Der Hafen ist der Stolz der Hamburger: Die dicken Pötte an den Kaianlagen stehen für den gefühlten Status als Weltstadt. Doch die jahrhundertealte Rolle als Welthafen ist in Gefahr: Die jüngste Generation der Containerschiffe läuft auf den 100 Elb-Kilometern von der Mündung bis zum Hafen nur dann nicht auf Grund, wenn sie nicht voll beladen ist. Deshalb liegen Pläne, die Elbe zum neunten Mal seit 1818 tiefer zu baggern, längst in den Schubladen der Hamburger Wasserbauer. Doch es geht nicht voran.
Am Anfang des Streits steht ausgerechnet das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz. Das Regelwerk sollte 2007 dazu beitragen, dass die frisch ausgearbeiteten Pläne für die Vertiefung der Elbe schnell umgesetzt werden könnten. Knapp zehn Jahre später gibt es zwar noch größere Schiffe – aber die Elbe ist noch immer nicht ausgebaggert. Ab diesem Montag befasst sich das Bundesverwaltungsgericht drei Tage lang erneut mit den Plänen. Ein endgültiges Urteil am Mittwoch ist zumindest nicht ausgeschlossen.
Die Elbvertiefung ist längst ein Musterbeispiel für die jahrelangen Verzögerungen des Infrastruktur-Ausbaus durch das komplizierte Umweltrecht. Im Fall der Elbvertiefung arbeiten die Bundesrichter an einem Präzedenzfall – unter Einbeziehung des Europäischen Gerichtshofes.
Das angestrebte juristische Meisterwerk kostet viel Zeit: Seit 2012 liegt die Klage der Umweltverbände WWF, Nabu und BUND gegen Hansestadt und Bund in Leipzig vor. „Wir können unserer asiatischen Kunden kaum begreiflich machen, wieso das so lange dauert“, heißt es etwa beim Terminalbetreiber HHLA. Wie bei etlichen Autobahn- und Schienenprojekten geht es viel um einzelne Tiere und Pflanzen: Im Falle der Elbe spielen der Schierlings-Fenchel und die Finte wichtige Rollen. Zieht sich der Fall noch lange hin, könnten Reeder deshalb für die volumenstarken Asien-Fahrten auf andere Häfen wie Rotterdam oder den unterausgelasteten Tiefwasserhafen Wilhelmshaven ausweichen, warnt Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos).
Die Umweltschützer fordern genau das. „Ohne eine Elbvertiefung wird eine Kooperation der nordeuropäischen Häfen möglich“, sagte BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch. Sie wollen, dass Hamburgs Hafen nur noch eine regionale Rolle spielt.
Das Leipziger Gericht wird wohl seinen größten Sitzungssaal nutzen müssen: Angesagt haben sich als Beobachter Vertreter zahlreicher Reeder, Vertreter von Hafenarbeitern, Hamburger Politik-Prominenz und die Geschäftsführer der Umweltverbände. Letztere klagen gegen Bund und Hansestadt, die allein mit einem 25-köpfigen Team anreist, am Mittwoch kommt der zuständige Senator selbst vorbei.
Marktanteile der größten 10 Container-Reedereien
Die United Arab Shipping Company (UASC) zählt mit einem Marktanteil von 2,5 Prozent zu den zehn größten Reedereien der Welt.
Quelle: Statista, Stand: 14. März 2017
Die Hongkonger Reederei Orient Overseas Container Line (OOCL) kommt auf einen Marktanteil von 2,8 Prozent.
Auf Platz acht landet die Hamburg Süd Group, die ebenfalls auf einen Marktanteil von (gerundet) 2,8 Prozent kommt.
Auch das chinesische Transportunternehmen - Yang Ming Marine Transport Corporation - gehört zu den größten Container-Reedereien der Welt. Aufgerundet liegt der Marktanteil ebenfalls bei gerundet 2,8 Prozent.
Ein weiteres deutsches Transport- und Logistikunternehmen ist durch die Hapag-Lloyd AG mit Sitz in Hamburg in den Top 10 vertreten. Mit einem Marktanteil von 4,8 Prozent ist Hapag-Lloyd die sechstgrößte Container-Reederei der Welt.
