schlecht Qualifizierte öffnet.

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WirtschaftsWoche: Herr Brücker, die Bundesregierung will mit der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes den Zugang für Menschen aus Nicht-EU-Staaten zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Das Gesetz wird heute im Bundestag verabschiedet. Ein sinnvoller Vorstoß?
Herbert Brücker: Es ist gut, dass das Gesetz kommt. Es enthält eine Reihe innovativer Ideen. Ich bin aber besorgt, ob es die notwendigen quantitativen Wirkungen in der Praxis erzielen wird. In vielen Bereichen ist es leider noch sehr restriktiv.

Geben Sie ein Beispiel.
Die meiner Meinung nach wichtigste Veränderung: Ausländische Fachkräfte sollen künftig in nicht-reglementierten Berufen auch dann arbeiten dürfen, wenn ihre Abschlüsse nicht durch eine deutsche Stelle als gleichwertig anerkannt wurden. Also zum Beispiel als Kfz-Mechatroniker oder Bäcker. Dafür sind ein im Herkunftsland staatlich anerkannter Berufsabschluss mit mindestens zweijähriger Ausbildungsdauer sowie mindestens zwei Jahre einschlägige Berufserfahrung im Herkunftsland nötig.

Klingt noch recht fortschrittlich.
Es gibt aber eine wichtige Einschränkung: Das Mindestgehalt muss über 45 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung liegen. Das ist leider viel zu hoch. Weniger als ein Viertel der Fachkräfte in Deutschland erreicht ein solches Gehalt zu Beginn des Berufslebens. Zwar kann bei Tarifbindung davon abgewichen werden, die Mehrheit der Unternehmen und Beschäftigten werden aber dennoch ausgeschlossen. Gerade Migrantinnen und Migranten arbeiten in kleinen Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind. Diese Regelung wird in der Praxis darum nur eine Minderheit der qualifizierten Fachkräfte aus dem Ausland erreichen.

Quelle: IAB

Zur Person

Das Gesetz sieht auch eine Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems vor. Kanada gilt dafür als Vorbild. Für die Berechnung spielen Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug eine Rolle. Mit ihr haben qualifizierte Ausländer ein Jahr Zeit, um in Deutschland einen Arbeitsplatz zu finden. Eine gute Idee?
Es gibt einen wichtigen Unterschied zum Modell in Kanada. Dort erhalten die Menschen eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, wenn sie genug Punkte erreichen. In Deutschland berechtigt es zunächst nur zur Arbeitssuche und einer Nebenbeschäftigung von 20 Wochenstunden. Das ist nicht sehr attraktiv. Die meisten Menschen aus dem Ausland suchen Arbeit über ein Touristenvisum oder das Internet. Die Regierungsfraktionen haben in letzter Minute die Regelung erweitert: Wer einen Job auf Fachkraftniveau findet, darf weitere zwei Jahre in Deutschland bleiben. Allerdings müssen dann wieder die sehr hohen Mindestgehälter erreicht werden. Alles in allem eine sinnvolle Erweiterung, aber sehr kompliziert und riskant.

Die Ampel hat letztlich doch noch Änderungen am Vorschlag der Regierung umgesetzt. Unter anderem soll es die Möglichkeit eines sogenannten „Spurwechsels“ geben. Mit ihm sollen Asylbewerber, die vor Ende März in einem Asylverfahren waren, bei entsprechender Qualifikation hierzulande arbeiten dürfen. Welche Vor- und Nachteile ergeben sich daraus?
Der Spurwechsel hat Vorteile für beide Seiten: Die Asylbewerberinnen und Asylbewerber erhalten, wenn sie einen Job finden, der die Kriterien des Gesetzes erfüllt, ein Aufenthaltsrecht und damit einen gesicherten Rechtsstatus. Der deutsche Sozialstaat muss keine Transferleistungen bezahlen und die Volkswirtschaft profitiert von der Ausweitung des Arbeitsangebots. 

Kritiker sagen, das schaffe Anreize, das Asylsystem für die Arbeitsmigration zu nutzen.
Deswegen gibt es eine Stichtagsregelung: Wer heute kommt, kann diese Regelung nicht nutzen. Ob in fünf oder zehn Jahren wieder eine solche Regelung kommt, kann niemand und schon gar nicht die Asylbewerberinnen und Asylbewerber vorhersagen. Darum gibt es empirisch meines Wissens keinerlei Evidenz, dass Stichtagsregelungen zu einer Ausweitung der Asylmigration führen.

Eine weitere Änderung betrifft die Gehaltsschwelle für Menschen, die über die „Blaue Karte EU“ nach Deutschland kommen. Sie soll von 58.400 auf 43.800 Euro abgesenkt werden. Zu viel?
Nein. Die Blaue Karte EU ist für hochqualifizierte Arbeitskräfte gedacht, also Akademikerinnen und Akademiker und technische Spezialistinnen und Spezialisten. Deren mittlere Einstiegsgehälter liegen etwa auf dem Niveau der neuen Gehaltsschwellen. Das erscheint mir angemessen und sinnvoll. 