Die Liniendienste der Reederei Evergreen Marine landen mit einem Marktanteil von (gerundet) 4,8 Prozent auf Rang fünf.
Bei einem Marktanteil von rund 8 Prozent ist die chinesische Reederei COSCO die viertgrößte der Welt.
Der Marktanteil des französischen Schifffahrts- und Logistikunternehmens CMA CGM Group liegt bei stolzen 10,3 Prozent.
Noch etwas besser ist es um die Mediterranean Shipping Company (MSC) bestellt, die in Genf sitzt. Bei einem Marktanteil von 14,3 Prozent ist sie zurzeit die zweitgrößte Reederei der Welt.
Die dänischen Containerschiffsreederei A. P. Moller-Maersk landet auf der Spitzenposition. Ihr Marktanteil ist bei 15,9 Prozent unübertroffen.
Dabei geht es um die Frage, ob sich die Wasserqualität in der Elbe durch die angedachte Vertiefung wesentlich verschlechtert – und ob seltene Pflanzen und Tiere gefährdet werden. Kompliziert ist das auch wegen der seit 2000 geltenden EU-Richtlinie zum Gewässerschutz. Danach sind die Staaten verpflichtet, alle Oberflächengewässer zu verbessern. Verschlechterungen sind ausdrücklich untersagt – es sei denn, das Gemeinwohl überwiegt.
Die EU-Richtlinie ist unklar formuliert
Es geht um einiges: Die Fahrrinne in der Elbe soll sowohl breiter als auch tiefer werden. Denn große Schüttgutschiffe verstopfen bislang die Elbe, weil sie bislang nicht aneinander vorbei passen. Schwer beladene große Containerschiffe können den Hafen nur innerhalb eines Zeitfensters von 30 Minuten verlassen, wenn die Flut am höchsten steht. Zudem müssen Container-Riesen zunächst einen Teil ihrer Ladung in Rotterdam löschen, bevor sie die Elbe hinauffahren können.
Anschließend werden sie neu beladen – allerdings wieder nur halb voll, um dann in Rotterdam weitere Ladung aufzunehmen, bevor sie nach Asien weiterfahren. Nach der Elbvertiefung könnten sie komplett in Hamburg beladen werden – und der Marktanteil des Hamburger Hafens wieder steigen. Der Nutzen ist also klar – zumindest für die Hafenwirtschaft.
Das Gericht hat deshalb jetzt zu prüfen, ob der Beschluss der Verwaltung zur Vertiefung korrekt ist. Und obwohl es – anders als bei der im August von den Leipziger Richtern wegen planerischer Fehler abgeschmetterten Weservertiefung – im Grunde gut aussieht für die Genehmigungsbehörden, zieht sich der Prozess. Offiziell verbreitet Wirtschaftssenator Horch Optimismus: Ein Scheitern der Vertiefung sei ausgeschlossen, es gehe nur noch um das Wann.
Der Politiker schreibt sich eine umfangreiche Bürgerbeteiligung in 142 Gemeinden von Hamburger Festsälen bis zu Cuxhavener Kneipen-Hinterzimmern zugute – eine Lehre auch aus Stuttgart 21. Tatsächlich sind die anfänglichen Bürgerproteste nach drei Plan-Nachbesserungen fast verstummt.
Die Hafenwirtschaft sieht bei dem Großprojekt sogar einen Umweltnutzen: Weil der Hamburger Hafen nah an den osteuropäischen Märkten und recht weit im Inland liegt, spart der Seetransport bis Hamburg etliche Straßen- oder Schienenkilometer. Und die Schiffe verbrauchen viel weniger Erdöl je Containerkilometer. Zudem hängen viele Jobs in Logistik und Industrie mittelbar am Hamburger Hafen-Cluster.