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Traut man sich insgesamt beim Gesetz zu wenig?
Ja, denn das große Problem ist: Das Gesetz ist nicht leicht zu durchschauen. Es hält grundsätzlich am System der Steuerung durch Mindestkriterien, die alle erfüllt werden müssen, fest. Daneben wurden aber durch Sonder- und Ausnahmeregelungen neue Wege geöffnet. Etwa der Verzicht auf die Anerkennung von Abschlüssen, wenn ein hohes Gehalt vorliegt. Oder die Chancenkarte, mit der ein zweiter Einwanderungsweg über ein Punktesystem geöffnet wurde. Ich habe Zweifel, ob das im Ausland verstanden wird. Vieles wird davon abhängen, wie die Änderungen international kommuniziert werden.

Gibt es auch positive Aspekte?
Ja. Im Grundsatz wird erstmals systematisch ein neuer Weg geöffnet, bei dem auf die Anerkennung der Abschlüsse verzichtet wird oder mit der Chancenkarte eine zweite, angebotsorientierte Säule in unserem Rechtssystem verankert. Auch wenn das noch nicht konsequent umgesetzt wurde, öffnet es den Weg für weitere Reformen. Auch werden wir viel über die Wirkungen der Reform lernen. Und dann gibt es noch die Westbalkanregelung. Sie soll entfristet und das Kontingent verdoppelt werden. Dadurch können jährlich bis zu 50.000 Menschen aus den Westbalkanstaaten für jede Beschäftigung nach Deutschland einreisen, ohne berufliche Qualifikationen nachzuweisen. Das ist vernünftig und bringt quantitativ vielleicht sogar mehr als die anderen Schritte – insbesondere, wenn sie auf andere Länder erweitert wird.

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Bisher funktioniert die Anwerbung von ausländischen Fachkräften höchstens mittelmäßig. Dabei müsste sich dringend etwas ändern. Experten schätzen, dass es pro Jahr mindestens 400.000 Zuwanderer in den Arbeitsmarkt braucht, um den Wohlstand in Deutschland zu halten. Warum tut man sich bisher so schwer?
Neben den gesetzlichen Regelungen sind der Verwaltungsaufwand und die Bürokratie das zentrale Hemmnis für die Einwanderung. Die Vielzahl der Zuzugswege nach Deutschland sind mit vielen Auflagen verbunden und erfordern jeweils einen hohen Prüfaufwand. Zudem sind die Auslandsvertretungen unterbesetzt. Häufig dauert es sechs bis zwölf Monate, bis ein Visum ausgestellt wird. Wenn ich als Unternehmen eine offene Stelle habe, warte ich aber nicht ein Jahr, um sie zu besetzen. 

Was wäre eine wünschenswerte Dauer?
Länger als drei Monate darf der gesamte Verwaltungsaufwand ab dem Jobinterview bis zum Arbeitseintritt der Bewerberin oder des Bewerbers meiner Meinung nach nicht dauern. Daran müssen sich die Verwaltungsprozesse orientieren.

Kritik kommt vonseiten der Unionsfraktion. Man befürchte, dass durch das neue Gesetz nur Minderqualifizierte angezogen werden. Stimmt das?
Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Im Gesetz geht es fast ausschließlich um ausländische Fachkräfte. Sie müssen staatlich anerkannte Berufs- oder Hochschulabschlüsse nachweisen. Dort, wo auf die Gleichwertigkeits- oder Vergleichbarkeitsprüfung verzichtet wird, braucht es Arbeitsverträge mit hohen Gehältern. Es gibt drei Ausnahmen: als Erstes die Westbalkanregelung. Und die funktioniert blendend. Die Erwerbslosigkeit bei den hierdurch Zugewanderten liegt bei zwei bis drei Prozent, gut 60 Prozent arbeiten als Fachkräfte und über zwei Drittel haben eine qualifizierte Ausbildung. Zweitens: Pflegehilfskräfte. Sie besitzen in der Regel eine hervorragende Ausbildung, die nur bei uns nicht anerkannt ist.

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Und drittens?
Es werden branchenspezifische Regelungen für Saisonarbeitskräfte verallgemeinert. Auch diese Arbeitskräfte werden dringend gesucht. Dennoch: Im Kern geht es bei dem Gesetzesvorhaben um Qualifizierte und Hochqualifizierte. Von Minderqualifizierten kann bei näherer Beschäftigung mit dem Gesetz keine Rede sein.

Transparenzhinweis: Dieses Interview wurde erstmals am 3. Juni publiziert und zur Verabschiedung des Gesetzes am Freitag, 23. Juni 2023 ergänzt und aktualisiert.

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