Das Problem für die Leipziger Richter: Die EU-Richtlinie ist unklar formuliert. Aus dem rund 70 Seiten langen Text geht nicht eindeutig hervor, wann ein Gewässer als relevant verschlechtert gilt. Das kostete in der Frage der Elbvertiefung – und der Weservertiefung – viel Zeit: Schließlich mussten die Leipziger Richter den Europäischen Gerichtshof um eine Klarstellung bitten. Das Ergebnis fiel strenger aus, als die Hamburger Planer erwartet hatten – aber weniger streng, als von den Umweltverbänden erhofft.
Die Planer hatten gehofft, in einem sowieso schon belasteten Gewässer viel Spielraum zu haben. Die Umweltverbände wollten hingegen jegliche Minimal-Verschlechterung untersagt wissen. Herausgekommen ist, dass eine differenzierte Betrachtung nach fünf Kategorien – etwa biologischer oder chemischer Zustand – nötig ist, die sich jeweils nicht um eine definierte Qualitätsstufe verschlechtern dürfen. Leichte Verschlechterungen innerhalb einer Qualitätsstufe sind laut EuGH jedoch akzeptabel.
Mit neuen Untersuchungen wollen die Planer nachweisen, dass es tatsächlich keine Verschlechterung um eine Qualitätsstufe gibt – in keiner Kategorie. Damit wäre die Baumaßnahme nach Maßgabe des EuGH erlaubt. Der Anwalt der Umweltverbände, Rüdiger Nebelsiek, will dagegenhalten: Er will erneut Zweifel an wichtigen Grundannahmen der Planer wecken – und an Details.
Baumaßnahme soll schneller sein als die Planung
Sollte er damit in der Verhandlung durchkommen, will das Team der Ausbau-Befürworter direkt reagieren. In diesem Fall wollen die Planer blitzschnell Gemeinwohlkriterien präsentieren, deren Nutzen so groß sein soll, dass sie die EU-Schutzanforderungen aushebeln. Wichtigstes Argument sind 182.700 Jobs, die direkt oder indirekt am Hafen hängen sollen. Zudem sehen die Planer Deutschlands Export-Chancen in Gefahr, solange der größte und bestangebundene Hafen des Landes für die kosteneffizientesten Schiffe nicht mehr ohne weiteres erreichbar ist.
„Wir wären darauf vorbereitet, spontan eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen“, sagt er. Worauf sich wiederum die Naturschutzverbände vorbeireitet haben: Ihre Statistiken sollen zeigen, dass kaum Bedarf für die Elbvertiefung besteht.
Mit einem kompletten Scheitern der Pläne – wie im vergangenen Jahr bei der Weservertiefung – rechnet Aschermann keinesfalls. Schließlich habe das Gericht viele Punkte aus der behördlichen Genehmigung bereits abgehakt, bei anderer Gelegenheit Zeit für Nachbesserungen gegeben. „Wir sprechen nur noch über einen Bruchteil der ursprünglichen Streitpunkte“, sagt Hamburgs Rechtsamtsleiter Hans Aschermann. Die übrig geblieben Punkte seinen auf jeden Fall „reparabel“ – etwa durch Planänderungen oder neue Belege. „Das Projekt als solches kommt“, ist er überzeugt.
Die Allianzen der Reedereien
Der Name der Allianz "CKYHE" setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Namen der Mitglieder zusammen: Das ist die Cosco Shipping Line aus China, die japanische K-Line, Yang Ming aus Taiwan, die koreanische Hanjin und die taiwanische Reederei Evergreen, fünftgrößte Reederei der Welt.
In der Allianz "2M" haben sich die beiden größten Reedereien der Welt zusammengeschlossen, die dänische Maersk Line und die Schweizer MSC. Damit hat 2M nicht nur die meisten Marktanteile, sondern auch die größten Schiffe. Die Allianz verfügt alleine über 25 Mega-Containerschiffe mit einer Kapazität von mehr als 18.000 Standardcontainern.
Eigentlich wollten die beiden Reedereien gemeinsam mit der drittgrößten Reederei, der französischen CMA CGM, die Mega-Allianz "P3" gründen. Doch die chinesischen Kartellbehörden legten ihr Veto gegen dieses Bündnis ein.
Einer der Partner der Allianz G6 ist Hapag-Lloyd, die größte deutsche Reederei. Sie kooperiert mit den japanischen Reedereien MOL und NYK, der Orient Overseas Container Line (OOCL) aus HongKong, der Hyundai Merchant Marine (HMM) mit Sitz in Südkorea und der singapurischen NOL. Ein Mitglied wird das Netzwerk aber wahrscheinlich bald verlieren: NOL soll vom französischen Konkurrenten CMA CGM übernommen werden. Aus G6 wird dann vielleicht G5.
Nach dem die geplante Mega-Allianz P3 am Widerstand der Chinesen platzte, schuf sich CMA CGM ein neues Netzwerk: Die Franzosen, drittgrößte Reederei der Welt, kooperiert mit China Shipping (CSCL) und der arabischen Reederei United Arab Shipping Agency Company (UASC). Gemeinsam besitzen die Reedereien aktuell sieben Mega-Schiffe, sieben weitere sind geordert. Auch die Schiffe der singapurischen NOL will CMA CGM nach der Übernahme in die Allianz integrieren.
Bei der Weservertiefung hatte das Leipziger Gericht die Pläne ganz verworfen – allerdings wegen Planungsfehlern, die im Hamburger Fall gar nicht relevant sein können. Die Weser soll nämlich in drei Stufen ausgebaggert werden, die Elbe hingegen nur in einer.
Die Umweltverbände machen sich naturgemäß beim Fall Elbe größere Hoffnungen. Sie hoffen noch, das Projekt komplett kippen zu können, indem sie bereits verhandelte Punkte vor dem Gericht neu aufrollen.
Bleibt die Frage, wann das Gericht Grünes Licht gibt. Theoretisch wäre eine schnelle Freigabe schon am Mittwoch möglich – oder ein Urteil nach wenigen Wochen. Die Richter könnten jedoch auch neue Fragen stellen, in die Beweisaufnahme gehen – oder gar erneut den Europäischen Gerichtshof anrufen. Schließlich haben sie die Chance, einen Präzedenzfall zu schaffen. Das könnte sie dazu verleiten, auch für den Einzelfall wenig relevante Fragen letztgültig klären zu wollen.
Die beliebtesten Flaggen der deutschen Reeder
Etwa 3200 Schiffe umfasst die deutsche Handelsflotte. Davon fahren rund 1025 Schiffe mit der Flagge Liberias. Das Land an der Elfenbeinküste fordert mindestens eine 16-köpfige Besetzung. An einem Schiff mit deutscher Flagge müssen mindestens 19 Seeleute an Bord sein.
950 der in Deutschland registrierten Handelsschiffe fahren unter der Flagge des karibischen Inselstaats Antigua und Barbuda.
Mit 370 Schiffen nimmt die deutsche Flagge nach den Daten des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie immerhin den dritten Platz der beliebtesten Flaggen ein. Doch nur 200 der Schiffe fahren nach Angaben des Verbands deutscher Reeder auch in internationalen Gewässern.
Der Inselstaat Malta ist die beliebteste europäische Flagge bei deutschen Reedern. 184 Schiffe fahren mit dem weiß-roten Banner.
171 Schiffe fahren unter der Flagge der Marshallinseln, die im pazifischen Ozean liegen.
Auch Zyperns Flagge ist bei den Reedereien beliebt: 134 Schiffe fahren unter der Flagge, die die Konturen des Staates zeigt.
Die restlichen 410 der in Deutschland registrierten Handelsschiffe fahren unter anderen Flaggen.
Immerhin: Die Konjunkturentwicklung kommt dem Hamburger Hafen zugute. Russland-Sanktionen und die chinesische Wachstumsschwäche lassen den Güterverkehr langsamer wachsen als ursprünglich prognostiziert. Weil viele Giga-Schiffe sowieso nicht vollbeladen sind, verlagern die Reedereien den Verkehr noch nicht im großen Stil. Die Hamburger Planer hoffen daher, trotz aller Verzögerungen noch rechtzeitig reagieren zu können: Die geschätzte 600 Millionen Euro teure Baumaßnahme selbst soll nach einem Urteil rasch beginnen und nur rund anderthalb Jahre dauern – also deutlich kürzer als Planung und Prozess.